Neubau in Berlin: Müller und Lompscher gehen auf Wohnungsbesichtigung
Regierungschef Müller und Bausenatorin Lompscher gehen gemeinsam auf Wohnungsbesichtigung. Eine Versöhnungstour nach dem wiederholten Ärger?
Michael Müller umkurvt die Reisegruppe, kurz hält er am Tisch mit den Schnittchen: „Muss mal frühstücken“, sagt der Regierende Bürgermeister. Ein guter Zeitpunkt, ihn mal frisch zu fragen nach seinem Motiv, mit der Senatorin für Stadtentwicklung und Wohnen Katrin Lompscher sechs Stunden lang Neubauten zu besichtigen, die quer über die Stadt verteilt sind. „Ist das hier die Neubau-Versöhnungs-Tour?“ Er prustet, fängt sich schnell wieder und gibt geschmeidig zurück: „Da gibt es nichts zu versöhnen.“
Schönste Eintracht prägt das Verhältnis des Sozialdemokraten und der Linken-Politikerin aber auch nicht wirklich. Wiederholt hatte Müller angekündigt, den entschleunigten Bau neuer Wohnungen seit Lompschers Dienstantritt jetzt selbst mit anpacken zu wollen. Ebenso oft konterte Lompscher mit dem Hinweis auf ihre Ressortzuständigkeit. Und mit der wachsenden Zahl regulierender Gesetze und Maßnahmen zum Mieterschutz sowie der im gleichen Takt steigenden Wählerzustimmung für die Linkenpolitiker in Umfragen, schwächte sich die Drohkulisse des Senatschefs ab.
„2500 Interessenten für 351 Wohnungen“
Ein Dutzend Anhänger der Jungen Union pfeifen und schmettern Rücktrittsforderungen gegen Lompscher an der Bleichenroder Straße in Pankow. „Flitzpiepen“, sagt Müller kurz und nimmt Lompschers Einladung an, einfach weiterzugehen. Der Neubau der „Gesobau“ erinnert etwas an den BND-Koloss. Bei der Besichtigung sagt Lompscher: „Ich würde die Wohnung nehmen.“ Dabei ist es eher düster im Erdgeschoss, das Nachbarhaus steht nahebei. Und Gespräche unterbricht das Donnern der Düsenmaschinen, die Tegel anfliegen. Aber das soll sich ja eines schönen Tages mit der Eröffnung des BER ändern. Dem Chef der landeseigenen Gesobau, Jörg Franzen, jedenfalls ist nicht bange: „Es gibt 2500 Interessenten für die 351 Wohnungen“ – Leerstand ausgeschossen.
Nächste Station Amrumer Straße im „Arbeiterviertel“ Wedding. Hier baut die Gewobag Studentenwohnungen für 350 Euro, inklusive W-Lan. 190.000 Studenten gibt es in der Stadt, und „für das Geld kriegen die kein WG-Zimmer“, sagt Gewobag-Chefin Snezana Michaelis. Lompscher findet das gut, kennt die Not der Studentenjahre. Sie wohnte mit drei Kommilitoninnen in Weimar auf 25 Quadratmetern. Das gab einen Abzug von 15 DDR-Mark vom Stipendium über 100 Euro. Das tat weh. Michael Müller zog mit Anfang 20 in die erste eigene Wohnung: 38 Quadratmeter groß, in Tempelhof, wo er in der Druckerei seines Vaters mitarbeitete. Billig war das schon damals nicht: 10 Mark je Quadratmeter.
Streicheleinheit für Bausenatorin
Die Amrumer Straße ist nicht weit von Berliner Hochschulen entfernt, um die Vermietung der Zimmer macht sich die Gewobag-Chefin keine Sorge. Michaelis kennt selbst auch die Wohnungsnot West aus Studentenzeiten: Sie wohnte zur Untermiete bei einem Fernfahrer in Konstanz, besser immerhin als einige Kommilitonen, die erst mal zelten mussten.
Zurück zum Bus und los geht’s mit der „rollenden Pressekonferenz“. Müller macht den Anfang und lobt die „städtischen Wohnungsunternehmen“ als „wichtigste Partner“ des Senats im Kampf gegen die Wohnungsnot. Nur hier könne die Politik darauf Einfluss nehmen, „wann und wo gebaut wird und zu welchen Quadratmeterpreisen“. Außerdem trügen die Firmen mit sozialen und kulturellen Angeboten in den Quartieren bei.
