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Für Obdachlose ist der Winter besonders gefährlich, das Risiko des Kältetodes ist besonders hoch.
© picture alliance / dpa

Obdachlose in Berlin: Viele Mittel- und Osteuropäer leben auf der Straße

Die Nächte werden immer kälter und die Plätze in Notübernachtungsstellen für Obdachlose knapp. Mit den sinkenden Temperaturen steigt das Risiko, in der Kälte zu erfrieren.

Warum jemand auf der Straße lebt, kann viele verschiedene Gründe haben. "Bei uns im Johanniter-Nachtcafé in der St. Thomas Kirche begegnen uns verschiedenste Schicksale. Vom Beamten im Ruhestand, der ein Armutsgelübde ablegt, dem jungen Menschen, der noch keinen Anschluss an die Gesellschaft hat oder aus dem Ausland stammende, die keinen Job und keine Wohnung gefunden haben aber auch Hartz-IV-Empfänger die sich nicht jedem Tag eine warme Mahlzeit leisten können”, erzählt Andreas Braun, Gründer der Kältehilfe von Die Johanniter in Berlin.

In Berlin werden von Initiativen wie Kirchen, Stadtmission, Rotem Kreuz und Bahnhofsmissionen Bedürftigen Hilfe angeboten. Sie stellen Mahlzeiten, heiße Getränke, Schlafplätze, frische Kleidung und medizinische Versorgung zur Verfügung. Ein Kältebus bringt Obdachlose kostenfrei in eine Notunterkunft. Bereits am 5. Januar sank die Temperatur auf minus acht Grad. Die Stadtmission erhielt an diesem Tag 104 Anrufe für ihren Kältebus.

Lieber auf der Straße als in lauten Notunterkünften

Im vergangenen Monaten ist verstärkt zur Sprache gekommen, das Mittel- und Osteuropäer diese Versorgung in Anspruch nehmen würden. Auch im Nachtcafé und der Kälteambulanz von Braun sei das zu spüren. Von Dienstag bis Freitag können Bedürftige in der St. Thomas Kirche morgens und abends eine Mahlzeit und heiße Getränke erhalten und sich so für ein paar Stunden aufwärmen. Eine Notübernachtung ist dort nicht möglich. Der 45-jährige Bulgare Borislav Yuliyanov kam vor vier Jahren mit seinem Bruder nach Deutschland, die politische Lage und der schlecht bezahlt Job bewegte sie dazu.

Mit zwei anderen Bulgaren sammeln sie tagsüber Pfandflachen und arbeiten abwechselnd auf einer Baustelle. Diese Lebenssituation erscheint ihnen besser, als die in ihrem Heimatland. Die Brüder übernachten in einem Auto, das sie in Deutschland gekauft haben. Die anderen schlafen auf der Straße, nicht zuletzt, weil Roman Angeruv den Erlös von der Baustelle seiner Familie in Bulgarien schickt und selbst lediglich vom Flaschensammeln leben muss. Auch zwei Polen, die regelmäßig das Nachtcafè aufsuchen, haben sich zum Sammeln zusammengeschlossen.

Borislav Yuliyanov kam mit seinem Bruder aus Bulgarien für ein besseres Leben nach Deutschland.
Borislav Yuliyanov kam mit seinem Bruder aus Bulgarien für ein besseres Leben nach Deutschland.
© Lilith Grull
Er nennt sich Hubert. Dem Polen wurde vor zwei Monaten der Ausweis gestohlen.
Er nennt sich Hubert. Dem Polen wurde vor zwei Monaten der Ausweis gestohlen.
© Lilith Grull

“Das machen viele so. So ist es sicher, dass man am Ende des Tages etwas raus hat. Im Winter ist der Ertrag kleiner - weil wenige Leute feiern gehen. Da können wir glücklich sein, wenn für jeden ein 1-Euro-Kaffee möglich ist”, sagt ein 42-jähriger Pole. Doch nicht nur der deutlich geringer Pfand und handwerkliche Arbeitsmöglichkeiten im Winter erschweren ihnen das Leben; besonders in der vergangen Woche sind die Temperaturen gefallen. Alle sechs haben schon einmal in einer Notübernachtung geschlafen, würden aber die Straße bevorzugen, da es stressfreier sei. Auch ein 21-jähriger Süddeutsche bevorzug sein Zelt beim Tipi am Kanzleramt: “In den Notübernachtungsplätzen herrscht eine sehr gestresste Stimmung. Alle sind angespannt, es ist laut, eng und nicht selten gibt es Streit.”

Vermehrt Mittel- und Osteuropäer unter Obdachlosen

Die Schätzungen der Obdachlosen in Berlin bewegen sich zwischen 2.000 und 11.000. Notübernachtungsplätze gibt es derzeit maximal 770, so Clemens Ostermann der GEBEWO, nur donnerstags haben alle Einrichtungen geöffnet, an anderen Wochentagen sinkt so die Schlafplatzzahl. „In den letzten Jahren ist die Zahl der Osteuropäer in unseren Einrichtungen deutlich gestiegen“, sagt Ortrud Wohlwend, Pressesprecherin der Stadtmission. „In unseren Unterkünften sind im Schnitt 40 Prozent Polen“, sagt Wohlwend. Weitere 20 Prozent kämen aus anderen osteuropäischen Ländern oder aus Russland. „Dieses Phänomen findet man auch bei der Gebewo. Den grassierenden Vorwurf, dass Flüchtlinge aus Kriegs- und Krisengebieten, die Notschlaflätze belegen,kann ich nicht bestätigen“, sagt Ostermann. Flüchtlinge machen allerdings etwa ein Drittel der Bewohner des Gebewo-Heimes für Wohnungslose aus; sie würden aber am schnellsten wieder Wohnungen finden, auch weil sie in Deutschland mietschuldenfrei seien

Zählungen der Gebewo ergaben, dass die Berliner Notunterkünfte mit 19 369 Übernachtungen im Dezember zu 100 Prozent ausgelastet waren. In den kalten Monaten Januar und Februar wird der Bedarf weiter steigen.

Die Bezirke sind dafür zuständig, jedes Jahr wieder Notunterkünfte zur Verfügung zu stellen. „Ein Problem ist, dass sie sich oft zu spät kümmern und die Räume erst nach und nach zur Verfügung stehen“, sagt Ostermann. Das mache die Vorausplanung sehr schwierig. „Es ist kein neues Problem, dass Obdachlose vor allem im Winter Unterschlupf brauchen“, sagt Ostermann und wünscht sich eine bessere Organisation durch die Bezirke.

Lilith Grull

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