E-Mobilität erobert Berlin: Elektrisches Vergnügen im Test
Die Stadt füllt sich mit E-Rollern, Pedelecs und Lastenrädern. Was bieten die im Alltag? Unser Praxistest.
Berlin ist das Versuchslabor für die Mobilität von morgen. Elektrische Mikromobilität ist dabei einer der heißesten Trends im urbanen Raum. Etliche Sharing-Dienste und Hersteller sind angetreten mit dem Ziel, das Auto aus der Stadt zu verbannen. Das Angebot ist riesig vom Pedelec bis zum Lastenrad – und natürlich den neuen E-Tretrollern, die seit der vergangenen Woche das Stadtbild prägen. Doch wie alltagstauglich sind die Gefährte eigentlich? Ein Selbstversuch.
E-Scooter/E-Tretroller
Seit dem vergangenen Wochenende sieht man sie überall: E-Scooter. Der Begriff führt noch zu ein wenig Verwirrung: So heißen sie ebenfalls E-Tretroller oder E-Roller mit vielversprechenden Firmennamen, wie Tier, Lime und Circ. Die Nutzung hingegen ist ziemlich einfach: entsperren, draufsteigen, rechts ist „Gas“, zwei Bremsen, einmal anschieben und dann geht’s los – mit bis zu 20 km/h. Erster Eindruck: ziemlich wackelig, ziemlich schnell. Wahnsinn, dass man dafür keinen Helm aufsetzen muss.
Gleich auf dem Parkplatz passiert fast der erste Unfall: Eine ausparkende Kollegin übersieht den E-Scooter, für Autofahrer sind die neuen Gefährte ungewohnt. Glück gehabt, nichts passiert. Zweites Problem: Der Lenker ist zu kurz, anders als beim Fahrrad kann man den Scooter nicht gut austarieren, Handzeichen zum Abbiegen sind folglich unmöglich, sonst kippt man einfach um, auch der Schulterblick ist eine Herausforderung.
Man gewöhnt sich daran. Es dauert etwa zwei Stunden, bis wir das Ding im Griff haben, dann aber lassen sich Bordsteine und Kopfsteinpflaster gut meistern. Der sichere Umgang, bei dem man sich schnell an die Jugend in den 00er Jahren zurückerinnert.
Auf der wilden Fahrt von Kreuzberg nach Mitte passiert beinahe noch ein Unfall: Ein Auto setzt sich vor uns, bremst unvermittelt – offenbar hat der Fahrer uns wieder übersehen. Andere Verkehrsteilnehmer beäugen uns skeptisch oder ignorieren uns berlinerisch augenrollend. Man muss sich noch annähern.
Tipp: Unbedingt den eigenen Fahrradhelm mitbringen. Im Ausleihgebiet innerhalb des S-Bahn-Ringes sind die Wege zum nächsten Elektrogefährt nicht weit.
Spaßfaktor: 5 von 5
Schwierigkeitsgrad: 2 von 5
Alltagstauglichkeit: 3 von 5
Geschwindigkeit: 20 km/h
Reichweite: bis zu 50 km
Kosten: 1 € Grundgebühr zuzüglich 15 Cent pro Minute (Circ, Lime, Tier)
E-Roller
Auch der wird häufig mal E-Scooter genannt (um die begriffliche Verwirrung der Mobilitätsangebote weiter zu treiben), zum Verständnis: Es handelt sich eher um ein E-Moped. Stellvertretend für die Vielzahl an Modellen auf dem Markt, haben wir den E-Roller Unu Classic Premium vom Berliner Startup Unu getestet.
Die Optik dieses Gefährts lockt mit Retrostyle und Minimalismus. Es ist mit 103 Zentimetern Höhe rund 40 Zentimeter niedriger als beispielsweise das weniger klimaverträgliche italienische Traditionsmodell Vespa. Diese Einsparung führt ab einer gewissen Körpergröße zu einem unangenehmen Sitzkomfort. Dafür ist der Unu Classic Premium einfach zu bedienen, hat ein gutes Handling.
Bei einer Höchstgeschwindigkeit von 45 Stundenkilometern fühlt man sich im Gegensatz zum E-Tretroller auch im Straßenverkehr als vollwertiges Mitglied. Das Sicherheitsgefühl ist vom ersten Moment an da. Für das leise Schnurren an der Ampel und die starke Beschleunigung verzichtet man gerne auf das Aufrechtsitzen und eine gewisse Beinfreiheit.
Nachteile: Keine Fußrasten für den Sozius und das Helmfach ist allein durch den Akku zum größten Teil belegt. Wenn man das aktuelle Modell zu zweit nutzen möchte, ist es auf jeden Fall sehr kuschelig. Im kommenden Jahr soll es neue, großzügiger dimensionierte und vernetze Modelle geben.
Kleiner Tipp: Wer das Fahrgefühl eines E-Mopeds erst einmal ausprobieren möchte, ist mit Sharing-Anbietern wie Coup oder Emmy bestens bedient.
