Berliner Verfassungsschutzbericht: Neuköllner Dar-as-Salam Moschee weiter unter Beobachtung
Der Verfassungsschutz sieht Verbindungen der Neuköllner Moschee zur Muslimbruderschaft. Aber auch die Entwicklungen in der linksextremen Szene machen dem Nachrichtendienst sorgen.
Der Dissens zwischen dem Berliner Verfassungsschutz und der Neuköllner Dar-as-Salam-Moschee spitzt sich nach Informationen des Tagesspiegels zu. Der Nachrichtendienst nennt in seinem am Dienstag vorgestellten Jahresbericht 2016 den Moscheeverein, der sich als „Neuköllner Begegnungsstätte“ (NBS) bezeichnet und betont tolerant gibt, im Kapitel zur islamistischen Muslimbruderschaft. Die 1928 in Ägypten gegründete Bruderschaft ist die älteste islamistische Vereinigung Arabiens.
Der Verfassungsschutz spricht, wie schon in den Jahresberichten 2015 und 2014, von Verbindungen zwischen dem Verein „Islamische Gemeinschaft in Deutschland“ (IGD), der als mitgliederstärkste Organisation von Anhängern der Muslimbruderschaft in der Bundesrepublik bezeichnet wird, und der NBS sowie drei weiteren Vereinen. Allerdings hat nur die NBS im Frühjahr einen Berliner Anwalt eingeschaltet, um der erneuten Nennung im Verfassungsschutzbericht vorzubeugen.
Die NBS habe „weder eine Mitgliedschaft in der IGD, noch gibt es einen personellen oder sachlichen Austausch, noch suchen leitende Persönlichkeiten des Mandanten diesen Austausch“, heißt es in einem Schreiben des Anwalts vom 3. April an die Behörde. Er forderte den Verfassungsschutz auf, innerhalb von zwei Wochen „Anknüpfungstatsachen zu nennen“, sollte der Nachrichtendienst beabsichtigen, die NBS in den Jahresbericht 2016 aufzunehmen. Der Anwalt beantragte zudem Akteneinsicht in die vom Verfassungsschutz zur NBS geführten „Aktenvorgänge“. Die Behörde lehnte ab und geht in ihrem Report detaillierter auf die Moschee ein als in den Jahren zuvor.
Am 11. Und 12. März 2016 soll laut Verfassungsschutz in der NBS bei einer Veranstaltung mit 600 Teilnehmern ein „Fatwa-Ausschuss Deutschland“ gegründet worden sein. Zu den Mitgliedern des Ausschusses gehörten mehrere muslimische Gelehrte und Theologen, die der Muslimbruderschaft nahestehen, steht im Bericht.
Der Nachrichtendienst sieht hinter dem Fatwa-Ausschuss den „European Council for Fatwa and Research“, der 1997 in London auf Initiative eines Ablegers der Bruderschaft gegründet worden sei. Der führende Ideologe der Muslimbrüder, Yusuf Al-Qaradawi, verbreite über den European Council seine Rechtsgutachten.
Laut Verfassungsschutz bestand zwischen Al Qaradawi und dem Vorstand der NBS ein persönlicher Kontakt, „der 2014 bei Facebook öffentlich gemacht wurde“. Der Imam der Moschee, Mohamed Taha Sabri, beteuerte im Juli 2016 gegenüber dem Tagesspiegel, sein Verein habe „keinerlei Kontakte oder Verbindungen zur Muslimbruderschaft“.
Franziska Giffey besuchte Moschee vergangenes Jahr
In der öffentlichen Debatte über den Umgang mit der Moschee gab es bereits harte Töne. „Das sind keine Partner für mich“, polterte im Juli 2016 Neuköllns Ex-Bürgermeister Heinz Buschkowsky, nachdem seine Nachfolgerin Franziska Giffey (SPD) die NBS in der Flughafenstraße besucht hatte. Buschkowsky hielt Giffey eine „Verniedlichung“ des politischen Islam vor und untersagte der Neuköllner SPD – zwei Monate vor der Wahl zum Abgeordnetenhaus - bei Facebook mit ihm zu werben.
Die Bürgermeisterin musste auch in den sozialen Netzwerken reichlich Kritik einstecken. Giffey selbst hielt ihren Auftritt in der NBS für notwendig. Es sei wichtig zu wissen, „was in den Neuköllner Moscheen vor sich geht“ und über „Demokratie, Gleichberechtigung und Rechtsstaatlichkeit zu sprechen“. Bei Facebook schrieb sie allerdings auch, ihr sei „sehr wohl bewusst“, dass die NBS „dem Verband der Muslimbruderschaft in Deutschland“ angehöre.
