Obdachlose in Berlin: „Niemand soll erfrieren! Das ist unser Ziel“
Es wird wieder kalt. Obdachlose brauchen Hilfe und Schutz. Zu Besuch bei einem Projekt in Zehlendorf.
Greta wärmt ihre Hände an einer Tasse mit heißem Tee. Ihre Stiefel stehen auf der Schuhablage neben der Eingangstür, ihr Mantel, samt Mütze und Schal hängen an der Garderobe. Gegessen hat sie bereits. Und sobald sie den Tee ausgetrunken hat, will sie nur noch eins: eine warme Dusche, ein sauberes Bett und ihre Ruhe. Den Tag hat Greta auf der Straße verbracht. Draußen sind es fünf Grad unter Null, es herrscht Frost, und sie ist froh, hier in der Kältehilfe „Maria & Martha“ einen warmen und trockenen Schlafplatz zu haben. Greta ist obdachlos und lebt in Zehlendorf. Sie landete vor drei Jahren auf der Straße, nachdem sie erst den Job und dann die Wohnung verloren hatte.
Berlinweit gibt es schätzungsweise bis zu 6000 Obdachlose. Etwa ein Viertel davon sind Frauen.
„Niemand soll erfrieren! Das ist unser Ziel“, sagt Ann Jeannette Rupp, die Projekt- und Standortleiterin der Kältehilfe-Initiative. „Im Sommer 2016 fragte das Bezirksamt bei uns an, ob wir in Zehlendorf eine Kältehilfe einrichten könnten. Und am 2. Januar 2017 eröffneten wir das Haus. Es gibt auch eine möblierte Gästewohnung in der Busseallee. Bis zum 31. März finden obdachlose Frauen dort nachts eine Bleibe.“
80 Kältehilfe-Plätze für 1500 weibliche Obdachlose
Das Haus „Maria & Martha“ öffnet jeden Tag um 19 Uhr. Einlass ist bis 22 Uhr. Nach dem Frühstück, morgens um 8 Uhr, müssen die Frauen das Haus wieder verlassen. Drei feste Mitarbeiterinnen und mehrere ehrenamtliche Helferinnen arbeiten hier. Die gemütliche Wohnung verfügt neben Küche, Kammer, Bad und WC über drei Zimmer mit neun Betten. Damit gibt es in ganz Berlin insgesamt gerade mal 80 Kältehilfe-Plätze nur für Frauen, bei rund 1500 weiblichen Obdachlosen.
Bisher finden an Abenden etwa drei Frauen den Weg hierher. Manche kommen aus Zehlendorf. Manche von woanders. Einige kommen zu Fuß. Andere bringt der Kältebus. Die von Senat und Bezirk finanzierte Unterkunft liegt abseits des Zehlendorfer Stadtkerns. Benannt wurde das Kältehilfe-Projekt nach den ungleichen biblischen Schwestern und Jesus-Anhängerinnen Maria und Martha.
Die Aufnahme erfolgt unbürokratisch. Niemand muss einen Ausweis vorzeigen. Eine Mitarbeiterin legt für jede Frau ein Personalblatt an und lässt sie die Hausordnung unterschreiben. „Die einzigen Bedingungen, die wir stellen, sind: kein Alkohol, keine Drogen, keine Waffen, keine Gewalt“, sagt Rupp. „Außerdem nehmen wir nur Frauen ohne minderjährige Kinder und ohne Haustiere auf.“ Zudem müsse jeder Gast am nächsten Morgen aufräumen, Küche und Bad putzen und die Betten abziehen.
