Der Staatssekretär für Soziales im Porträt: Dirk Gerstle muss Unterkünfte für Flüchtlinge besorgen – im Akkord
Dirk Gerstle ist Staatssekretär für Soziales - und damit der Mann für die wohl umstrittenste Aufgabe der Stadt: Wo sollen die Flüchtlinge wohnen?
Hat er gewusst, was auf ihn zukommt? Eine Landesregierung, in der einer dem anderen nichts gönnt. Eine Stadt, in der die S-Bahn ausfällt und der Flughafen gar nicht erst eröffnet wird. Ämter, die personell so ausgedünnt sind, dass sie unter dem Alltagsdruck tageweise schließen.
Doch Dirk Gerstle – 1961 in Hildesheim geboren, 25 Jahre Beamter in Niedersachsen – greift die Hauptstadt und ihr Personal nicht an. Unaufgeregt spricht er von „erheblichen Herausforderungen und massiven Aufgaben“ – und geht voran: Gerstle ist seit 2013 der Staatssekretär für Soziales in der Verwaltung von Senator Mario Czaja (CDU) und als solcher 60, manchmal 70 Stunden die Woche damit beschäftigt, Flüchtlinge aus Dutzenden Staaten in Berlin unterzubringen: Gerstle muss Unterkünfte besorgen – im Akkord.
Wohlwollende stellen sich so Beamte vor
In der Hauptstadt leben bald 30 000 Männer, Frauen und Kinder, die unter das Asylbewerberleistungsgesetz fallen. Zum Jahresende könnten es 50 000 sein, allein im Juni stellten 2800 Neuankömmlinge einen Asylantrag – sie alle müssen untergebracht werden. Gerstles Kommentar: „Es wird sicher nicht einfacher.“ Der Staatssekretär arbeitet so, wie sich wohlwollende Soziologen deutsche Beamte vorstellen: gewissenhaft, loyal, fleißig. Er fragt Wohnungsgesellschaften, Sozialverbände, Baufirmen und Kirchen nach Räumen. Er überprüft – nach dem Skandal um fehlerhafte Verträge – die Absprachen mit den Heimbetreibern. Er spricht mit Flüchtlingshelfern und Sozialexperten aller Parteien. Er hat, um es mit den Worten einer Senatsmitarbeiterin zu formulieren, „eigentlich nie Luft“.
Woher kommt die Gerstle’sche Geduld?
Gerstle bleibt ruhig: „Flüchtlinge werden im Senat langsam als Gesamtaufgabe anerkannt.“ Woher kommt die Gerstle’sche Geduld? Der Staatssekretär würde nicht widersprechen, wenn man anführt, dass er in den 80er Jahren zügig und diszipliniert Verwaltungswirtschaft studiert hat, dass er christlich, wenn auch nicht unbedingt kirchlich erzogen wurde, und dass er einen – gerade in Berlin – politischen Vorteil hat: Gerstle ist zwar CDU-Mitglied, aber in der Partei nicht aktiv.
Auf die Bezirkschefs der Union, die Heime in ihren Kiezen lange nicht wollten, muss er also kaum Rücksicht nehmen. Ob sich das ändert, ob er nach der Abgeordnetenhauswahl 2016 nicht doch noch in der Stadt aufsteigen möchte? „Nein. Aber wenn dieser Senator bleibt, werde ich gern wieder Staatssekretär.“ Senator Czaja kann diesem Mann kaum genug danken.