So genießt man die Gegend um den Scharmützelsee: Mit Röstkaffee und Räucherfisch
Mit frisch aufgebrühtem Kaffee starten. Fahren, bis der Magen knurrt, und dann rechtzeitig den Fischereihof erreichen. Zum Abschluss Bier und eine Moorleiche.
Bad Saarow begrüßt uns mit Sonnenschein und Bäderarchitektur, als wir aus dem Kurzzug der Niederbarnimer Eisenbahn steigen. Wir, das sind eine Seniorengruppe mit E-Bikes, ein Pärchen mit teuren Trekkingrädern und ich mit meinem Hollandfahrrad, das einen entscheidenden Vorteil hat: Es fährt sich auch mit vollem Bauch sehr komfortabel. Ideal also für eine Genuss-Radtour, die mich am Scharmützel-, Großen Storkower-, Schaplow- und Großen Schauener See entlang zu Fischern, einer Brauerei und einem Schnapsbrenner führen wird.
Es ist früher Vormittag, Zeit für einen zweiten Kaffee in der KaffeeRösterei, die nur ein paar Pedaltritte vom Bad Saarower Bahnhof entfernt liegt. Ich habe die Wahl zwischen etwa einem Dutzend Bohnen aus aller Welt, über deren Eigenschaften handbeschriftete Täfelchen informieren. Habe ich Appetit auf „Vanille-, Haselnuss- und milde Zitronennoten“, die an den Vulkanhängen Guatemalas entstanden sind? Einen kräftig-spritzigen Kaffee aus Burundi?
Ich entscheide mich für den „feinen Gaumenschmeichler“ mit „blumiger Süße“ aus Papua-Neuguinea, den ich im French-Press-Kännchen serviert bekomme, weil das den natürlichen Geschmack des Kaffees besser erhalten soll. Mitsamt einer Eieruhr, damit ich das Kaffeesieb nach exakt zwei Minuten hinunterdrücke. Das duftende Heißgetränk peitscht sein Koffein nicht mit einer Dröhnung Röstaromen in meine Synapsen, sondern es tänzelt schokoladig, fruchtig, leicht vanillig und trotzdem kräftig über meine Zunge.
„Kaffee hat über 1000 Aromen, viel mehr als Wein“, erklärt Heike Straube, die ihre Arbeit an der Röstmaschine kurz unterbricht, als ich sie anspreche. „Sogar Bohnen aus der gleichen Lage schmecken je nach Jahrgang anders.“ Über einen Kaffeeröster in Hamburg, bei dem Straube ihr Handwerk gelernt hat, bezieht sie fair gehandelte Bohnen aus nachhaltig bewirtschafteten, teils kleinen Plantagen. Einmal im Jahr bekommt sie Proben der neuen Ernten nach Bad Saarow geliefert, die sie röstet und verkostet.
In Storkow radeln die Einheimischen auf dem Gehweg
Voller Energie radle ich die leicht abschüssige Seestraße am Kurpark mit der bekannten Saarow-Therme hinab, sehe den Scharmützelsee erst durch die Bäume blitzen und fahre dann direkt an seinem Ufer weiter. Jachten liegen vor Anker, ein Ausflugsdampfer fährt gerade auf den See hinaus.
Es ist ein schöner Anblick, doch nach kurzer Zeit führt mich der Weg vom See weg, über Reichenwalde nach Storkow. Parallel zur Landstraße kann ich Tempo machen, unterbrochen nur von gelegentlichen Wurzelschäden. Es geht leicht bergab durch weite Felder, der Fahrtwind lässt die goldenen Anhänger an meinem Lenker flattern und klimpern.
Am Ortseingang Storkow lande ich unvermittelt auf dem Gehweg. Darf ich hier noch weiterradeln? Die Einheimischen tun es. Aber als mir eine alte Frau mit Rollator entgegenkommt, wechsle ich doch lieber auf die holprige Straße. Überhaupt ist das Durchqueren von Storkow mit dem Fahrrad mühsam. Radwege und Ausschilderungen findet man nur sporadisch und das, obwohl die erste Etappe meiner Tour vom lokalen Tourismusverband unter dem Namen „Adler trifft Zander“ beworben wird.
Die Köllnitzer Fischerstuben sind ein beliebtes Ausflugsziel
Immer wieder muss ich anhalten, um auf dem Handy nachzuschauen, ob ich richtig fahre. Ich radle vorbei an Zucchini, Äpfeln und selbst gekochter Marmelade, die an den Gartenzäunen in Groß Schauen unter bunten Sonnenschirmen auf Kundschaft warten, und erreiche gegen Mittag die Fischerei Köllnitz.