Spaßfaktor: 3 von 5
Schwierigkeitsgrad: 1 von 5
Alltagstauglichkeit: 3 von 5
Geschwindigkeit: 45 km/h
Reichweite: 50 bis 100 km, je nach Akku
Kosten: Unu: ab 2799 € Kaufpreis; Coup: Mindestmietzeit 10 min. = 2,10 €, jede angefangene Folgeminute 0,21 €, Tagespauschale 25,20 €, weitere Minutenpakete verfügbar; Emmy: Anmeldung 10 € (inkl. 50 Freiminuten), 0,19 € pro Minute, Tagespauschale 29 €, weitere Minutenpakete verfügbar
Pedelec/E-Bike
Die neuen E-Fahrräder bieten elektrische Unterstützung nur beim Tritt in die Pedale. Besonders die signalroten Jump-Räder der Firma Uber erobern seit Kurzem die Berliner Straßen. Die Bedienung ist simpel: Nach dem Start der App und einem Reifen-, Bremsen- und Lichttest kann es sofort losgehen.
Das Gefährt überzeugt bereits an der ersten Ampel. Die möglichen 25 Kilometer pro Stunde erreichen wir in gefühlt einer Sekunde und hinterlassen bei den Normalos unter den Radfahrern etwas, was vielleicht als Elektromobilitäts-Neid zu beschreiben ist. Man fühlt sich bis zur nächsten roten Ampel wie ein König auf zwei Rädern, wird aber kurz vor der Weiterfahrt wieder von den nicht motorisierten Mitstreitern eingeholt.
Ein wenig ernüchtert biegen wir auf einen durch Baumwurzeln gezierten Fahrradweg. Das Jump macht hier seinem Namen alle Ehre. Es ist eine gute Alternative zum konventionellen Fahrrad und begeistert durch das einfache Handling und die gute Abdeckung der Pedelecs in zwölf Stadtteilen, Tendenz steigend.
Kleiner Tipp: Die Fahrradtasche kann zu Hause bleiben, Jump bietet einen Fahrradkorb und eignet sich so auch für kleinere Einkäufe gut. Neben Uber Jump bietet auch Lime Pedelecs an.
Spaßfaktor: 4 von 5
Schwierigkeitsgrad: 1 von 5
Alltagstauglichkeit: 5 von 5
Geschwindigkeit: 25 km/h
Reichweite: 50 km
Kosten: 1 € Grundgebühr und 10 Cent pro Minute (Uber Jump), 1 € Grundgebühr und 15 Cent pro Minute (Lime)
Lastenrad
Besonders in Prenzlauer Berg ist die E-Variante des Lastenfahrrads beliebt. Vom Kreuzberger Verleiher Velogut wird uns das eBULLIT, die Pedelec-Variante des Klassikers sowie ein E-MULI, ein Kombifahrrad mit einklappbarem Lastenkorb, empfohlen. Eine kurze Übungsrunde auf dem Tagesspiegel-Hinterhof war nötig, damit wir uns mit dem fast 2,50 Meter-Koloss (und halben Meter Breite) überhaupt auf die Straße trauen.
Keine 50 Meter später das erste Hupkonzert von einem genervten Taxifahrer: Lastenräder sind auf Berlins Straßen nicht unbedingt beliebt. Davon mal abgesehen ist das Fahrvergnügen ziemlich gut. Man gewöhnt sich schnell an die gewisse Übergröße, Überholmanöver allerdings sind quasi unmöglich. Da bringt einem der Elektroantrieb mit einer Unterstützung bis 25 Kilometern pro Stunde dann auch nicht viel. Dafür zieht das auf der vier Kilometer langen Teststrecke vom Askanischen Platz durch Kreuzberg auch bei 34 Grad Außentemperatur und Berufsverkehr locker an der motorisierten Konkurrenz vorbei.
Fazit: Wer ein oder mehrere Kinder, Bierkisten, Hunde oder Einkäufe zu transportieren hat, ist mit dem eBULLITT sehr gut dabei. Wer dem Handgemenge mit Taxifahrern und genervten Fahrradfahrern im Guten entkommen möchte, hält sich lieber an das etwas kleinere E-MULI, wo man den Lastenkorb in brenzligen Situationen einklappen kann.
Spaßfaktor: 4 von 5
Schwierigkeitsgrad: 3 von 5
Alltagstauglichkeit: 5 von 5
Geschwindigkeit: 25 km/h
Reichweite: 80-100 km (eBULLITT); 50 km (E-MULI)
Kosten: eBULLITT StePS E8000 ab 5120 € Kaufpreis; 48 € Leihgebühr Pro Tag (Wochenpauschale 38 € Pro Tag); e-muli 1X300 ALFINE-8 ab 4285 € Kaufpreis; 45 € Leihgebühr Pro Tag (Wochenpauschale 25€ Pro Tag)
Jan-Christian Ewering, Nora Kopplin