Flüchtlingskrise in Berlin: Michael Müllers Coup heißt Dieter Glietsch
Der Ex-Polizeichef und Dirk Gerstle sollen als Staatssekretäre den Krisenstab für Flüchtlingsmanagement leiten. Am Lageso gab es wieder Krawall. Und die Bundeswehr hilft bei der Registrierung.
Immer wieder trifft sich der Senat, um in der Flüchtlingskrise endlich Herr der Lage zu werden – an diesem Dienstag nun ist tatsächlich Neues beschlossen worden: Ab sofort ist nicht nur Ex-Polizeipräsident Dieter Glietsch als neuer Staatssekretär für die organisatorische Leitung des Koordinierungsstabes Flüchtlingsmanagement zuständig. Es steht nun außerdem fest, dass ab Mittwoch die Bundeswehr in Berlin im Einsatz sein wird. „Die ersten 15 Soldaten werden bei der Registrierung von Flüchtlingen helfen“, sagte Sozialsenator Mario Czaja (CDU) im Roten Rathaus. „Demnächst werden es 50 Soldaten sein.“ Schon am Wochenende hatte die Bundeswehr in Schönefeld geholfen, wo seit Tagen Flüchtlinge in Zügen ankommen. Grundlage des Bundeswehreinsatzes ist die Amtshilferegelung in Katastrophenfällen.
Krisenstab soll mehr Personal bekommen
Glietsch wird den Krisenstab gleichberechtigt mit Sozialstaatssekretär Dirk Gerstle (CDU) leiten. Die beiden sind direkt dem Regierenden Bürgermeister Michael Müller (SPD) und Senator Czaja unterstellt. Der Koordinierungsstab müsse leistungsfähiger werden, sagte der 68-jährige Glietsch, der seinen Ruhestand zuletzt in Nordrhein-Westfalen verbrachte. Noch reiche das Personal weder im Stab selbst – für den bislang 45 Mitarbeiter arbeiten – noch bei den in der Flüchtlingsversorgung tätigen Behörden.
Inzwischen haben sich 400 Mitarbeiter der Berliner Verwaltung für einen Dienst beim Landesamt für Gesundheit und Soziales (Lageso) in Moabit gemeldet, wo noch zu Jahresanfang gerade knapp 1000 Beschäftigte arbeiteten.
Angesichts von 1000 Flüchtlingen, die das Amt jeden Tag neu registrieren und unterbringen müsste, ist das viel zu wenig. Zudem droht die Lage dort zu eskalieren: Am Dienstag hatte es wieder Auseinandersetzungen zwischen Sicherheitsleuten und Flüchtlingen gegeben: Letztere warfen wohl Steine auf Lageso-Mitarbeiter. Die Polizei beruhigte die Lage.
Dieter Glietsch - 24 Stunden am Tag zur Verfügung
Von 2002 bis 2011 hatte Glietsch die Berliner Polizei geleitet, die mit 22.000 Mitarbeitern größte Polizeibehörde Deutschlands. Für ihn gebe es nun „keine wichtigere und vorrangigere Aufgabe für Staat und Zivilgesellschaft“ als die Flüchtlingskrise. Müller freute sich am Dienstag angesichts des reaktivierten Spitzenbeamten, der von nun an „praktisch 24 Stunden am Tag zur Verfügung stehen“ werde – eine Ankündigung des Regierenden, die Glietsch unaufgeregt zur Kenntnis nahm. Mit Blick auf das Spitzentreffen von Bundesregierung und Landeschefs sagte Müller deutlich: „Helfen muss man können.“ Die Länder bräuchten nicht nur mehr Geld, sondern auch Hilfe vom Bund bei den Abläufen. Zudem sei eine gerechtere Verteilung der Flüchtlinge in Europa zwingend.
Am Mittwoch werden bis zu 500 Asylbewerber aus dem Nahen Osten in einem Zug in Schönefeld eintreffen. Einige von ihnen werden zwar in Brandenburg untergebracht, dennoch gibt es immer weniger Platz: 250 Flüchtlinge waren in der Nacht zu Dienstag über Passau nach Berlin gekommen, dazu steuern täglich 500 Männer, Frauen und Kinder über andere Wege das Lageso an. Viele werden nun in den Hallen am Olympiapark untergebracht. Ob im ICC, im SEZ und im Flughafen Tempelhof ebenfalls Flüchtlinge untergebracht werden, wird noch geprüft. Das diskutierte Bürohaus in der Bundesallee wird in drei Wochen bezogen.
Allein 2015 fast 33.000 Asylanträge in Berlin
Udo Wolf, Linken-Fraktionschef im Abgeordnetenhaus, sagte: Dass Müller die Flüchtlingsfrage „endlich als Chefsache begreift“, sei zu begrüßen, Glietsch sei ein guter Polizeipräsident gewesen. Es mangele aber nicht an Staatssekretären, sondern an Lageso-Personal. Bald wird es in Berlin 80 Flüchtlingsunterkünfte geben. Am Dienstag eröffnete die Volkssolidarität in Marzahn ein Heim. Seit dem 5. September sind 9100 Flüchtlinge in Berlin angekommen – so viele wie 2012 und 2013 zusammen. Insgesamt haben in diesem Jahr fast 33 000 Flüchtlinge einen Asylantrag in Berlin gestellt.