Der Fall ist für die SPD auch heikel, da der Regierende Bürgermeister Michael Müller im Oktober 2015 Imam Sabri mit dem Verdienstorden des Landes Berlin ausgezeichnet hatte – obwohl der Verfassungsschutz die Moschee in seinen Jahresberichten erwähnt. Das war der Senatskanzlei offenbar entgangen. Im März 2017 verließ der Berliner SPD-Politiker Erol Özkaraca, von 2011 bis 2016 Mitglied des Abgeordnetenhauses, seine Partei aus Protest gegen den Auftritt Müllers bei einer „interreligiösen Friedenskundgebung“. An der Veranstaltung auf dem Breitscheidplatz, dem Tatort des Anschlags von Anis Amri im Dezember 2016, hatte auch Sabri gesprochen. Außerdem nahmen Vertreter von drei weiteren muslimischen Vereinen teil, die der Verfassungsschutz ebenfalls beobachtet. Özkaraca hielt Müller einen „zu toleranten Umgang mit dem politischen Islam und Islamisten“ vor.
Zahl der Salafisten nimmt zu
Das Milieu der Muslimbrüder in Berlin beziffert der Verfassungsschutz auf unverändert 150 Personen. Wie die Muslimbrüder werden auch die weiterhin 500 Anhänger der türkischen Milli-Görüs-Bewegung dem „legalistischen Islamismus“ zugerechnet, in Abgrenzung zu härteren und gewaltorientierten Gruppierungen. Das islamistische Spektrum in Berlin insgesamt ist im vergangenen Jahr allerdings auf 1890 Personen gewachsen. Das ist ein Anstieg um 160 gegenüber 2015. Die Zunahme ging komplett auf das Konto der Salafisten, sie taxiert der Nachrichtendienst im Jahresbericht auf 840 Anhänger.
Diesem Milieu wird auch Anis Amri zugerechnet. Den tunesischen Terroristen, der zwölf Menschen tötete, zählt die Behörde zur Täterkategorie der „ungebundenen Einzelpersonen“ und Kleinstgruppen, die von dschihadistischer Propaganda inspiriert werden. Dieser Tätertyp wird auch für die weiteren islamistischen Anschläge verantwortlich gemacht, die Sympathisanten der Terrormiliz IS 2016 in Deutschland verübten.
Dass der IS die Bundesrepublik im Visier behält, zeigt schon die Parole, die der Verfassungsschutz aus der „Lobpreisung des Attentäters Amri“ im Propagandamagazin „Rumiyah“ zitiert: „Eure Schulen, Kirchen, Einkaufsmeilen und Wochenmärkte sind ungeschützt und ein leichtes Ziel! So macht euch auf etwas gefasst.“ Unter den weiteren islamistischen Milieus, die der Verfassungsschutz nennt, ragen die libanesische Hisbollah mit 250 Anhängern und die palästinensische Hamas mit 70 heraus. Beide Organisationen verhalten sich in Berlin relativ ruhig, im Kontrast zu den militanten Aktivitäten im Nahen Osten.
Bei den ausländischen Extremisten jenseits des Islamismus tat sich zahlenmäßig nicht viel, es blieb bei 1750 Personen. Dennoch ist die Lage explosiv. Der Verfassungsschutz sieht mit Sorge, dass die Konfrontation zwischen fanatischen Anhängern der „Arbeiterpartei Kurdistans“ (PKK, 1100 Personen) und den türkischen Nationalisten (400) nicht nachlässt, analog zum Konflikt in der Heimat. „Aufgrund der politischen Situation in der Türkei muss weiterhin mit einer hohen Emotionalisierung und der Bereitschaft zur Anwendung von Gewalt gerechnet werden, insbesondere wenn türkische Rechtsextremisten und PKK-nahe Gruppen aufeinandertreffen“, heißt es im Jahresbericht.
Und: Die Situation dürfte sich bei der vom türkischen Staatschef Recep Tayyip Erdogan geplanten Wiedereinführung der Todesstrafe „drastisch verschärfen“. Zumal es „Spekulationen“ gebe, dass der in der Türkei inhaftierte PKK-Chef Abdullah Öcalan „ein möglicher Kandidat dafür sei“.
Verfassungsschutz beunruhigt über linksextreme Szene
Eine weitere Eskalation befürchtet der Verfassungsschutz auch bei der Militanz von Linksextremisten. Angesichts der Gewalttaten und brachialen Parolen der Autonomen aus der Rigaer Straße 94 und ihrer Sympathisanten hält es die Behörde sogar für möglich, die Szene werde das Tabu aufgeben, gezielt Menschen zu töten.
