Maßnahmen gegen Schulschwänzer: Ab in die Schule - die Regeln werden verschärft
Was hilft gegen notorisches Schwänzen? Die Bezirke verfolgen unterschiedliche Konzepte.
Der Fall des 17-jährigen Jungen aus Reinickendorf, der über 1000 Mal geschwänzt hat und nun, zehn Jahre nach seiner Einschulung, kaum lesen und schreiben kann, lässt viele ratlos zurück. Denn es ist ja nicht so, dass die Behörden nicht reagiert hätten: 15 Bußgeldbescheide wurden gegen seine Mutter verhängt, der Junge wurde zweimal von der Polizei zur Schule gebracht, ein sozialpädagogischer Dienst suchte die Familie auf, wenn auch nur ein einziges Mal. Am Donnerstag schließlich wurde, wie berichtet, die Mutter wegen Verletzung der Fürsorgepflicht zu einer Bewährungsstrafe verurteilt, doch für die Schulbildung des Jungen bringt das jetzt auch nichts mehr.
Der Reinickendorfer Junge ist einer von rund 3500 Schülern in Berlin mit mehr als zehn unentschuldigten Fehltagen im Jahr. 630 Berliner Schüler fehlten im ersten Halbjahr des Schuljahres 2012/13 sogar mehr als 40 Tage ohne Entschuldigung. Diese Zahlen bewegen sich seit Jahren auf einem ähnlich hohen Niveau. Das Problem ist auch der Bildungssenatorin bewusst. „Zwar beobachten wir statistisch keine Zunahme in der weiterführenden Schule, dennoch stellt die konstant hohe Zahl eine drängende Herausforderung dar“, sagt Sandra Scheeres (SPD). Schuldistanz, so das behördliche Wort für das Phänomen, könne zu Schulverweigerung, Delinquenz und Schulabbruch führen. Scheeres setzt auf mehr Prävention und will die Sozialarbeit an Schulen weiter stärken. Langfristig soll jede Schule mit einem Jugendhilfeträger zusammenarbeiten. Scheeres sagt aber auch: „Wir müssen auch die Eltern stärker in die Pflicht nehmen.“
Bei 116 Anzeigen nur ein Bußgeld
„Kern des Problems ist, dass Bezirke unterschiedlich reagieren und es an einheitlichen Vorgaben fehlt“, sagt der SPD-Abgeordnete Joschka Langenbrinck, auf dessen Initiative ein Antrag der Regierungsfraktionen zurückgeht, nach dem gegen das Schwänzen konsequenter vorgegangen werden soll. Schulen würden Schwänzer unterschiedlich schnell an die Schul- und Jugendämter melden, sagt Langenbrinck. Auch bei der Verhängung von Bußgeldern und Anzeigen gibt es Unterschiede. In Neukölln etwa wurden im Schuljahr 2011/12 777 Schulversäumnisanzeigen gestellt und 300 Bußgeldverfahren eingeleitet, in Friedrichshain-Kreuzberg gab es dagegen bei 116 Anzeigen nur ein einziges Bußgeld. Bezirksbürgermeisterin Monika Herrmann (Grüne) erklärt das damit, dass es kaum noch Rückfälle bei Schwänzern gebe, seit sich im Schulamt eine Sozialarbeiterin nur um diese Fälle kümmere – nach Angaben von Herrmann gibt es eine solche Stelle nur in ihrem Bezirk. Die Sozialarbeiterin suche die Familien auf und könne so die Ursache für das Schwänzen ergründen und konkrete Hilfsangebote, beispielsweise durch das Jugendamt, vermitteln. „Manche Kinder werden gemobbt und trauen sich nicht in die Schule, das wissen die Eltern manchmal gar nicht. In anderen Familien können Eltern die Briefe der Schule nicht lesen, weil sie kein Deutsch sprechen“, sagt Herrmann. Bußgelder würden das Problem nicht lösen.
Um Bußgelder geht es auch in Langenbrincks Antrag nicht. Es soll aber schneller eine Schulversäumnisanzeige gestellt werden, und zwar schon nach fünf, auch nicht zusammenhängenden unentschuldigten Fehltagen im Jahr, bisher sind es zehn Fehltage am Stück. Langenbrinck will zudem eine bessere Koordination der Behörden. „Es muss in jedem Bezirk eine AG Schulpflicht geben, dort sollen sich Vertreter von Jugendamt, Schulaufsicht und Sozialarbeit zusammensetzen, über die hartnäckigen Fälle sprechen und ihr Handeln abstimmen.“
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