„Wir geben nicht auf“: Polizeipräsidentin verteidigt Ermittlungen zu rechtsextremen Anschlägen in Neukölln
Die Anschlagsserie von Berlin-Neukölln ist weiterhin nicht aufgeklärt. Im Tagesspiegel-Interview nimmt Polizeipräsidentin Slowik die Ermittler in Schutz.
Berlins Polizeipräsidentin Barbara Slowik hat die Ermittlungen zur rechtsextremistischen Anschlagsserie in Neukölln trotz fortwährenden Misserfolgs verteidigt. Zugleich zeigte sie Verständnis für die Opfer der Anschläge und Straftaten.
Dem Tagesspiegel sagte Slowik in einem Interview über die Enttäuschung und das Misstrauen der Opfer: „Das Gefühl kann ich verstehen. Die Betroffenen wollen Antworten, die wir aus mehreren Gründen nicht geben können. Ich würde gerne all das offenlegen, was wir den Abgeordneten im Geheimschutzraum offenlegen durften, aber das darf ich öffentlich nicht.“
Es gehe um ein rechtsstaatliches Verfahren, „das nicht gefährdet werden darf und für das Vermutungen nicht ausreichen, man braucht Beweise“. Es gehe um Straftaten, bei denen grundsätzlich ein Nachweis schwierig sei, wie bei Brandstiftung oder Schmierereien.
Zugleich nahm Slowik die Ermittler der Staatsschutzabteilung des Landeskriminalamtes (LKA) in Schutz: „Die Lage ist auch für uns frustrierend und mehr als unbefriedigend. Die Ermittler im LKA wollen Erfolge, sie haben alles drangesetzt und setzen immer noch alles daran. 70 Straftaten, 23 Brandstiftungen: so weit sind die ErmittlungenWir haben alles getan, was wir nach rechtsstaatlichen Maßstäben tun können.“
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Die Polizeipräsidentin begrüßte zudem, dass Innensenator Andreas Geisel (SPD) eine Expertenkommission einberufen hat, die die Ermittlungen zum Neukölln-Komplex nochmals überprüft. „Ich bin sehr froh über die neue Expertenkommission, weil ich sehr sicher bin, dass da auch nochmal alles abgeprüft und bestätigt wird. Und wenn doch noch Ansätze erkannt werden, dann arbeiten wir gerne daran. Wir arbeiten ohnehin intensiv weiter daran. Wir geben nicht auf.“
Slowik hat auch eingestanden, dass es bei einem Brandanschlag Anfang 2018 auf das Auto des Neuköllner Linke-Politikers Ferat Kocak eine Panne gegeben hat. Information vom Verfassungsschutz an das LKA hätten „deutlich schneller umgesetzt werden müssen“, sagte Slowik.
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Dennoch wies die Polizeipräsidentin den Eindruck zurück, es sei etwas vertuscht worden. „Alles andere ist aufgeklärt und ausgeräumt worden, auch das Beamte mit Tatverdächtigen im Kontakt gestanden haben sollen“, sagte Slowik.
Angesichts der intensiv geführten Ermittlungen der Soko „Fokus“, die den Neukölln-Komplex neu aufgerollt hatte, warnte die Polizeipräsidentin davor, die Ermittler in die rechte Ecke zu stellen. „Es macht schon etwas mit den Ermittlern, die dort unter extremer Belastung arbeiten, ständig in diese rechte Ecke gestellt zu werden oder vorgeworfen zu bekommen, sie hätten Dinge unterdrückt.“
70 Straftaten, 23 Brandstiftungen: so weit sind die Ermittlungen
Es geht beim Neukölln-Komplex um mehr als 70 Straftaten, darunter 23 Brandstiftungen, eingeworfene Fenster und Schmierereien an Hauswänden mit Morddrohungen. Die Opfer sind Menschen, die sich gegen Rassismus und Rechtsextremismus engagieren. Seit Jahren terrorisieren Neonazis Neukölln, Betroffene werfen den Behörden Schlamperei vor und verlieren das Vertrauen in Polizei und Justiz.
Nach eineinhalb Jahren Ermittlungen kam die eigens einberufenen Soko „Fokus“ zu dem Ergebnis, dass es keine neuen Beweise gegen die drei Hauptverdächtigen gibt. Die Ermittler gehen zwar kriminalistisch von einer hohen Wahrscheinlichkeit aus, dass es sich bei dem Ex-NPD-Mann Sebastian T., dem früheren AfD-Bezirkspolitiker Tilo P. und dem polizeibekannten Neonazi Julian B. um die Täter handelt. Nachweisen können sie dies allerdings nicht.
Innensenator Andreas Geisel (SPD) hat deshalb externe Ermittler mit einer erneuten Untersuchung der Anschlagsserie betraut. Es seien mit Uta Leichsenring und Herbert Diemer „zwei hochkarätige Experten“ gewonnen worden, sagte Geisel bei der Vorstellung im Oktober.