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Die BND-Zentrale. Kritiker sagen, sie sei ein abgeschirmter Bau, der den Stadtteil regelrecht zerschneidet.
© imago/PEMAX

Berlin-Mitte: Die neue BND-Zentrale und ihre Nachbarn

135.000 Kubikmeter Beton, 20.000 Tonnen Stahl, abgeschottet von der Umgebung. Die Zentrale des Bundesnachrichtendienstes spaltet das Viertel. In Alte und Neue, Gewinner und Verlierer.

Ein hoher Zaun, gesichert und überwacht. Die andere Seite unerreichbar. Es ist ein Bild, das Werner Jacob aus seiner Kindheit kennt. Nur wenige Schritte von seinem Elternhaus entfernt, begann damals der Todesstreifen. Und vor der Haustür lag das „Ende der Welt“, wie Jacob es heute ausdrückt.

Knapp drei Jahrzehnte später teilt wieder ein Bauwerk seine Nachbarschaft. 36 Fußballfelder groß, 283 Meter lang erstreckt sich die dreiflügelige neue Zentrale des Bundesnachrichtendienstes längs der Chausseestraße in der Nordwestecke des Berliner Ortsteils Mitte. Eine Häuserreihe versperrt zwar Jacobs Blick aus dem Fenster auf den Neubau, doch nur 50 Meter Luftlinie trennen ihn von den „Schlapphüten“. So nennt Jacob seine neuen Nachbarn.

2006 wurde der erste Spatenstich für die BND-Zentrale gesetzt und ein Bauzaun aus braunen Pressspanplatten errichtet. 2,50 Meter hoch, blickdicht. Schilder an den Zufahrten warnten Neugierige: striktes Fotografierverbot und Videoüberwachung. Doch das machte Jacob erst recht neugierig. Ab und zu ging er in ein benachbartes Treppenhaus, wo man durch ein kleines Fenster das Geschehen überblicken konnte. Viel Fortschritt sah er nicht, die Bauarbeiten zogen sich über Jahre in die Länge.

Er wirkt wie ein gigantischer Keil

Bis 2013 sollte das Gebäude ursprünglich bezugsfertig sein und 730 Millionen Euro kosten. Doch Anfang 2018 ist der Großteil der 4000 Mitarbeiter immer noch nicht eingezogen, die Baukosten betragen 1,04 Milliarden Euro. Das Bauministerium erklärt das mit „unvorhersehbaren Sachverhalten“. Baupläne wurden gestohlen, bei einem mutmaßlichen Sabotage-Akt entstand ein immenser Wasserschaden, es kam zu Fällen von Pfusch am Bau, beteiligte Firmen wurden insolvent.

Doch jetzt steht er tatsächlich da, der bislang größte Neubau des Bundes. Seiner Natur als Sitz eines Geheimdienstes gemäß abweisend gegenüber allem, was ihn umgibt – in seinen Dimensionen wirkt er wie ein gigantischer Keil, der in das Quartier getrieben wurde. Ein Keil, der trennt. Den Westen des Viertels vom Osten, das Alte vom Neuen, Gewinner und Verlierer. In Menschen wie den Korbflechter Werner Jacob, für die hier gerade etwas zu Ende zu gehen scheint, und jene, die auf dem BND-Gelände und drumherum gerade neu anfangen.

Jacob, Typ Berliner Schnauze unter Schnäuzer, seine rauen Hände zeugen von der Verarbeitung von abertausenden Metern Bast, Weide, Reisig, Rattan und Binsen. In seinem „Nano-Imperium“, wie er seinen Betrieb nennt, ist er Alleinherrscher. Unbeherrschbar hingegen ist das, was vor seiner Tür passiert.

Handwerker waren hier einmal allgegenwärtig

Wenn Makler heute über das Gebiet rund um das BND-Gebäude sprechen, benutzen sie Worte wie „Bestlage“ oder „Trendviertel“. Das kann in den Ohren eines alteingesessenen Handwerkers bedrohlich klingen. Und fast hätte es Werner Jacob auch erwischt. Vor fünf Jahren lag die Kündigung schon im Briefkasten. Doch die Hausverwalterin setzte sich beim Vermieter für ihn ein. Er durfte bleiben und miterleben, wie sich um ihn herum alles veränderte.

Sein Familienunternehmen besteht seit drei Generationen und feiert in diesem Jahr hundertjähriges Jubiläum. Nur das Haus in der Habersaathstraße 32, einer der wenigen erhaltenen Gründerzeitbauten im Kiez, ist älter. Hier hat er sein Geschäft, hier hatte schon sein Vater sein Geschäft. Originale Türen, originale Treppe und die Schaufenster so alt, dass das Glas unten spürbar dicker ist. Jacob zeigt in die Ecke neben dem Eingang. Dort saß er als Säugling in den halbfertigen Körben seines Vaters, und dort auf der anderen Seite fertigte er mit acht Jahren seinen ersten eigenen Korb.

