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Das Leben danach. Dem Unfassbaren einen Rahmen zu geben, das war die Aufgabe für die Gestalter des Mahnmals ein Jahr nach dem Terroranschlag an der Gedächtniskirche.
© Ralf Hirschberger/dpa

Terroranschlag auf dem Breitscheidplatz: Opferbeauftragter kritisiert Behörden

Es sei nicht klar, wofür die Entschädigung genau geleistet wird und was für weitere Ansprüche bestehen. Betroffene des Anschlags halten Entschädigung für zu gering.

Im Zusammenhang mit den Opferrenten für Hinterbliebene und Geschädigte des Terroranschlags auf dem Breitscheidplatz hat der Berliner Opferbeauftragte Roland Weber Kritik an den Behörden geübt. „Es wird in den Rentenbescheiden nicht gut genug erklärt, wofür die Entschädigung genau geleistet wird, und dass daneben für weitere Schäden auch weitere Ansprüche bestehen können“, sagte Weber. Zum 1. Juli werde in Berlin die neu geschaffene zentrale Anlaufstelle für Terroropfer ihre Arbeit aufnehmen; davon erhoffe er sich Besserung. „Dort entsteht ein Netzwerk von Fachleuten, die schnelle Hilfe vermitteln“, sagte Weber dem Tagesspiegel.

Einige der Attentatsopfer vom Breitscheidplatz hatten sich enttäuscht und wütend über die geringe Höhe der Opferrente gezeigt, und das, nachdem sie ihre Schädigungen genauestens hatten nachweisen müssen, was auch schon als entwürdigend empfunden wurde. Das will Weber nicht kritisieren: „Belegen muss man seine Ansprüche immer, da sonst zu viele Trittbrettfahrer kämen“, sagt der Rechtsanwalt.

Lageso weist Kritik zurück

Das Landesamt für Gesundheit und Soziales (Lageso) wehrte sich am Mittwoch gegen die Darstellung, es habe gerade die ersten Bescheide verschickt, und dann auch noch mit sehr geringen Summen.

„Wir arbeiten seit anderthalb Jahren die Anträge ab, alle Opfer haben außerdem schon etwas bekommen“, sagt Lageso-Sprecherin Silvia Kostner. Es seien 189 Anträge beim Lageso eingegangen. Es wurden unter anderem acht Mal je 1745 Euro Bestattungsgeld ausgezahlt, 34 Anträge auf Beschädigtenrente bewilligt, 46 Opfer haben die OEG-Traumaambulanz in Anspruch genommen. Die Höhe der Renten richtet sich nach dem Grad der Schädigung (GdS). GdS 30 Prozent entspricht 141 Euro monatlich (ab 1. Juli: 146), GdS 100 entspricht 736 Euro (760). Zu der Grundrente kommen noch einkommensabhängige Leistungen – wer viel verdient hat, dessen Schaden ist höher, und der bekommt auch mehr. Halbwaisen bekommen dazu 124 (128) Euro, Vollwaisen 233 (241) Euro.

Es sind drei Töpfe, aus denen die Opfer etwas bekommen: Vom Lageso die erwähnten Renten für den Schockschaden, vom Bundesministerium der Justiz eine Entschädigung aus dem Härtefonds und dann auch noch Zahlungen der Verkehrsunfallhilfe. Diese ist ein Verein in Trägerschaft der deutschen Kfz-Haftpflichtversicherer und zahlt, weil ein Kraftfahrzeug als Tatwaffe genutzt wurde. Dass es überhaupt Renten nach dem Opferentschädigungsgesetz gebe, sei gar nicht selbstverständlich, sagt Kostner. Das Gesetz sei gar nicht anwendbar gewesen, weil die Tatwaffe ein Kraftfahrzeug war; die Leute des Lageso hätten dann doch einen Weg gefunden – ihnen verdankt sich demnach die Zahlung.

Viele kritisieren die Renten als viel zu gering

Opfersprecherin Astrid Passin war am Mittwoch in der RBB-„Abendschau“ zu sehen. 141 Euro monatlich soll sie für die „psychoreaktive Störung“ bekommen, die sie dadurch erlitt, dass sie durch den Anschlag ihren Vater verlor. Und auch das nur befristet. Weber findet das richtig. Es handele sich um Steuergeld, und man könne beispielsweise einer gesunden 40-Jährigen doch jetzt nicht dauerhaft diese Summe zahlen. Natürlich sei ein Antrag auf Veränderung der Höhe jederzeit möglich; wenn jemand aber wieder gesund und arbeitsfähig sei, dann benötige er die Rente vielleicht nicht mehr.

Passin habe ja auch noch die 10.000 Euro pauschales Schmerzensgeld aus dem Härtefonds bekommen. Diese Summe wird rückwirkend noch auf 30.000 Euro verdreifacht, ebenso wie die Entschädigungen der anderen.

Vertreter mehrerer Abgeordnetenhausfraktionen kritisierten die Renten als viel zu niedrig und geradezu lächerlich, da der Staat bei der Aufgabe versagt habe, seine Bürger zu schützen.

Opfer zweiter Klasse

Auch wenn ihnen den Schmerz niemand nehmen kann – nach übereinstimmenden Aussagen stehen die Opfer vom Breitscheidplatz materiell viel besser da als „gewöhnliche“ Opfer von Straftaten.

Der Sohn des Rentners etwa, der von zwei jungen Rasern auf dem Kurfürstendamm totgefahren wurde, hat bisher nur einen Zuschuss zu den Beerdigungskosten für seinen Vater erhalten, sonst nichts. Er gilt laut Weber nur als „normal traurig“, bekommt keinerlei Renten vom Staat und fühlt sich als Opfer zweiter Klasse.

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