Tödliche Schüsse vor Rotem Rathaus in Berlin: Einsatz am Neptunbrunnen „von A bis Z rechtswidrig“
Am Freitag wurde ein 31-Jähriger bei einem Polizei-Einsatz am Berliner Neptunbrunnen erschossen. Polizisten und Juristen kritisieren den Vorgang scharf. Hätte der Tod des Mannes verhindert werden können?
Die tödlichen Schüsse eines Beamten am Neptunbrunnen werden von Experten aber auch innerhalb der Polizei massiv kritisiert. Bei dem Einsatz seien zahlreiche schlimme Fehler gemacht worden, sagte ein Polizeirechtsexperte am Sonnabend, der das Vorgehen als „von A bis Z rechtswidrig“ kritisierte. Zudem seien durch die Schussabgabe „erkennbar Unbeteiligte gefährdet worden“.
Wie berichtet, hatte ein Beamter des Abschnitts 32 einen 31-Jährigen mit einem Lungendurchschuss tödlich verletzt. Der nach offiziellen Angaben mutmaßlich verwirrte Manuel F. war zuvor nackt in den Brunnen gestiegen und hatte sich mit einem Messer selbst verletzt. Zeugen hatte gegen 9.30 Uhr die Polizei alarmiert. So schilderte das Präsidium am Freitagnachmittag die nächsten Minuten: „Ein Beamter stieg zu dem Unbekleideten in den Brunnen, um ihn von weiteren Selbstverletzungen abzuhalten und ihm das Messer abzunehmen. Daraufhin bedrohte der Mann den Polizisten mit der Waffe, machte Stichbewegungen in dessen Richtungen und ging auf ihn zu. Der Bedrohte wich aus, stieß dann aber rücklings an die Begrenzungsmauer des Brunnens, womit ihm ein weiterer Rückzug plötzlich unmöglich war. Er und sein Kollege forderten nun den Angreifer, der weiter auf den Beamten zuging, mehrfach auf, das Messer fallen zu lassen. Als dieser jedoch nicht reagierte und bereits unmittelbar vor dem im Wasser stehenden Polizisten war, gab der angegriffene Beamte einen Schuss ab und traf ihn in den Oberkörper.“
Experten stellt das nicht zufrieden. Viele Fragen bleiben offen: Wieso ist nur ein Beamter in den Brunnen gestiegen, ohne jede Absicherung durch Kollegen? Wieso wurde nicht der Schlagstock oder das Reizstoffsprühgerät eingesetzt? „Letztlich hat der Beamte die Notwehrsituation selbst herbeigeführt“, sagt ein renommierter Polizeirechtler. „Es ist mehr als fraglich, ob das notwendig war.“ Denn Manuel F. hatte sich zwar mit dem Messer selbst verletzt, jedoch nicht angekündigt, sich zu töten. Hätte er dies angekündigt, hätten drei Polizisten in den Brunnen steigen können und ihm das Messer mit dem Knüppel, der offiziell „Mehrzweckstock“ heißt, aus der Hand schlagen können.
Warum wurde kein SEK gerufen?
Noch besser wäre es gewesen, das SEK anzufordern, „das wäre in 15 Minuten da gewesen“, sagt ein Polizist. Die Spezialisten hätten Schutzschilde und seien trainiert, Bewaffnete zu überwältigen. Bis zum Eintreffen des SEK hätte die Situation beruhigt und stabilisiert werden müssen: „Das beste Einsatzmittel des Polizisten ist die Sprache“, sagt ein Ausbilder.
Auf den Videoaufnahmen von Zeugen ist zu sehen, dass der Schütze nicht einmal eine Schutzweste anhatte. Erst als Manuel F. getroffen im Brunnen liegt, erscheinen Polizisten mit Schutzweste am Tatort. Deshalb kritisieren Beamte, dass zu schnell und unüberlegt vorgegangen wurde. Dem Vernehmen nach hatten die Beamten vor Ort nicht das SEK angefordert. Eine offizielle Bestätigung gab es dafür am Sonnabend nicht.
Der Einsatz am Neptunbrunnen erinnert Polizeiexperten an einen Fall im Oktober 2012: Damals hatten Polizisten einen mit Messer bewaffneten Randalierer, der sich trotz Knüppel und Pfefferspray nicht bändigen ließ, erschossen. Dem Vernehmen nach sind die Ermittlungen wegen Totschlags gegen die Polizisten immer noch nicht abgeschlossen. Auch im Weddinger Fall war das SEK nicht alarmiert worden, nur diese Spezialisten dürfen die vier vorhandenen Elektroschockpistolen, genannt Taser, einsetzen.
Der CDU-Abgeordnete Peter Trapp forderte am Sonnabend erneut mehr Taser; mindestens jeder Abschnitt müsse ein Gerät erhalten, sagte der Polizeiexperte der CDU. Seit zwölf Jahren werden die Geräte beim SEK getestet, mittlerweile wurden sie knapp 20 Mal eingesetzt. Andere Polizisten verteidigten den Einsatz am Brunnen – im Prinzip. Es sei unklar gewesen, wie stark der Mann verletzt war, er hätte sterben können. „Dann hätten alle der Polizei vorgeworfen, sie sehe untätig zu. wie ein Verwirrter verblutet“, hieß es. Aber selbst die wohlmeinendsten Polizisten sagten: „Der Einsatz hätte anders laufen können.“
Jörn Hasselmann