Berliner Senat startet PR-Offensive: Mit Lebensfreude und Solidarität gegen den Corona-Blues
Berlins Senat und Stadtmarketingexperten bringen ab Ostersonntag Botschaften unters Volk, die Orientierung in der Krise bieten sollen. Was steckt dahinter?
Angesichts der Coronakrise investiert Berlins Landesregierung Hunderttausende Euro in die Kommunikation mit den Bürgern – und baut diese massiv aus: Neben einem Brief des Regierenden Bürgermeisters, der dieser Tage an alle Berliner Haushalte verschickt wurde, dürften Bewohnerinnen, Bewohner und Gäste der Hauptstadt in den kommenden Wochen und Monaten bei noch viel mehr Gelegenheiten mit Botschaften des Senats konfrontiert werden.
Die meisten kann man sinngemäß zusammenfassen mit: Seid nett zueinander, aber haltet Abstand! Insgesamt mehr als 25 Botschaften und Parolen sind bereits vorbereitet, um diese auf allen analogen und digitalen Medienplattformen zu verbreiten: In Zeitungsanzeigen, auf Plakaten an Verkehrsknotenpunkten, in Radio- und TV-Spots und über verschiedene Soziale Medien von Twitter bis Instagram. Es ist eine 360-Grad-Kampagne, wie Werber sagen.
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Sie soll möglichst alle Gruppen und Schichten der Bevölkerung erreichen und wird deshalb teilweise auch in weiteren Sprachen verbreitet. „Bevor eine Botschaft raus geht, werden wir uns jeweils die aktuelle Lage anschauen und gucken, ob diese angemessen ist oder gegebenenfalls angepasst werden muss“, sagt Julian Mieth, einer der Sprecher der Senatskanzlei und verantwortlich für die Kommunikationskampagne.
Er und Stefan Franzke, Chef der landeseigenen Standortmarketingagentur Berlin Partner, gewährten dem Tagesspiegel vorab Einblicke in die Überlegungen zu dieser beispiellosen Kampagne, in der sie „um Verständnis für die Maßnahmen gegen Corona, Rücksicht und Solidarität untereinander und für Informations- und Hilfsangebote“ werben wollen. Absender ist die Hauptstadtkampagne „beBerlin“, die beide gemeinsam betreuen.
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Rund 700.000 Euro sind für die Kampagne geplant
Seit jeher wenden sich Regierungen und Behörden mit Kampagnen an die Bürger, mal mehr und mal weniger erfolgreich. So mauserte sich der 1986 plakatierte Spruch „Denn eins ist sicher: die Rente“ dank einer hessisch-charmanten Verkürzung durch Bundesarbeitsminister Norbert Blüm (CDU) zum geflügelten Wort: „Die Rente ist sischä“.
Die erst im vergangenen Herbst vom Bundesjustizministerium aufgesetzte Kampagne mit dem Spruch „Wir sind Rechtsstaat“ hingegen ist bisher nicht in den aktiven Wortschatz einer breiteren Öffentlichkeit aufgegangen. Anders kommerzielle Unternehmen, die mit millionenschweren Werbeetats und auf Jahre angesetzten Konzepten in die Hirne der Konsumenten einsickern, geht es Vertretern öffentlicher Institutionen um übergeordnete Ziele. Und ganz praktisch gesprochen muss es bei Senat und Berlin Partner eine Nummer kleiner sein und schneller gehen.
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Rund 700.000 Euro sind für die Kampagne geplant. Wie lange diese laufen wird, ist erst einmal offen. „Die Coronakrise wird uns noch eine Zeit lang begleiten“, sagt Mieth. DASS der Senat mehr kommunizieren muss, war den Verantwortlichen spätestens Mitte März klar. „Wir mussten die Leute darauf vorbereiten, was auf Berlin zukommt, und darüber informieren, was man selbst tun kann und wo es Hilfen “,wie Rathaus-Sprecher Mieth sagt.
So gab es zunächst eine Blitzkampagne, bei der der Senat nur Tage später mit einzelnen Motiven Präsenz im Stadtraum sowie mit Online-Anzeigen zeigte – auch weil die großen Außenwerbevermarkter wie Wall und Ströer, auch die Betreiber des „Berliner Fensters“ in der U-Bahn, unterstützten. Nachdem Schulen, Kitas, Restaurants und Geschäfte geschlossen wurden, stellte sich jedoch die Frage: „Wie gehen wir damit um, dass die Menschen in der Regel nicht mehr so viel unterwegs sein werden, um die Botschaften zu lesen?“, erklärt Mieth.
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Die aber wohl wichtigste Frage, die die Strategen erörtert haben, ist die der richtigen Tonalität. Schwierig angesichts der denkbar breitestmöglichen Zielgruppe: Von ganz jung bis steinalt, von akademisch gebildet bis bildungsfern. Vor dem Hintergrund fiel der eigentlich recht pfiffige Spruch „Solidarität, die sich gewaschen hat“, intern zunächst durch. Zu sehr um die Ecke gedacht.