Die Frauen wollen selbstständig sein
Die Frauen, die bei „Maria & Martha“ Unterschlupf finden, wollen normalerweise nichts anderes als eine warme Dusche, etwas zu essen, ein Bett und ihre Ruhe. „Das war für mich am Anfang unverständlich“, sagt die Betreuerin Concha von Stietencron. „Ich hatte die Vorstellung, dass ich für alle koche, wir gemeinsam essen, uns unterhalten und vielleicht sogar Karten oder Halma spielen. Doch das kam überhaupt nicht an. Die Gemüsesuppe, die ich an einem der ersten Abende kochte, musste ich alleine essen. Und an den schön gedeckten Frühstückstisch wollte sich auch keine setzen.“ Mittlerweile habe sie gelernt, dass jede Frau ihr Essen selbst zubereiten wolle. „Jede will den Teebeutel selbst in die Tasse tun. Die Frauen rühren auch keine angebrochenen Packungen an. Eine sagte mir, dass sie große Angst vor Ansteckung hätten.“ Denn: Wenn man auf der Straße lebt, ist es das Allerwichtigste, gesund zu bleiben.
Jede Frau bekommt bei der Kältehilfe ein Kosmetikset geschenkt. Darin befinden sich Shampoo, Duschgel, Zahnbürste, Creme, Binden, Rasierer. Falls die Frauen es wünschen, erhalten sie neue Unterwäsche oder auch Anziehsachen. Rupp hat eine kleine Kleiderkammer eingerichtet. Immer wieder werden von Anwohnern Mäntel, Hosen oder Pullis gespendet. In einer Ecke steht ein mannshoher Stapel Schuhkartons mit Winterschuhen in verschiedenen Größen.
Mit ganzem Herzen dabei
Eine zweite Kältehilfe in Zehlendorf eröffnete derselbe Träger, die milaa gGmbH, gerade erst in der Dahlemer Königin-Luise-Straße. In Anlehnung an den ersten Standort heißt die Unterkunft, die Frauen und Männer aufnimmt, „Luis & Luise“. In den zwölf leerstehenden Zimmern einer Villenetage können 30 Menschen Platz finden. Hier arbeiten sechs feste und einige ehrenamtliche Mitarbeiter. Es ist nicht so kuschelig wie in der Busseallee. Die Obdachlosen schlafen auf Isomatten und in Schlafsäcken. Doch auch hier ist es trocken und warm, die Räume sind mit Teppichboden ausgelegt. Inzwischen finden sich abends etwa zwölf Menschen ein, um hier zu nächtigen.
In der Küche sitzt Stefan am Tresen und trinkt Kaffee. Seit „Luis & Luise“ eröffnet hat, schläft er jede Nacht hier. „Ich lebe seit einem Jahr auf der Straße“, erzählt er. „Im letzten Winter habe ich in U-Bahnhöfen übernachtet. Das war hart. Jetzt fühle ich mich nachts endlich wieder sicher.“ Derzeit mache er viele Behördengänge, weil er wieder einen Job als Sicherheitsmann finden wolle. Stefan sagt: „Ich habe erkannt, dass dich niemand an die Hand nimmt. Du musst selbst die ersten Schritte tun.“
Stefan will zurück ins normale Leben; er hat Elan. Helmut hat keinen mehr. Seit 20 Jahren ist er obdachlos. „Die Folge von falschen Entscheidungen“, erklärt er das resigniert. „Außerdem war eine Frau im Spiel. Und wenn du einmal bis zum Hals im Schlamassel steckst, kommst du nicht mehr raus.“
Welche Schritte die Menschen, die etwa in Zehlendorf Zuflucht suchen, auch tun wollen – sie erfahren bei der Kältehilfe Unterstützung. „Unsere beiden Projekte sind ein Versuch“, sagt Rupp. Ob und wie es weitergehe, werde nach dem Winter entschieden. „Eins ist allerdings sicher: Wir sind mit ganzem Herzen dabei und wir geben gern!“
Informationen für Menschen in Not gibt es bei der Berliner Kältehilfe unter www.kaeltehilfe-berlin.de. Die Kältebusse sind telefonisch erreichbar unter 0170/ 910 00 42 oder 0178/ 523 58 38.