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Alltag und Ausnahmezustand. Zwei Tage nach dem tödlichen Schuss posieren Touristen vor dem Neptunbrunnen, Kerzen erinnern an das Opfer.
©  Kai-Uwe Heinrich

Tödliche Schüsse vor Rotem Rathaus in Berlin: Nach dem Schock: Elektroschocker

Der Todesschuss auf einen geistig Verwirrten im Neptunbrunnen vorm Roten Rathaus in Berlin provoziert eine neue Debatte über Elektroschockpistolen. Die SPD sperrt sich.

Die Stimmung am Neptunbrunnen ist mies. „Heute schon einen erschossen?“, pöbelt ein Angetrunkener die Polizisten an, die einige Meter weiter mit ihrer rollenden Wache stehen. Ein anderer legt nach: „An jedem Kiesteich könnt ihr Nackte erschießen.“ Zwei Tage nach dem tödlichen Schuss auf einen mit einem Messer bewaffneten geistig Verwirrten hält die Kritik an dem Einsatz an. Wie es am Wochenende bei der Staatsanwaltschaft hieß, ist der Schusswaffengebrauch offensichtlich in Notwehr erfolgt. Wie berichtet, war der 31-jährige Manuel F. an einem Lungendurchschuss gestorben. Das Vorgehen der Polizisten soll auf der nächsten Sitzung des Innenausschusses des Abgeordnetenhauses besprochen werden.

Durch den Vorfall hat die Debatte über die Anschaffung von Elektroschockpistolen neue Bedeutung bekommen. Seit zwölf Jahren gibt es bei Berlins Polizei diese Taser genannten Geräte, die Menschen außer Gefecht setzen, sie aber in der Regel nicht töten. Bislang hat allerdings lediglich das Spezialeinsatzkommando vier Geräte. Der Taser verschießt zwei winzige Pfeile, die durch sechs Meter lange Drähte mit der Waffe verbunden sind, darüber fließen für wenige Sekunden 50 000 Volt, die die getroffene Person kurz bewegungsunfähig machen. Der Taser gilt als mildere Alternative zur Schusswaffe, gesundheitliche Folgen hat der Einsatz nur in Ausnahmefällen.

Dennoch gilt der Taser in Berlin als Schusswaffe, nur die CDU fordert vorbehaltlos den Einsatz. Deren Parteichef, Innensenator Frank Henkel, hatte sich früher als Oppositionsführer dafür starkgemacht. Als Senator ist er zwar immer noch dafür, verweist jedoch auf „fehlende politische Mehrheiten“. In der Tat lehnt der Koalitionspartner SPD eine breitere Verwendung rundweg ab. Der innenpolitische Sprecher der SPD, Thomas Kleineidam, sagte, dass der Taser „kein Alltagsmittel“ der Polizei werden dürfe. Er verwies auf Todesfälle durch Elektroschocker vor allem in den USA.

Dabei war die Polizei unter dem früheren SPD-Innensenator Ehrhart Körting schon weiter. 2010 hatte der damalige Polizeipräsident Dieter Glietsch auf eine Anfrage des Tagesspiegels mitgeteilt, dass „eine Einstufung des Tasers als Hilfsmittel sachgerecht wäre“. In Ländern wie Niedersachsen gilt der Taser als Hilfsmittel, wie Knüppel oder Pfefferspray. In Berlin ist der Taser seit 2001 knapp 20 Mal eingesetzt worden, überwiegend gegen Selbstmörder, seltener gegen Straftäter

Unterdessen streitet die SPD weiter über ein anderes Hilfsmittel: das Pfefferspray. Die SPD-Jugendorganisation Jusos hatte ein „grundsätzliches Verbot“ für Reizgas gefordert. Kleineidam nannte dies abstrus. Auch viele Beamte und die CDU warnen davor, das derzeit einzige Distanzmittel der Polizei zu verbieten.

Schüsse auf Menschen haben Berliner Polizisten im vergangenen Jahr 92 Mal abgegeben, dabei wurden ein Mensch getötet und einer verletzt. Diese Zahlen nannte Polizeisprecher Stefan Redlich jetzt. Neben den beiden Schüssen auf Menschen gab es 61 Schüsse auf Tiere, sieben Warn- und Signalschüsse in die Luft sowie 21 unbeabsichtigte Schüsse. In den vergangenen drei Jahren ist in Berlin jeweils ein Mensch von der Polizei erschossen worden – in allen Fällen waren die Opfer geistig Verwirrte. 2011 starb in Reinickendorf eine Frau, die aus ihrer Wohnung zu einer Untersuchung gebracht werden sollte. 2012 starb ein Mann, der mit einer Axt bewaffnet im Wedding Menschen bedrohte. Und nun Manuel F.

Jörn Hasselmann

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