Bürgerschaftliches Engagement: Neukölln organisiert sich
Berlins dritte Bürgerplattform wurde gegründet. Rund 30 Gruppen sind beteiligt: Christen, nicht religiöse und Muslime - aber auch von Organisationen, die vom Verfassungsschutz beobachtet werden. Darunter sind auch Islamisten.
In der Villa Müzikhol am Kiehlufer in Neukölln finden sonst türkische Hochzeiten statt. Am Mittwochabend wurde dort die Bürgerplattform „WIN – Wir in Neukölln“ gegründet – die dritte in Berlin nach Schöneweide und Moabit/Wedding. Neukölln werde oft als „Endstation und Problemstadtteil mit armen und schlecht ausgebildeten Bewohnern“ wahrgenommen, sagt Moderator Nahil Rachid. „Wir wollen zeigen, dass es auch anders geht.“ 1044 Neuköllner sind gekommen. In Strategie- und Aktionsteams wollen sie die Probleme des Bezirks lösen, indem sie gezielt Gesprächspartner in Politik und Verwaltung suchen – mit einer großen Gruppe im Rücken. Das Konzept stammt aus den USA und heißt auch „Community Organizing“. Finanziell wird die Plattform von der Körber- und der BMW-Stiftung unterstützt.
Die Vertreter der 31 Vereine und Organisationen, die sich an WIN beteiligen wollen, sind eine bunte Mischung voller Gegensätze: Ein älterer Mann im dreiteiligen Anzug repräsentiert sowohl die Senioren der evangelischen Kirchengemeinde Alt-Buckow als auch den Britzer Garten. Neben ihm steht der Vertreter der muslimischen Bengalischen Gemeinden, ein dunkelhäutiger Mann im langen weißen Kaftan.
Zweieinhalb Jahre haben die Arbeiten für die Gründung gedauert. Dabei sind unwahrscheinliche Freundschaften entstanden. Zum Beispiel zwischen Elisabeth Wackers von der katholischen Kirchengemeinde St. Clara und Ayse Eryigibunten von der „Islamischen Gemeinschaft Milli Görüs“, die vom Verfassungsschutz zu den zwar nicht gewaltorientierten, aber dennoch islamistischen Gruppierungen in Berlin gezählt und beobachtet wird. „Ich hätte Ayse sonst nie kennengelernt“, sagt Elisabeth Wackers. Jetzt treffen die beiden sich regelmäßig zum Frühstück und besprechen zum Beispiel Bildungsthemen.
Rund ein Drittel der Gruppen hat einen muslimischen Hintergrund. Im letzten Moment, als alle anderen Gruppen vorgestellt worden sind, melden sich noch zwei Vertreter von Moschee-Vereinen, um nun doch mitzumachen, obwohl sie vorher gezögert haben – „jetzt, wo wir gesehen haben, wie motiviert alle sind“, sagt Manduh Azum von der Al-Nur-Moschee. „Das könnte ein neuer Anfang sein, um all die Missverständnisse auszuräumen, die um die Muslime herum entstanden sind.“ Die Al-Nur-Moschee gilt als Zentrum der radikalen Salafisten.
„Unter den muslimischen Organisationen, die teilnehmen, sind mehrere, die einen Verdachtsstatus haben. Wir sind nicht naiv, aber auch nicht ängstlich“, sagt Gunther Jancke vom Deutschen Institut für Community Organizing der Katholischen Hochschule für Sozialwesen in Berlin. Es gibt durch die Zusammenarbeit nichts zu verlieren, aber wir könnten Menschen, die frustriert sind über mangelnde Mitsprache, in die Mitte der Gesellschaft holen.“ Das von Leo Penta gegründete Institut begleitet die neue Plattform. Penta, der seit 30 Jahren solche Plattformen gründet – etwa die in Schöneweide – sagt: „Die Neuköllner bringen eine Vision mit einer großen Aktion zusammen.“