Nach immerhin 16 Kilometern knurrt mein Magen. Ich stelle mein Fahrrad auf dem Fischereihof ab, gleich neben dem Köllnitzer Fließ, das die Fischteiche mit frischem Wasser versorgt, und laufe über eine geschwungene Holzbrücke auf die Restaurantterrasse. Die Köllnitzer Fischerstuben sind ein beliebtes und an diesem sonnigen Tag gut besuchtes Ausflugsziel.
Ich finde trotzdem einen freien Tisch mit Blick über das parkähnliche Fischereigelände bis zum Großen Schauener See und werde flink und freundlich bedient. Aus dem See stammt auch der Wels in meinem cremigen Fischragout, das mit Parmesan gratiniert und mit Dill und Gurke verfeinert ist.
Nach dem Essen ist Zeit, die „Erlebniswelt auf dem Fischerhof“ zu besuchen. Ich spaziere vor zum Seeufer, vorbei an Teichen, und lese, was die Schautafeln über einheimische Fischarten zu sagen haben. Hecht, Barsch, Zander kenne ich, aber von der Karausche hatte ich zuvor noch nie gehört – und lerne jetzt obendrein, dass sie bis zu fünf Tage ohne Sauerstoff überleben kann, falls der Teich, in dem sie bevorzugt lebt, verschlammt oder austrocknet.
Aus der Perspektive von Seeadlern und Fischottern
Auf dem Gelände der Fischerei befindet sich auch das Brandenburgische Fischereimuseum. Die Exponate, präparierte Fische, alte Reusen, Körbe und andere Arbeitsgeräte, sind ein bisschen angestaubt. Wer hätte gedacht, dass diese beschauliche Gegend in den Nachkriegsjahren Schauplatz für Fisch-Schmuggelei war, mit der sich ein gewisser Georg Ihlo eine goldene Nase verdiente, bevor er sich nach West-Berlin absetzte?
Genauso klein, aber interaktiver gestaltet ist die Sielmann-Ausstellung im Nebengebäude. Um den Aha-Moment beim Betreten der Räume nicht vorwegzunehmen, nur so viel: Besucher erleben die Region hier aus der Perspektive von Seeadler und Fischotter. Es ist natürlich nur eine Illusion, aber eine, die mit Liebe zum Detail geschaffen wurde. Als ich wieder nach draußen trete, qualmt der Räucherofen neben dem Hofladen vor sich hin. Es duftet nach Fisch und Holzspänen, und ich bekomme schon wieder Appetit. Doch den spare ich mir für die nächste Station auf.
Ein Stück des Weges, bis kurz hinter Storkow, muss ich zurückradeln. Diesmal fahre ich auf einem Panzerweg, dessen Betonplatten meine Räder im Gleichtakt rumpeln lassen, durch die Salzwiesen am Schaplowsee. Salzhaltiges Grundwasser, entstanden im Erdzeitalter der Zechsteinformation, als Meer das heutige Mitteleuropa bedeckte, steigt hier an die Oberfläche und lässt sogenannte Binnensalzstellen mit besonderer Vegetation entstehen.
Im Herbst rasten hier Kraniche
Sie sind europaweit selten und deshalb geschützt, erfahre ich am Aussichtsturm, der dort auf acht Metern Höhe einen weiten, von keinem Baum oder Strauch gestörten Blick über die topfebenen Salzwiesen bietet. Im Herbst rasten hier Kraniche, vom Turm aus kann man das Spektakel bestens beobachten.
Ich friemele mich wieder durch Storkow, überquere den Storkower Kanal und befinde mich schon fast auf der Zielgeraden zu meinem nächsten kulinarischen Ziel. Ich trete noch einmal richtig in die Pedale, damit ich das Fischland Scharmützelsee in Wendisch Rietz halbwegs hungrig erreiche – und rechtzeitig, bevor der Hofladen schließt. Ein butterweicher Radweg führt durch den Wald, kein Auto weit und breit, dafür liegt Kiefernduft in der Luft. Ein Genuss.
