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Neu im Amt. Sybille von Obernitz (parteilos) ist seit wenigen Tagen Wirtschaftssenatorin für die CDU. 
© Mike Wolff

Neue Wirtschaftssenatorin: Obernitz: "Berlin braucht stärkere Leistungsmentalität"

Im Gespräch mit dem Tagesspiegel verleiht die parteilose Wirtschaftssenatorin Sybille von Obernitz ihrer Verwunderung über die Berliner Arbeitsmoral Ausdruck. Braucht Berlin einen "Mentalitätskick"? Diskutieren Sie mit!

Sie sind die Überraschung der CDU für den neuen Senat. Wie kamen Sie als Bildungsexpertin der Industrie- und Handelskammern ins Gespräch für das Amt der Wirtschaftssenatorin – und was war Ihre Reaktion, als Sie gefragt wurden?

Frank Henkel hat den Kontakt zu mir gesucht. Wirtschaft und Bildung hängen eng zusammen. Der Austausch mit ihm war so, dass ich den Eindruck hatte: Da begegnen sich zwei, die integer miteinander umgehen. Er hat sofort respektiert, dass ich gesagt habe, ich starte parteilos. Ein weiterer wichtiger Punkt ist die Betonung der Wirtschaft im Koalitionsvertrag. Mir liegen Wirtschaftsthemen am Herzen, ich habe mein ganzes Berufsleben in einer unternehmerischen Organisation verbracht.

Was reizt Sie am Amt der Wirtschaftssenatorin?

Bisher habe ich die Politik beraten, jetzt kann ich mitgestalten. Berlin ist eine sagenhafte Stadt, und ich will meinen Beitrag leisten, dass sie jetzt auch die Wirtschaftskraft entfaltet, die ihr eigentlich entspricht.

Wie?

So etwas gelingt einem nie allein. Insofern reizt es mich auch, mit den Kollegen im Senat eine Zusammenarbeit zu entwickeln, die dabei hilft, aus Berlin eine wirtschaftsstärkere Stadt zu machen.

Sie haben den Koalitionsvertrag nicht mit erarbeitet, den Sie umsetzen müssen – gibt es Aspekte darin, die Sie kritisch sehen?

Ich übernehme mein Amt auf Basis dieses Koalitionsvertrages. Jetzt beschäftige ich mich damit, wie wir das umsetzen können, was da verabredet wurde.

Wie sehen Sie die darin festgehaltene Trennung der Verwaltungen für Forschung und Wissenschaft, die in den vergangenen Wochen von vielen Seiten kritisiert wurde?

Die Trennung von Forschung und Wissenschaft ist gut lebbar. Die Vielzahl der Ansprechpartner muss kein Problem sein, wenn wir im Senat gut kooperieren. Das ist eine Herausforderung für uns.

Welche Erfahrungen aus ihrer Tätigkeit als Expertin für Berufsbildung sind für Ihren neuen Job besonders hilfreich?

Wir müssen Unterstützung bieten, wenn junge Menschen nicht gleich nach der Schule einen Ausbildungsplatz finden. Oft hapert es auch daran, dass Schulen Grundkenntnisse nicht vermitteln konnten. Das ist gerade in Berlin im bundesweiten Vergleich ein sehr großes Problem.

Wie lässt sich das lösen?

Wir müssen Unternehmen ermuntern und begleiten, damit möglichst viele junge Menschen schnell in Ausbildung kommen. Ausbildung heißt aber nicht nur, eine Chance zu bekommen – sondern auch eine Chance zu ergreifen. Solange jeder zweite Jugendliche den Nachvermittlungsaktionen fernbleibt, kann die Wirtschaft auch nur jedem zweiten Jugendlichen eine Chance geben.

Wie soll das geändert werden?

Wir brauchen schulisch eine stärkere Leistungsmentalität. Das sage ich jetzt mal schmunzelnd als Bayerin. Das ist ein gesellschaftliches Thema, und wir sollten uns trauen, ein entspannteres Verhältnis zu Leistung und auch zu Anstrengung zu entwickeln. Es muss klar werden: Wer sich zur Decke streckt, kommt damit auch weiter. Das ist ein Mentalitätskick, den ich gerne anstoßen möchte.

Ihren Vorgänger Harald Wolf lobt Obernitz.

Sie haben angekündigt, mehr dafür zu tun, dass es in Berlin mehr Jobs auf dem ersten Arbeitsmarkt gibt. Da hat aber eine Wirtschaftssenatorin nur begrenzten Einfluss, wie auch Ihr Vorgänger lernen musste. Was wollen Sie anders machen?

Das ist ein ressortübergreifendes Thema. Eine intensive, kollegiale Zusammenarbeit im Senat kann helfen. Viele Entscheidungen brauchen ein solches Selbstverständnis in einer Regierung.

Spielen Sie damit auf Klaus Wowereit an, der dafür kritisiert wurde, dass er zu wenig auf Unternehmer zuging?

Nein. Ich möchte dazu beitragen, dass wir im neuen Senat gemeinsam einen großen Schwerpunkt auf die Ansiedlung von Unternehmen legen. Das Thema hat viele Facetten, die nicht nur in der Wirtschaftsverwaltung liegen. Ich brauche die anderen Kollegen, wenn es darum geht, unbürokratisch schnelle Entscheidungen zu treffen. Das ist für viele Unternehmen wichtig, wenn sie über einen neuen Standort nachdenken.