Ein Maßstab für Berlin Partner war der prägende Satz von Angela Merkel vom 18.März in ihrer ersten TV-Ansprache außerhalb der Weihnachtszeit: „Es ist ernst. Nehmen Sie es auch ernst“. Is jut, aba passt dit zu eene Ansprache, so von Balina zu Balina? Hat sich diese Stadt jemals zu ernst genommen? Ernsthaftigkeit bedeutet nicht, dass alles negativ ist, war ein Argument in den Beratungen.
Man müsse den Menschen Mut machen, ihnen zeigen, dass der Senat sie hört und sie daran erinnern, dass Berlin und seine Einwohnerinnen und Einwohner diese Krise gemeinsam meistern werden. Diese Gedanken basieren auch auf Anregungen der Soziologin Jutta Allmendinger, der Präsidentin des Wissenschaftszentrums Berlin für Sozialforschung (WZB). Müller hatte sie unlängst in die wöchentliche Senatssitzung geladen, um Input zu erhalten.
„Wir wollen seriös, unaufgeregt und transparent kommunizieren“, erklärt Julian Mieth die Strategie. Es gehe um „Positivität, Lebensfreude und Solidarität“. Das sei sehr wichtig für diese Stadt Berlin, die schon so viel erlebt und ertragen habe. Und: „Es geht natürlich darum, diese Zeit zu überstehen“, bringt er den Sinn und Zweck der ganzen Übung auf den Punkt.
Berlin-Partner-Chef Stefan Franzke und seine mehr als 200 Leute sind für die Umsetzung dieser Ideen zuständig – auch dafür, dass alle Botschaften die Bürger auf die zentrale Corona-Webseite des Landes Berlin berlin.de/corona hinweist. In seinem Haus sind auch die Sätze entwickelt worden, die ganz ohne Illustration, an die Frau und den Mann gebracht werden sollen.
„Auch Solidarität ist ansteckend“
Einer davon lautet: „Die gute Nachricht: Auch Solidarität ist ansteckend“. Er wolle nicht sagen, dieser Spruch enthalte „Wortwitz“, aber doch ein „Wortspiel“, erklärt er als Beispiel für die schwierige Gratwanderung, die seine Texterinnen und Texter gehen müssen, um die richtige Balance zu finden zwischen der Berliner Lässigkeit und Schnauze und der nötigen Ernsthaftigkeit, die der Umstand, dass es hier für einige auch um Leben und Tod geht, gebietet.
Franzkes Berlin Partner für Wirtschaft und Technologie GmbH mit Sitz im Charlottenburger Ludwig-Erhard-Haus der Industrie- und Handelskammer (IHK) ist in normalen Zeiten unter anderem dafür zuständig, in aller Welt die gute Laune Berlins zu verbreiten, damit auch Investoren und neue Arbeitgeber ihren Weg in die Stadt finden.
Gemeinsam mit dem Land Berlin arbeitet sie daher schon länger an einem Konzept, dass die bereits vor zwölf Jahren einführte Hauptstadtkampagne mit dem Claim „beBerlin“ ablösen soll. Diese Pläne pausieren zugunsten der Arbeit an dem Corona-Notauftrag. Denn den wiederum sehen die Macher auch als eine große Chance, ähnlich wie seit Jahren BVG oder die BSR „eine Kommunikation zu betreiben, die nichts verkaufen will, sondern selbst Teil der gesellschaftlichen Wirklichkeit ist und auf Augenhöhe zu den Menschen spricht“, wie es in einem internen Papier heißt.
„Im Idealfall werden wir sowohl auf praktischer als auch emotionaler Ebene ein Akteur in der Krise, der den Menschen nicht nur mit Rat und Tat zur Seite steht, sondern sie auch unterhält, ihnen Mut macht, sie auf kreative Ideen bringt und untereinander verbindet“, lautet eine Überlegung der Stadtwerber. Mann nimmt Mieth und Franzke ab, dass sie diese strategischen Aspekte gerade –wenn überhaupt – nur am Rande interessieren. Es geht ihnen offenbar wirklich um die Unterstützung im lokalen Kampf gegen eine globale Krise, die die Welt insgesamt seit dem Zweiten Weltkrieg nicht mehr erlebt hat.
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Die Kommunikationsprofis freuen sich vor dem Hintergrund aber doch darüber, „dass wir so gute Netzwerke haben und so schnell arbeitsfähig waren“. Auch dankbester Drähte in alle Segmente der Zivilgesellschaft. Und ins Ausland: Berlin-Partner-Chef Franzke berichtet, er habe sich partnerschaftlich mit Kollegen in New York, London, Paris, Schanghai, Peking, Dubai, Tel Aviv und Warschau ausgetauscht und festgestellt, dass man noch nicht überall so weit sei.
Kommunikationsprofis bemühen gern die Empirie, entscheiden aber am Ende auf Basis von Erfahrung und Bauchgefühl. Künstliche Intelligenz hilft hier kaum weiter. Weder Mensch noch Maschine können verlässlich vorhersagen, welcher Slogan in analogen wie digitalen Medien den Nerv voll trifft und durchschlagenden Erfolg haben wird – und bestenfalls als griffiges Schlagwort (einem Hashtag) die Runde macht. Ideen wie #BerlinHältZusammenAbstand und #WirSindEinBerlin wurden zunächst verworfen. #BerlinGegenCorona soll es ein. Fürs erste.
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