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Wer viel schwänzt, läuft Gefahr, zu den rund zehn Prozent eines Jahrgangs ohne Abschluss zu gehören.
© Doris Spiekermann-Klaas

Streit um Schule in Berlin-Reinickendorf: Mutter hilflos vor Gericht - weil das Kind ständig schwänzt

Die Tochter der Angeklagten hatte notorisch den Unterricht geschwänzt. Die Mutter hat alles versucht: Weder das Jugendamt noch ein Familienhelfer konnten helfen. Die Richter sagen: Die Frau ist machtlos.

Die Mutter war nicht gleichgültig. Sie weckte die Tochter am Morgen und begleitete sie nicht selten bis zur Schule, sie wandte sich an Ämter. Doch Anika U. schwänzte mit 13 Jahren immer hartnäckiger. Erst Stunden, dann Tage, schließlich Wochen und Monate. Gegen die Mutter wurden Bußgelder verhängt, weil sie ihrer Verantwortung für die Einhaltung der Schulpflicht nicht nachgekommen sei. Es änderte sich nichts. Nun saß Susanne U. auf der Anklagebank und stöhnte hilflos: „Ich habe doch alles versucht, aber meine Tochter ist unbelehrbar.“

Es drohen bis zu drei Jahren Haft

Das Schwänzen führte zu einer Anklage wegen Verletzung der Fürsorge- und Erziehungspflicht gegen die 37-Jährige. Eine Amtsrichterin musste prüfen, ob mit einer Verurteilung zu reagieren ist. Bis zu drei Jahre Haft drohen. Anfang 2013 erhielt eine Mutter neun Monate auf Bewährung, weil ihr Sohn mehr als 1000 Mal gefehlt hatte. Auf ein entlastendes Wort ihrer Tochter konnte Susanne U. (Namen geändert) nicht hoffen. „Sie ist mal wieder nicht nach Hause gekommen“, sagte die gelernte Pflegerin für Menschen mit Behinderung.

Anika U. hatte zwischen 2010 und 2013 notorisch den Unterricht an einer Reinickendorfer Schule geschwänzt. „Sie tauchte fast gar nicht auf“, sagte eine Lehrerin. Gab es einen Grund für ihre Schulverweigerung? Die Lehrerin sagte, man sei an die Schülerin nicht herangekommen. Wer ihre Freunde waren, sei nicht klar geworden. Drogen aber hätten bei dem Mädchen wohl keine Rolle gespielt. Auf den Schulversäumnisanzeigen habe sie immer „Null-Bock-Mentalität“ angegeben.

Die Mutter fühlte sich bestätigt. Hastig zählte sie auf, wer sich mit Anika in den letzten Jahren befasst hat: „Ich bin zum Jugendamt, es kam dann ein Familienhelfer, es brachte nichts.“ Im Mai 2012 habe die Polizei ihr Kind am Schultor abgeliefert. „Nach einer Stunde war sie wieder weg.“ Es sei zu Gesprächen bei einem Familienrichter gekommen. „Der stellte auch fest, dass sie unbelehrbar ist.“ Eine Zeit lang sei Anika in Schleswig-Holstein in einer Jugendeinrichtung gewesen. „Da ging es auch nicht mit ihr, ich nahm sie zurück, sie wollte sich ändern.“

Das Strafverfahren wird eingestellt

Wovon ihre Tochter lebt, wenn sie verschwindet? „Ich weiß nicht“, hauchte die Mutter. Susanne U. lebt derzeit von Hartz IV. Sie hat noch einen Sohn von sieben Jahren, ist alleinerziehend. Schulschwänzen ist eine Gefährdung des Kindeswohls. Deshalb muss sie bereits Bußgelder in Höhe von rund 2000 Euro abstottern. Sie hoffe, dass ihre Tochter „irgendwann klüger wird“, sagte sie hilflos. Nach dem zweiten Prozesstag wurden sich Ankläger und Richterin einig: Das Strafverfahren gegen Susanne U. wird eingestellt.

Schulschwänzer in Berlin: Rund 3500 hartnäckige Schwänzer gibt es in der Hauptstadt – dazu werden Schüler gezählt, die mehr als zehn unentschuldigte Fehltage im Jahr aufweisen. Im letzten Schuljahr gab es über 600 Schüler, die sogar öfter als 40 Tage schwänzten. Es gibt aber auch Präventionsprogramme: Lehrer oder Psychologen reden erst einmal mit Eltern und Schülern. Manchmal holen Sozialarbeiter Kinder eine Weile morgens zu Hause ab. Auch Praxisklassen, in denen Schüler handwerklich arbeiten, sollen helfen.

Die Sanktionen: Schon am ersten Fehltag sollen die Eltern informiert werden. Nach fünf unentschuldigten Fehltagen im Halbjahr gibt es eine Schulversäumnisanzeige. Dann drohen Bußgelder und (selten) die polizeiliche Zuführung der Kinder.

Was hilft gegen das Schwänzen? Verhängen Schulen Strafen, ist das oft kontraproduktiv, sagt die Münchner Bildungsforscherin Christine Sälzer. Lesen Sie mehr in unserem Tagesspiegel-Text unter diesem Link.

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