Handwerker waren hier in Jacobs Jugend noch allgegenwärtig. Da war der Schneider, der Uniformen für die Volksarmee nähte. Der Bäcker in der Nachbarstraße. Und natürlich der Fleischer an der Ecke, der eine Kuh im Hinterhof hielt, die hier alle versorgte. Jacob selbst lief als kleiner Junge mit der Milchkanne dort hin.

„Da war dann endgültig Schluss mit Weltjugend“

Heute ist er 63. An Bautätigkeiten in der Nachbarschaft hat er sich gewöhnt. Schon kurz nach der Wende kaufte sich ein Hamburger Investor nach dem anderen in der Nachbarschaft ein. Sie verkalkulierten sich, stießen die Immobilien wieder ab und verschwanden über Nacht. „Da konnte ich vor meinem Fenster lernen, wie der Kapitalismus funktioniert“, sagt Jacob heute. Wo nun das BND-Gebäude steht, befand sich damals noch das Stadion der Weltjugend. Mit 70000 Plätzen war es eine der größten Sportstätten der DDR. Doch dem Rückbau des sozialistischen Staates folgte auch der Abbruch des Stadions.

„Da war dann endgültig Schluss mit Weltjugend“, sagt Jacob mit einer gewissen Genugtuung in der Stimme. Auch wenn danach viel anderer „Käsekram“ auf dem Gelände betrieben wurde. So nennt Jacob die Dinge, mit denen er nichts anfangen kann: der Übungsplatz für Golfabschläge oder die Beachvolleyfelder.

Moderne Zeiten. Korbmacher Werner Jacob hat in seiner Werkstatt in der Habersaathstraße nur noch wenig Kundschaft.
Moderne Zeiten. Korbmacher Werner Jacob hat in seiner Werkstatt in der Habersaathstraße nur noch wenig Kundschaft.
© Doris Spiekermann-Klaas

Dann kam der Neubau der BND-Zentrale. Und die emsigen Arbeiten endeten nicht am Bauzaun. Man wolle „die Leere im ehemaligen Grenzgebiet überwinden“, verkündete die damalige Stadtentwicklungssenatorin Ingeborg Junge-Reyer im Jahr 2007. Ein Jahrzehnt später ist die Ödnis aus Stadionbrache, Todesstreifen und Baulücken zahlreichen Neubauprojekten gewichen. Gesteuert wurde der Wohnungsbau von der Politik damals kaum, erinnert sich Mittes Baustadtrat Ephraim Gothe. Die Neugestaltung des Quartiers folgte also den Gesetzen der Marktwirtschaft. Was das heißt, lässt sich heute begutachten: In der neuen Chausseestraße lebt man gehoben und hochpreisig.

Bis zu 15000 Euro kostet der Quadratmeter

Auffälligstes Objekt ist ein Gebäude des amerikanischen Star-Architekten Daniel Libeskind, direkt gegenüber des Haupteingangs der BND-Zentrale. „Sapphire“ heißt es. 72 Eigentumswohnungen, bis zu 15000 Euro kostet der Quadratmeter. Die Käufer kommen aus Westdeutschland, den USA, Russland, China und Dubai. In der gleichen Straße entstanden knapp 400 Wohnungen in den „Feuerlandhöfen“, 270 Wohnungen im Neubau „The Mile“ und rund 280 Wohnungen im Projekt „The Garden Living“.

Mit dem Wandel des Quartiers hat sich auch Jacobs Arbeit fundamental geändert. Früher verkaufte er Dinge für den täglichen Gebrauch. Das übernimmt heute Ikea. Er verlagerte seine Arbeit stattdessen auf kostbare Erb- oder Sammlerstücke. Die Möbel, bei denen er das Geflecht erneuert, erzählen aus einer besseren Zeit seiner Zunft.

Düster ist es in seinem Laden. Zusammengerolltes Wabengeflecht liegt zwischen maroden Antiquitäten und unverarbeitetem Peddigrohr. Einst hatte er sieben Angestellte, das war aber noch zu Zeiten der sozialistischen Planwirtschaft. Heute leisten ihm nur noch weiße Mäuse in einem Terrarium Gesellschaft.