Wie bei der Infrastruktursparte von Siemens, die München den Vorzug gab?

Wir werden die Nase vorn haben, wenn wir gute Fachkräfte bieten und mit schnellen Genehmigungsverfahren überzeugen.

Sie haben auf dem CDU-Parteitag kritisiert, dass Unternehmer bisher zu lange auf einen Termin beim Wirtschaftssenator warten mussten – wie lange musste man bisher warten, und was ist Ihr Ziel?

Die Unternehmen haben meinen Vorgänger als einen Senator erlebt, der für sie durchaus ein offenes Ohr hatte. Die Frage ist jedoch, ob wir bei konkreten Anliegen auch Antworten finden. Das ist mein Ziel: Ich will ein offenes Ohr haben und mich daran messen lassen, inwieweit ich Unterstützung bei einem Anliegen gebe.

Werden Sie wie Harald Wolf in die Aufsichtsräte der landeseigenen Unternehmen gehen, wie Wasserbetriebe, BSR, Messe, IBB?

Ja, ich gehe davon aus, dass ich das in groben Linien so übernehme.

Es gab Kritik der IHK daran, dass bei dieser Besetzung unklar bleibt, ob der Senator oder die Senatorin für den Staat als Eigentümer oder für das Wohl des Unternehmens handelt.

Ich bin nicht die Vertreterin der IHK am Senatstisch, um das gleich klar zu sagen. Ich strebe beim Thema Aufsichtsräte, wie in anderen Bereichen, ein Stück Kontinuität an, aber die endgültige Entscheidung treffe ich erst, wenn ich mir ein Bild gemacht habe. Das ist bei allen Sachfragen so: Ich werde erst mal gut hinschauen, und dann bilde ich mir eine Meinung.

Sie ist parteilos und hat wenig Erfahrung - kann das ein Vorteil sein?

Sie hatten mit vielen Themen, die Sie künftig als Senatorin beschäftigen werden, bislang wenig zu tun – Vorteil oder Nachteil?

Der Vorteil ist, dass ich einen frischen Blick habe. Der Nachteil ist, dass ich im Moment sehr viel arbeiten muss!

Ihr Vorgänger Harald Wolf hat als Linker viele in der Wirtschaft positiv überrascht - wie haben Sie seine Arbeit erlebt?

Ich schließe mich der Einschätzung an, dass Herr Wolf es verstanden hat, Wirtschaft nicht aus der ihm eigentlich zugeordneten Rolle eines Vertreters der Linken zu gestalten.

Was ist eigentlich mit dem Karl-Marx- Bild, das er im Büro des Wirtschaftssenators aufgehängt hat und das wir immer noch hier hängen sehen?

Ich werde mir neue Bilder aussuchen. Aber nicht, weil ich auf keinen Fall Marx in meinem Büro haben möchte, sondern weil ich vom Schreibtisch aus einen etwas freudigeren Anblick haben möchte.

Sie haben die Vereinbarkeit von Familie und Beruf als eines Ihrer Ziele genannt. Was sind nach Ihrer Erfahrung die Berliner Hauptprobleme, wo wollen Sie ansetzen?

Wir brauchen ein ausreichendes und qualitativ gutes Angebot an Betreuungseinrichtungen für Kinder, das müssen wir ausbauen. Und wir brauchen Flexibilität bei den Arbeitgebern. Wir müssen uns angesichts der demographischen Entwicklung in sehr kurzer Zeit sehr viele gute, flexible Arbeitszeitmodelle einfallen lassen.

Sie sind parteilos, aber Senatorin für die CDU. Was spricht aus Ihrer Sicht für, was gegen eine Mitgliedschaft bei der CDU?

Die Parteilosigkeit räumt einem ein Stück Freiheit ein. Das ist für ein Wirtschaftsressort durchaus interessant. Ich bin unter der Prämisse der Parteilosigkeit ins Amt gekommen, und das bleibt auch erst mal so.

Das Interview führten Moritz Döbler und Lars von Törne

Sybille von Obernitz, geboren 1962, hat Abitur in Augsburg gemacht, in Freiburg und München studiert und war von 1993 bis 1996 bei der Industrie- und Handelskammer Augsburg Referentin für Volkswirtschaft und Hauptgeschäftsführung. Dann zog die diplomierte Volkswirtin aus privaten Gründen nach Berlin. Bei der IHK Berlin war sie unter anderem Persönliche Referentin von IHK-Präsident und IHK-Hauptgeschäftsführer sowie Leiterin des Bereichs Bildungs- und Wissenschaftspolitik. Von 2004 an war sie beim Dachverband Deutscher Industrie- und Handelskammertag, ab 2005 als Bereichsleiterin Berufliche Bildung und Bildungspolitik. Die Senatorin läuft in der Freizeit häufig, auch mal Marathon, und fährt Ski. Sie besucht gern die Philharmonie und ist Beethoven-Fan. Ihr Mann ist Partner einer US-Anwaltskanzlei in Berlin, beide leben in Zehlendorf. Ihr Sohn und ihre Tochter sind Anfang 20 und studieren außerhalb von Berlin. Die älteste Tochter ist vor Jahren bei einem Verkehrsunfall tödlich verunglückt.

Lars von Törne, Moritz Döbler

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