Wendisch Rietz, das auf einer Landzunge zwischen Storkower und Scharmützelsee liegt, hat das Flair eines Urlaubsortes. Zwei Damen in pinken Bademänteln kommen mir bestens gelaunt entgegengeradelt, vermutlich sind sie Gäste des Saunaparks. Der Schwarzhorner Weg, der zum großen Campingplatz führt, ist voller flanierender Familien mit Kinderwagen, Knirpsen auf Laufrädern und spielender Kinder, an denen ich vorsichtig vorbeimanövriere. Mein Tagesziel liegt nämlich ebenfalls am Ende des Dorfes:
Fischer Kobelt erzählt über sein Handwerk
Ich werde beim Fischer übernachten, in einer Ferienwohnung, die nur wenige Schritte vom Seeufer entfernt liegt. Das Wasser des Scharmützelsees ist so klar, dass ich vom Steg aus sicher vier Meter in die Tiefe schaue. Am liebsten würde ich jetzt mit Fischer Oliver Kobelt rausfahren und zuschauen, wie er die Reusen kontrolliert, denn er nimmt auf seinem Boot aus DDR-Zeiten gern Gäste mit. Im Sommer allerdings fährt er nur sehr selten raus. Günstiger, sagt er, sei es, im Frühjahr oder Herbst anzufragen. Wie gut die Fische beißen oder ins Netz gehen, verhält sich nämlich leider antizyklisch zur Zahl der Ausflügler, die ihn in seinem „Fischland Scharmützelsee“ besuchen. Im Winter friert er deshalb einen Teil des Fangs für die Hauptsaison ein.
Während der Sommerferien gibt es ein anderes Angebot: Jeden Montagnachmittag erzählt Fischer Kobelt Urlaubern und Ausflüglern etwas über sein Handwerk, zeigt Netze und Werkzeuge und wer sich traut, darf auch mal einen lebendigen Fisch halten. Im Anschluss verkauft er frisch geräucherten Aal, Forelle und Lachsforelle im Hofladen. Und hausgemachte Salate: vom süß-sauren Heringshäckerle mit Zwiebeln und Gurke über Kartoffel- und Eiersalat bis zur Rohkost mit Kraut oder Apfel-Möhre.
Die Forelle lässt sich leicht zerlegen
Auf der Terrasse vor dem Hofladen – mit Blick auf den See und vor Anker liegende Jachten – strecke ich die Beine aus und verspeise eine über Erlenholz geräucherte Forelle mit Schrippe. Wer möchte, bekommt auch noch Salat dazu, mehr jedoch nicht. „Wir halten unsere Gerichte bewusst einfach“, sagt Kobelt, „denn der Fisch und sein Geschmack sollen im Vordergrund stehen.“
Die butterzarte Forelle lässt sich ganz leicht zerlegen, die rauchigen Happen zergehen auf der Zunge. Morgen werde ich gut 20 Kilometer bis nach Fürstenwalde radeln. Etwas abseits der Strecke, in einem hübschen Sackgassendorf an einem Altarm der Fürstenwalder Spree, befindet sich die Streitberger Kulturbrennerei.
Dort veredelt Werner Menzel Streuobst und andere Früchte der Region zu Bränden und Likören. Williamsbirne lässt er im Eichenfass reifen, er brennt Trester vom Goldriesling, Tomaten- und einen Kartoffelbrand, der intensiv nach Acker schmeckt – wie ein echter Schluck Brandenburg.
Das Bier darf man selbst aussuchen
Eine Wucht ist auch die „Moorleiche“, ein intensiver, goldbrauner Likör mit Trockenpflaume, die in Birnenbrand eingelegt wurde. Für Gruppen ab acht Personen bietet Menzel Verkostungen an. Alle anderen können eine Auswahl seiner Brände in der Fürstenwalder Touristinfo kaufen, direkt neben dem Brauereimuseum.
Dort wird meine Genuss-Radtour enden: mit einem zünftigen Bier an einem wahrhaft interaktiven Bildungsort für Bier-Nerds. Das Museum im historischen Gewölbekeller zeigt kunstvoll verzierte Bierkrüge, Flaschen, Bierdeckel und eine historische Abfüllmaschine. Am kleinen Tresen kann man die Biere verkosten, die im Nebenraum gebraut werden – ein Pilsener, ein Roggenbier und ein Dunkles, je nach Saison auch Weihnachtsbier und Maibock.
[Julia Schoon ist Autorin des Reiseführers „Kulinarisches Brandenburg. Über 100 Ausflugstipps zu Manufakturen und Hofläden“, Trescher Verlag, 14,95 Euro. Dieser Text stammt aus dem Magazin "Tagesspiegel Radfahren 2019/20". Eine Karte mit detaillierter Wegbeschreibung zur Tour finden Sie hier.]
Mit dem Frischgezapften in der Hand spaziert man an den Vitrinen entlang, hört sich per Kopfhörer Anekdoten aus über 550 Jahren Fürstenwalder Braugeschichte an und schaut Kurzfilme über Böttcher und Gastwirte. Etwa über Krüger Kersten, der verbotenerweise Bier aus Fürstenwalde statt aus Müncheberg ausschenkte – und dafür anno 1516 mit dem Leben bezahlte. Heute darf man sich das Bier, das man trinkt, zum Glück selbst aussuchen. Ich empfehle das unfiltrierte Fürstenwalder Dunkle, benannt nach dem wohl größten Fan, den die Brauerei je hatte: Krüger Kersten.