Mit dem Sicherheitsapparat hat er keine guten Erfahrungen gemacht

Schräg gegenüber von Jacobs Haus steht das BND-Besucherzentrum, das weltweit erste eines Geheimdienstes. Mit seinem Umzug wollte der BND ein neues, offensives Verhältnis zur Gesellschaft wagen und sich nicht mehr abschotten wie im bayrischen Pullach. Mantraartig beschrieb BND-Präsident Bruno Kahl das Berliner Gesicht des Geheimdienstes mit Begriffen wie „Kooperation, Offenheit, Sichtbarkeit“. Auch der zufällige Flaneur solle sich vor Ort informieren können. Der steht derzeit aber noch vor verschlossenen Türen, erst 2019 öffnen sich die Pforten für Besucher.

Selbst wenn bis Ende 2018 tatsächlich alle BND-Mitarbeiter eingezogen sein sollten, von den neuen Nachbarn verspricht sich Jacob wenig: „Die sind doch eine Stadt in der Stadt. Abends setzen sie sich in ihre Blechbüchsen und sind weg“. Überhaupt, mit dem Sicherheitsapparat hat er keine guten Erfahrungen gemacht. Seine Frau empörte sich über DDR-Parteifunktionäre und erhielt ein Berufsverbot. „Und was das Spitzeln angeht, hat sich doch nicht viel geändert.“

Seit 1996 macht Jacob keinen Urlaub mehr. Das kann er sich bei der dünnen Auftragslage nicht erlauben. 58000 Möbelstücke sollen in der neuen BND-Zentrale stehen, aber bei ihm hat sich niemand gemeldet. „Die da oben“ interessieren sich eben nicht mehr für die kleinen Handwerker. Also verfährt Jacob weiter nach dem Prinzip Überlebenskünstler, das hat schon vor 30 Jahren im Überwachungsstaat funktioniert. Warum nicht auch neben der Überwachungszentrale?

Der BND ist autark

Einer, der Jacobs Hadern nachvollziehen kann, ist der Wissenschaftler Aljoscha Hofmann, der mit seiner Initiative „Think Berl!n“, einer Vereinigung von Architekten und Stadtplanern, den Bau der BND-Zentrale kritisch begleitet.

Für Hofmann ist die BND-Zentrale ein abgeschirmter Bau, der den Stadtteil regelrecht zerschneidet. Aus Sicherheitsgründen steht das Hauptgebäude in einer Senke, weit weg von der Straße. So ist es zwar gegen Anschläge geschützt, eine architektonische Berührung mit dem Quartier wird dadurch aber verhindert. Der BND ist autark, inklusive eigenem Logistikzentrum, Energiezentrale und Parkhaus für 600 Autos. Hofmann befürchtet, dass ein nachhaltiges und lebendiges Quartiersleben mit florierendem Kleingewerbe so erschwert werde: „Ein so abweisender Komplex gehört einfach nicht in die Stadt.“ Zudem sei davon auszugehen, dass viele der umliegenden Immobilien als Anlageobjekte oder Firmenwohnungen für durchreisende Geschäftsleute angekauft wurden.

Zwei Männer, die den Bau von Anfang an begleitet haben, sehen das anders: Mittes Bezirksstadtrat für Stadtentwicklung Ephraim Gothe und der ehemalige Senatsbaudirektor Hans Stimmann. Die Entscheidung des BND für Berlin sei kurz nach der Jahrtausendwende „eine ganz große Nummer“ gewesen, erinnert sich Gothe. Das Versprechen: Tausende Arbeitsplätze und die Belebung des Ödlandes rings um die Chausseestraße.

„Der Nachrichtendienst gehört in die Stadt“

Auf mehr Durchlässigkeit, mehr Berührungspunkte mit dem Quartier wollte sich der BND nicht einlassen. Der Geheimdienst bestand auf ein abgeriegeltes Raumschiff. Kompakt, vernetzt und vor allem sicher. Keine Durchgänge wie beim Neubau des Berliner Stadtschlosses.

Auch wenn die Integration des BND schwierig werde, betont Stimmann: „Der Nachrichtendienst gehört in die Stadt, nicht auf die Wiese.“ Schließlich garantiere der Standort nicht nur eine effektive Arbeit der Regierung und eine transparentere Außenwirkung der Institution, sondern auch „mehr Realitätssinn der dort Beschäftigten“, wie Gothe betont.

Ein Freund der Realität ist auch Egon Brandstetter. Nur wenige Meter von „Korb-Jacob“ entfernt, beugt sich der 41-Jährige über seine Schnittmuster. Passanten können dem Maßschneider von der Straße aus bei der Arbeit zuschauen. Akkurates weißes Hemd, schwarze Schneiderschürze, ein Maßband um den Hals. Sein modernes, aufgeräumtes Atelier wird von Tageslicht durchflutet. Mit Stolz präsentiert er sein Handwerk den Vorbeigehenden hinter einem großen Schaufenster. Maximale Transparenz in unmittelbarer Sichtweite des Geheimdienstes.

