Verkehrspolitik in Berlin: Initiative will "grüne Welle" für Radler und Fußgänger
Per Volksentscheid wollen engagierte Radfahrer eine neue Verkehrspolitik erzwingen – auch im Sinne von Autofahrern und Fußgängern, sagen sie. Ihre Forderungen haben sie noch verschärft.
350 Kilometer Fahrradstraßen fordert die Initiative „Radentscheid“ in ihrem „Berliner Radverkehrsgesetz“. Im Vergleich zu den im Dezember vorgestellten „Zehn Zielen des Volksentscheids“ wurden die Forderungen teilweise deutlich verschärft. Im Dezember hatten die Radaktivisten nur 100 Kilometer Fahrradstraßen gefordert. Am Dienstag soll der Gesetzentwurf der Presse und am Mittwoch dann in der niederländischen Botschaft vorgestellt werden. Dem Tagesspiegel liegt er bereits vor. Neu sind Forderungen, die Fußgänger und den Busverkehr begünstigen sollen. So sollen überall da, wo für Radfahrer „grüne Wellen“ geschaltet werden (Paragraph 7 im Gesetz), Fußgänger längere Grünphasen bekommen. So könnten auch ältere Menschen sicher und in einem Rutsch die Straße queren. Busspuren sollen von Radspuren getrennt werden. Für den Kurfürstendamm würde das bedeuten: je eine Spur für Busse, Radfahrer und Autos. Der Parkstreifen würde entfallen. „Es gibt dort genügend Parkhäuser“, sagte Organisator Heinrich Strößenreuther am Sonntag.
Der Senat soll gezwungen werden
Mit dem Gesetz will die Initiative um Strößenreuther und Peter Feldkamp einen Volksentscheid über eine bessere Fahrradpolitik erzwingen. In den vergangenen zwei Monaten haben mehrere Dutzend Rechtsanwälte, Verkehrsexperten und Stadtplaner an den Vorschlägen gefeilt und sie in Gesetzesform gebracht.
Weitere Forderungen sind:100 Kilometer Radschnellwege von den Außenbezirken ins Zentrum und 200.000 Stellplätze für Räder an Bahnhöfen und Straßen. Jedes Jahr sollen 25 für Radfahrer gefährliche Kreuzungen umgebaut werden, heißt es in Paragraf 6 des Gesetzentwurfs. „Wir fordern nichts Utopisches“, sagt Feldkamp. Strößenreuther ergänzt: „Ein Kilometer Autobahn ist teurer als 350 Kilometer Fahrradstraßen.“
Der Senat lehnt die Initiative rundweg ab. Verkehrssenator Geisel hatte vor Wochen kritisiert, dass sich „eine Verkehrsart nicht radikal gegen alle anderen durchsetzen“ dürfe. Um diesen Vorwurf zu entkräften, haben sich die Radaktivisten mit dem Fußgängerverband „Fuss e.V.“ zusammengesetzt und zudem den alten Wunsch der BVG aufgenommen, Radler nicht auf die Busspur zu lassen, weil diese den Fahrplan bremsen. „Wir wollen weder Autos verbieten, noch Busse ausbremsen, noch Fußgängern in die Quere kommen“, sagt Feldkamp. Der Senat sei schlicht nervös, nicht zuletzt wegen des erfolgreichen Volksentscheids zum Tempelhofer Feld 2014 und der bevorstehenden Wahl fürs Abgeordnetenhaus.
Ab Mai werden Unterschriften gesammelt
Im Mai will die Initiative beginnen, Unterschriften zu sammeln. Für die erste Stufe des Volksbegehrens sind 20.000 Unterschriften erforderlich, für die mögliche entscheidende zweite Stufe im kommenden Jahr dann 170.000. Zur Bundestagswahl 2017 soll dann über das Gesetz abgestimmt werden, hofft Strößenreuther. Der Optimismus ist groß. Die 20000 Unterschriften für den Start werde man schnell erreichen. Schließlich finde Anfang Juni die traditionelle Sternfahrt des ADFC statt, bei der zehntausende Radfahrer mitfahren. Der Berliner Verband unterstützt die Initiative, der ADFC-Jurist Roland Huhn hat an dem Entwurf mitgearbeitet. Ganz einig ist der ADFC intern aber nicht. Wie berichtet, ist vor wenigen Tagen ein Vorstandsmitglied zurückgetreten – offiziell aus Protest gegen die Unterstützung des Volksbegehrens.
Selbst bei perfektem Zustand der Wege wird bei Regen, Schnee, Kälte und Stürmen nur ein Bruchteil derer, die im Sommer mit dem Rad unterwegs sind, fahren. Hier wird der Umbau einer kompletten Infrastruktur gefordert, die dann nur einen kleinen Teil des Jahres wirklich ausgiebig genutzt wird.
schreibt NutzerIn Charly-Berlin
Die Initiative betont, dass alle von einer besseren Radförderung profitieren würden: Fußgänger würden ihren Platz auf Gehwegen zurückbekommen. Autofahrer könnten entspannter unterwegs sein, weil sie nicht mehr mit kreuz und quer fahrenden Radlern rechnen müssten. „Alle freuen sich, dass der Anteil des Radverkehrs steigt, aber es wird zu wenig dafür unternommen“, sagt Strößenreuther. Wie er sind viele Radler enttäuscht, dass es in den letzten Jahren kaum Verbesserungen gab. „Vor zehn Jahren waren wir an der Spitze der Großstädte“, sagt Feldkamp, nun herrsche Stagnation. Dies hatte auch der ADFC beklagt und ähnliche Forderungen erhoben. So gibt es nur etwa 20 Fahrradstraßen in Berlin, in denen theoretisch Radfahrer Vorrang haben, praktisch aber Autos wie überall in der Stadt dominieren. Im jüngsten bundesweiten „Fahrradklima“-Test landete die Hauptstadt auf Platz 30 unter 39 Großstädten. Trotzdem hat der Fahrradverkehr seit 2001 um etwa 50 Prozent zugenommen.
Jörn Hasselmann
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