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Die Route der Sternfahrt am Sonntag.
© ADFC/ TSP Bartel

Sternfahrt heute in Berlin: Die Argumente fürs Fahrrad sind schlicht und überzeugend

Heute treffen sich Radler in Berlin wieder zur Sternfahrt. Sie demonstrieren für Rechte und Lebensgefühl. Radfahren ist mentale Entrümpelung – und die beste Fortbewegung in einer verstopften Stadt. Eine Hommage.

Karl Drais hat die Draisine erfunden, Carl Benz das Auto, Karl May Winnetou und die CSU die Ausländermaut. Große Momente der Weltgeschichte, jedem Kind präsent! Aber das Fahrrad? Ist einfach da. Wenn es noch da ist, denn bei 30.000 geklauten Rädern im vergangenen Jahr in Berlin weiß man ja nie. Aneinander gereiht ergäben diese Fahrräder eine Schlange, die vom Polizeipräsidium am Platz der Luftbrücke bis hinter Berkholz-Rehbrücke reicht. Aber sie sind ja weg und die Schlange folglich virtuell.

Deshalb zurück ins Diesseits, in dem es am Sonntag von sehr realen Fahrradschlangen wimmeln wird. Ob es nun wieder die vom ADFC verkündeten 200.000 sein werden oder ob man – wie im vergangenen Jahr die Polizei – davon die letzte Null streicht: Die Sternfahrt ist und bleibt die größte unter all den Demos, die sich jahrein, jahraus über Berlin ergießen. Das kann man gut finden oder scheußlich. Dass die Radler mehr werden, ist an jeder Ecke zu besichtigen. Deshalb ist es angebracht, sich dem Phänomen zu nähern: Was macht das Radfahren so populär in dieser Stadt, die beim bundesweiten Fahrradklimatest gerade mit der Schulnote 4,1 beinahe durchgefallen ist?

Die Argumente sind so schlicht, wie überzeugend

Die rationalen Argumente sind schnell genannt: null Spritkosten, nur minimale Steigungen (die City mit ihren Büros liegt ohnehin im Urstromtal, also tendenziell bergab), beherrschbares Verspätungsrisiko durch Staus, Weselskys oder Weichenstörungen und auf kurzen bis mittellangen Strecken ein konkurrenzloser Zeitvorteil durch relativ hohes Durchschnittstempo und irgendwie doch immer erfolgreiche Parkplatzsuche – auch wenn der Weg zum Fahrradständer oft über Leichen führt.

Mindestens ebenso schwer wiegen die weniger offensichtlichen, aber zumindest für Radfahrer spürbaren Gründe. Einer ist das Berliner Wetter: In den vier Monaten, die der S-Bahn-Tunnel durch die City kürzlich gesperrt war, mussten Berufspendler an ungefähr drei Tagen auf die lahmen Ersatzbusse umsteigen, weil es wirklich geregnet hat. Wer’s nicht glaubt, betrachte den gelben Rasen auf der nächstbesten Mittelinsel. Vereinzelte Schauer sind eben verbreitete Trockenheit.

Lüftung für die Gedanken

Hinzu kommt ein Phänomen, das erst bei wechselnder Verkehrsmittelnutzung offenkundig wird und von Medizinern anhand von Herz- und Hormonbetrieb inzwischen auch wissenschaftlich bestätigt werden konnte: Radfahren ist mentale Entrümpelung. Während man dem Auto nach einer stauträchtigen Fahrt mit einer gefühlten Rostschicht in den Knochen und/oder einer leichten Mattscheibe hinter der Stirn entsteigt und in der S-Bahn froh ist, wenn keine Türstörung den Weg in die Freiheit sabotiert, steigt man vom Fahrrad irgendwie erfrischt ab. Das gilt selbst nach Passage der typischen Berliner Note-4,1-Radwege.

Bei der Sternfahrt kommt ein Effekt hinzu, der dem Unterschied zwischen einem lauwarmem und einem gekühltem Getränk entspricht: Die Routen führen über die Autobahn. Nur wer je durch den Britzer Tunnel geradelt ist, weiß, wie perfekt Straßenbelag sein kann. Nur wer einmal mit Muskelkraft über die Avus von Zehlendorf gen Funkturm rollte, weiß um deren praktisch unsichtbares, aber deutlich spürbares Gefälle. Ein Schub wie in Kinderzeiten, wenn Papa mit langem Arm von der Seite her schob.

Der nächste Evolutionsschritt

Apropos Kinderzeiten: Das heute so beliebte Laufrad ist die Draisine des 21. Jahrhunderts. Große Freiheit auf zwei kleinen Rädern – gern mit Puh dem Bären oder Prinzessin Lillifee. Später, wenn die Pedale dazukommen und die Welt noch weiter ist, fragt man sich beinahe, warum die sonst so gründliche Evolution den Menschen nicht mit Rädern versehen hat. An der TU in Delft forschen kluge Menschen seit Jahren daran, warum ein stehendes Fahrrad umfällt, aber ein rollendes sich dagegen wehrt, selbst wenn man es seitlich schubst. Ganz kurz gesagt, hat es damit zu tun, dass der Kontaktpunkt des Vorderrades zur Straße hinter der verlängerten Lenkachse (also dem Rohr über der Gabel) liegt.

Wer solche Dinge durchdenkt, kann die Menschheit voranbringen. Auf dem Fahrrad funktioniert das recht gut.

Alle wollen ins Ziel: Am Sonntag findet das Umweltfestival am Brandenburger Tor statt.
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© dpa

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