Nach Schüssen in Berliner Wettbüro: Acht Rocker zu lebenslanger Haft verurteilt
Fast fünf Jahre wurde im Fall der tödlichen Schüsse verhandelt. Es war heimtückischer Mord als Machtdemonstration, urteilte nun das Landgericht.
Der Rocker-Boss lachte laut und drehte dem Gericht demonstrativ den Rücken zu, der Todesschütze schlug wütend gegen das Panzerglas vor der Anklagebank: Acht der zehn Angeklagten im bislang größten Rocker-Prozess Berlins wurden zu lebenslanger Haft verurteilt, darunter mit Kadir P. der Boss der Hells-Angels-Gruppierung. Sieben dieser Männer seien des gemeinschaftlichen Mordes schuldig, der 35-jährige P. der Anstiftung zum Mord, begründete das Landgericht am Dienstag.
Am 300. Prozesstag und nach einer fast fünfjährigen Verhandlung die deutlichen Worte des Vorsitzenden Richters Thomas Groß: „Kadir P. ist der Anstifter einer mörderischen, weil heimtückisch und aus niederen Beweggründen begangenen Tat.“ Wie ein Überfallkommando hätten die Täter den 26-jährigen Tahir Ö. in einem Wettspiel-Café in Reinickendorf umgebracht. Um die Ehre des Clubs sei es gegangen, um eine Machtdemonstration. Die Hells-Angels-Rocker um P. hätten „durch schwerste Gewalttaten ihren Ruf festigen wollen“. Den Rocker-Chef nannte er ein „dissoziales Alphatier“, laut und aggressiv. In der Gruppe sei ohne ihn gar nichts gelaufen.
Der Schütze sei mit ausgestrecktem Arm auf Ö. im Hinterzimmer zugegangen – zielgerichtet, so Richter Groß weiter. Nach den Schüssen hätten sich die Angreifer „sportlich entspannt“ als Gruppe entfernt. Die Männer hätten sich noch zugerufen: „Es ist erledigt.“ Essen sei man dann gegangen. „Das passt nicht zu einem aus dem Ruder gelaufenen Geschehen, bei dem einer versehentlich erschossen wurde.“ So hatten es mehrere Angeklagte, darunter der 30-jährige Recep O. als Todesschütze, dargestellt.
Gefährderansprachen gab es nicht
Ein achter Angeklagter wurde des Mordes schuldig gesprochen: Kassra Z., der ausgepackt hatte und für die Ermittler als Kronzeuge gilt, bei seinen einstigen „Brüdern“ allerdings als Verräter. Der 32-Jährige, der unter Zeugenschutz steht, erhielt wegen Aufklärungshilfe zwölf Jahre Haft. Ein zehnter Angeklagter wurde vom Vorwurf der Anstiftung zum Mord freigesprochen. Er erhielt 22 Monate Haft wegen Waffenbesitzes.
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Für die wegen der Schüsse Verurteilten gab es allerdings einen „Abschlag“: Rund zwei Jahre der jeweils verhängten Strafe gelten laut Urteil als bereits vollstreckt.
Das Gericht reagierte mit dieser „Vollstreckungslösung“ auf das Verhalten der Polizei. Obwohl Ermittlungsbehörden von einer drohenden Tötung des Tahir Ö. erfahren hätten, seien Maßnahmen wie Gefährderansprachen nicht erfolgt – „obwohl erforderlich und üblich“.
Es waren acht Schüsse, die am 10. Januar 2014 auf den 26-jährigen Tahir Ö. abgefeuert wurden. Sechs trafen ihn tödlich. Acht der Angeklagten hätten zu dem Trupp gehört, der Sekunden zuvor in das Wettbüro in Reinickendorf marschiert war. Der Mann an der Spitze zog eine Pistole. Fünf Sekunden später lag Tahir Ö. sterbend am Boden.
Der Anschlag ist dokumentiert. Eine Überwachungskamera hat den aus Sicht der Ermittler straff organisierten Überfall aufgenommen. Es ging nach Überzeugung der Ankläger darum, den „Führungsanspruch der Hells Angels zu verdeutlichen“. Und es sei um Rache für eine Monate zuvor erlittene Schmach gegangen. Tahir Ö. hatte in einer Rangelei vor einer Diskothek einen Hells-Angels-Türsteher mit einem Messer verletzt. Der Getroffene ist der Bruder eines der Angeklagten.
Eine Herausforderung für die Justiz
Zehn Monate später begann im November 2014 der brisante Prozess. Eine Herausforderung für die Justiz: Bis zum Ende lief die Verhandlung unter massiven Sicherheitsvorkehrungen. Rocker-Boss P. und seine Gefolgsleute gaben sich meist locker und bestens gelaunt. P. nutzte jede Gelegenheit, um lachend ins Publikum zu winken. Andere lasen Zeitung oder plauderten. Zwei der Männer auf der Anklagebank hinter Panzerglas fanden es einmal so lustig, dass sie sich mit ihren Plastikbechern heiter zuprosteten.
Einzig Kassra Z., der gegen seine einstigen Rocker-„Brüder“ ausgepackt hat, folgte der Beweisaufnahme interessiert. Er saß als einer der Mord-Verdächtigen in einer gesonderten Panzerglas-Box – streng bewacht, denn er steht unter Zeugenschutz. Wie die meisten anderen Angeklagten befindet er sich seit mehr als fünfeinhalb Jahren in U-Haft, die auf die zu verbüßende Strafe auch angerechnet wird.
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Mehrere der zumeist bulligen Männer auf der Anklagebank hatten erklärt, dass es keinen Tötungsplan gegeben habe. Sie hätten Tahir Ö. „eine Ansage“ machen, ihn „klein machen“ und möglicherweise auch schlagen wollen. Seine Tötung aber sei nicht vorgesehen gewesen.
Es war ein Prozess, dessen Kosten auf einen zweistelligen Millionenbetrag geschätzt werden. Das Gericht befragte 346 Zeugen und 26 Sachverständige. Bis zu 60 Polizisten und Justizwachtmeister waren an den jeweiligen Tagen mit ihm Einsatz. Innensenator Andreas Geisel (SPD) begrüßte das Urteil: „Es ist ein guter Tag für den Rechtsstaat.“ Er hoffe auf eine entsprechende Signalwirkung.