„Im Zuge der Auseinandersetzungen um die Rigaer Straße hat sich die Tonlage in der linksextremistischen Szene spürbar verschärft“, heißt es im Jahresbericht. „Aufrufe zur Tötung politischer Gegner werden in höherer Frequenz und mit einer unmissverständlichen Diktion veröffentlicht.“
Den Verfassungsschutz beunruhigt zudem die massive, auch militante Hasskampagne von Linksextremisten gegen die AfD. Vor der Bundestagswahl könnten sich die Aktionsformen gegen die rechtspopulistische Partei „perspektivisch verschärfen“, steht im Jahresbericht. Das gesamte „Personenpotenzial Linksextremismus“ beziffert der Verfassungsschutz mit 2790 Anhängern. Das sind 150 mehr als 2015. Weiter gewachsen ist vor allem der Verein „Rote Hilfe“ (2016: 1300 Personen, plus 100). Er habe sich „zur mit Abstand größten linksextremistischen Organsiation der Stadt entwickelt“, steht im Jahresbericht. Die Rote Hilfe unterstützt strömungsübergreifend Linksextremisten, die mit dem Gesetz in Konflikt kommen.
Das verschafft dem Verein in der Szene reichlich Sympathie.
Zuwächse gab es auch bei den gewaltbereiten Linksextremisten (2016: 970, plus 30), vor allem bei den „Postautonomen“ (2016: 320 Personen, plus 40). Gemeint sind Vereinigungen wie die „Interventionistische Linke“, die nach außen hin etwas gemäßigter auftritt und das Bündnis mit bürgerlichen Gruppierungen sucht – wie auch bei der großen Schlussdemonstration gegen den G-20-Gipfel in Hamburg zu beobachten war. Die klassischen Autonomen schrumpften hingegen in Berlin ein wenig (2016: 650, minus zehn). Ihnen bescheinigt der Verfassungsschutz, sie bewegten sich „zwischen frustrierter Lähmung und militantem Aktionismus“. Die Rigaer 94 gilt als markanter Beleg.
NPD verliert, leichter Zulauf bei "Identitären"
Militanz bleibt auch ein ständiges Risiko im rechtsextremen Spektrum. „Die Gewaltaffinität ist weiterhin ungebrochen“, warnt der Verfassungsschutz. Als Beispiel wird die „stark ausgeprägte Gewaltbereitschaft der rechtsextremistischen Szene in Neukölln“ genannt. Dort attackieren mutmaßliche Neonazis linke Einrichtungen. Auch die rechtsextremistischen Einschüchterungsversuche im Internet „haben wieder an Intensität zugenommen“, sagt der Nachrichtendienst. Die Zahl der gewaltorientierten Rechtsextremisten blieb allerdings mit 700 Personen konstant.
Das gilt auch für die gesamte Szene, trotz interner Verschiebungen. Der Verfassungsschutz zählte im vergangenen Jahr 1450 Rechtsextremisten. Davon rechnet die Behörde 520 Personen den „subkulturell geprägten“ Milieus zu, gemeint sind unter anderem Hooligans. Weitere 420 Personen sind ideologisch mehr oder minder gefestigte Neonazis. Die NPD baut allerdings weiter ab, erst recht nach ihrem 0,6 Prozent der Stimmen katastrophalen Ergebnis bei der Wahl zum Abgeordnetenhaus (2016: 230 Mitglieder, minus 20). Als aktionistische Alternative macht die neonazistische Kleinpartei „Der III. Weg“ (20 Mitglieder) der NPD zunehmend Konkurrenz. Die islamfeindliche „Bürgerbewegung Pro Deutschland“ dümpelt weiter mit 110 Mitglieder vor sich hin. Die „Identitäre Bewegung Berlin-Brandenburg“, die 2016 mit Provokationen wie der Besetzung des Brandenburger Tors auffiel, wuchs leicht auf 30 Anhänger.
Der Berliner Verfassungsschutz erwähnt, wie schon seit Jahren, auch das heterogene Milieu der Reichsbürger. Um die 100 gelten als Rechtsextremisten. Die Szene an sich ist in Berlin allerdings größer, die Behörde spricht von insgesamt 400 Reichsbürgern. Vor allem vier Gruppierungen seien in der Stadt aktiv. Sie nennen sich „Die Exilregierung Deutsches Reich“, „Staatenlos“, „Freistaat Preußen“ und „Amt für Menschenrecht“. Vor allem Anhänger von „Staatenlos“ fielen laut Verfassungsschutz bei Gerichtsverhandlungen mit „Störungen, Gerangel und lautstarken verbalen Ausfällen“ auf.
Wenig Bedeutung misst der Verfassungsschutz der „Scientology Organisation“ bei. Ihre 130 Mitglieder seien in Berlin weiterhin kaum wahrnehmbar. Beim Thema „Spionage und Geheimschutz“ äußert sich die Behörde eher allgemein. Angesichts der Bedeutung Berlins als Hauptstadt der Bundesrepublik und der Anwesenheit von Botschaften problematischer Staaten ist in diesem Bereich offenbar vornehmlich das Bundesamt für Verfassungsschutz hier tätig.