Müller hofft, dass der Bund dessen Grundstücke und Wohnungen doch noch an Berlin verkauft, um das städtische Angebot zu erweitern. Er schimpft auf das Gutachten eines Beirats des Bundeswirtschaftsministeriums, das die Abschaffung von Mietpreisbremse und Sozialem Wohnungsbau empfiehlt. Und er verteidigt die Regulierungen des Wohnungsmarktes in Berlin, wo über 80 Prozent aller Menschen zur Miete wohnen. Er schließt mit versöhnlichen, an Lompscher gerichteten Worten: „In allem, was die Senatorin braucht, wird das Rote Rathaus Unterstützung“ bieten, um der Wohnungsnot zu begegnen.
Die Streicheleinheit kommt gut an. Lompscher verteidigt ihren Kurs: Mehr als die Hälfte der Berliner hätten Anspruch auf eine Sozialwohnungen. Und die könnten eben keine elf Euro Miete pro Quadratmeter bezahlen, wie sie immer häufiger verlangt werde. „Sozialen Anker“ nennt sie deshalb die landeseigenen Firmen. Sie sagt auch, womit Müller helfen könnte: „Mit Grundstücken zum Festpreis für gemeinnützige Bauherren“ – für Genossenschaften zum Beispiel, die sonst keinen bezahlbaren Wohnraum schaffen könnten.
Und die Gretchenfrage, ob der Senat tatsächlich seine Wohnungsbauziele verfehlt? Lompscher rechnet mit 25.000 neuen landeseigenen Wohnungen in dieser Legislatur, 5000 weniger als im Koalitionsvertrag versprochen. Eine kleine Chance bestünde allenfalls, wenn von den 60.000 genehmigten aber nicht gebauten Wohnungen mehr realisiert werden. Aber das liegt nicht in ihrer Macht.
Investitionen verdoppelt - Landeseigene Unternehmen auf Rekordkurs
Die sechs landeseigene Firmen haben ihre Investitionen in Neubau und Sanierung innerhalb von fünf Jahren von 532 Millionen auf 1,1 Milliarden Euro verdoppelt. Davon flossen 661 Millionen Euro in den Neubau. In laufenden Jahr soll dieser Betrag noch einmal fast verdoppelt werden.
Bis zum Jahr 2021 wollen die sechs Firmen 32.000 neue Mietwohnungen schaffen an 211 Standorten. Am meisten bauen sie in Lichtenberg (6043 Wohnungen), in Marzahn-Hellersdorf (5618), in Treptow-Köpenick (4407) und in Spandau (3927). Die Hälfte aller Wohnungen bekommen Mieter für 6,50 Euro, weil sie öffentlich gefördert sind. Die andere Hälfte bieten sie zu Mieten von weniger als zehn Euro je Quadratmeter im Durchschnitt an.
Die sechs städtischen Firmen verlangen von ihren Bewohnern durchschnittlich Preise, die weit unter dem Mietspiegel liegen: 5,98 Euro je Quadratmeter im Schnitt (Mietspiegel: 6,39). Wird eine Wohnung frei, verlangen die Städtischen ebenfalls weniger als am Markt üblich: Mit 7,09 Euro je Quadratmeter im Durchschnitt fast drei Euro weniger als die in Berlin übliche „Angebotsmiete“ (9,79 Euro). Knapp 70.000 Wohnungen wollen die Städtischen bis zum Jahr 2026 neu bauen, sie seien „größter Projektentwickler Deutschlands“. Weil sie außerdem Wohnungen hinzukaufen, soll der städtische Bestand bis 2026 auf 400.000 Wohnungen steigen.
Für den Neubau hat das Land den sechs Firmen freie Grundstücke übertragen. Diese appellierten am Freitag aber an den Senat, mehr „bezahlbares Bauland“ bereit zu stellen. Im Auge haben sie Liegenschaften des Bundes wie die frühere Kasernen der Cité Foche, aber auch Elisabeth-Aue und Tempelhofer Feld.