Gegenüber 14000 Fenster, hier 5000 Stoffe

Die da drüben haben zwar 14000 Fenster, diese sind aber dunkel getönt und abhörsicher. Gleichförmig angeordnet wie die Nähte in Brandstetters Anzügen ziehen sie sich über die endlose Fassade der BND-Zentrale. Die Planer bezeichnen es als „nicht-abweisende Monumentalität“ und „luxuriöse Nüchternheit“, Stadtbaurat Gothe als „angemessene und ehrliche Architektursprache“. Der Schneider, der täglich mit dem Anblick konfrontiert ist, sagt, man hätte es „sicherlich schöner gestalten können“.

Brandstetter stammt aus Steyr in Österreich und lernte sein Handwerk in den bedeutendsten Modemetropolen Europas, zog von London und Rom über Florenz bis nach Paris. Als er schließlich in Berlin landete, brachte er nicht nur ein Jahrzehnt der Expertise mit, sondern auch seine kosmopolitische Grundeinstellung. Wie selbstverständlich präsentiert er seine Arbeit in sozialen Medien auf Englisch.

Spione im Spiegel. Maßschneider Egon Brandstetter hat sein Atelier genau gegenüber der BND-Zentrale.
Spione im Spiegel. Maßschneider Egon Brandstetter hat sein Atelier genau gegenüber der BND-Zentrale.
© Doris Spiekermann-Klaas

Längst kommen internationale Geschäftsmänner auf dem Weg zum Flughafen Tegel auf eine Stippvisite herein, um ihre Maße nehmen zu lassen. Aus 5000 Stoffen können die Kunden bei ihm wählen. 80 Arbeitsstunden und 12000 Handstiche fließen in die Anfertigung eines zweiteiligen Anzugs. Ein maßgeschneidertes Hemd bekommt man bei Brandstetter ab 350 Euro, einen Anzug ab 3600 Euro. Das können sich nur wenige der alteingesessenen Berliner leisten.

Ein Gesichtsscanner erkennt, wer rein darf

Als er 2009 einzog, wusste er zwar, dass der BND sein Nachbar werden würde, doch die Lage wählte er in erster Linie, weil die Mieten hier noch günstig waren. Damals blickte er noch auf den Bauzaun. Nach zwei Jahren wuchs ein Gerüst darüber. Täglich konnte er verfolgen, wie 135000 Kubikmeter Beton und 20000 Tonnen Stahl langsam Gestalt annahmen. Er sah, wie hochgewachsene Kiefern eingepflanzt wurden, er sah, wie sie im Sturm wieder umknickten.

Nie gesehen hat er hingegen die zwei Lichthöfe im Inneren des Hauptgebäudes, die sich acht Geschosse hoch erstrecken und den Blick auf den Berliner Himmel freigeben. Nie gesehen hat er die Unterrichtsräume, Labore, Fachbibliotheken, das angeschlossene Internat für Auszubildende und Studenten. Oder auch nur eines der 3300 Büros, die mit solchen Unmengen an Glasfaserkabeln verbunden sind, dass man damit die Erde halb umrunden könnte.

Für Unbefugte ist an den Torhäusern Schluss. Ein Gesichtsscanner erkennt, wer rein darf und wer nicht. Und selbst BND-Mitarbeiter können mit ihrer Schlüsselkarte nur in ihren Arbeitsbereich.

Die Mode geht mit der Zeit - wie die Stadt

Im Film tragen Agenten immer Anzug, doch ein James Bond von der Chausseestraße ist Brandstetter noch nicht unter das Maßband geraten. Zumindest kein bekennender. BND-Mitarbeiter dürfen ihre Profession gegenüber Fremden ohnehin nicht preisgeben. Es sind aber auch eher die Zugezogenen aus den neuen, umliegenden Wohnanlagen, auf die Brandstetter setzt. Sie bringen das Geld mit, das man braucht für einen Maßanzug oder den Feinkostladen, den ein Freund Brandstetters in der Seitenstraße eröffnet hat.

Natürlich kennt auch er Menschen, die über den Verlust des alten Kiezcharakters klagen. Doch Wandel, Attraktivitätssteigerung und Internationalität sind Begriffe, die Brandstetter nicht mit Gefahr, sondern mit Chancen verbindet.

Er schreitet zu einer alten Schneiderpuppe am Eingang des Geschäftes, deutet auf das enge Korsett und die ausladende Form des Hinterns. Vor hundert Jahren sei dies nun mal der Trend gewesen. Heute aber kleide sich niemand mehr so. Die Mode geht wie die Stadt mit der Zeit – und mit ihr der Schneider.

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