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Flüchtlinge warten vor dem Lageso in Moabit auf ihre Registrierung.
© Kay Nietfeld/dpa

Flüchtlingspolitik: Wie Berlin die Krise in den Griff bekommen will

30.000 Flüchtlinge sind bisher in diesem Jahr schon in der Stadt angekommen. Das Land reaktiviert alte Führungskräfte und beschlagnahmt Hallen.

Die nach Berlin kommenden Flüchtlinge können kaum noch untergebracht werden, die beteiligten Akteure arbeiten nach wie vor nicht so reibungslos zusammen wie gehofft und die Zahl der zur Verfügung stehenden Mitarbeiter, die dem zuständigen Landesamt für Gesundheit und Soziales (Lageso) helfen sollen, reicht bei weiten nicht aus.

An diesem Dienstag soll nun der ehemalige Polizeipräsident Dieter Glietsch aus dem Ruhestand geholt werden, um als neu eingesetzter Staatssekretär im Krisenstab zu Flüchtlingsfragen zu helfen. Dem Vernehmen nach haben sich darauf der Regierende Bürgermeister Michael Müller (SPD) und der für die Asylbewerberunterkünfte zuständige Sozialsenator Mario Czaja (CDU) geeinigt. Glietsch, 68 Jahre, war bis 2011 Polizeipräsident und würde den Krisenstab mit Sozialstaatssekretär Dirk Gerstle (CDU) leiten. Ob das die Lage verbessert?

Allein in der Nacht zu Dienstag sollten 250 neue Flüchtlinge von der sogenannten Balkanroute in Bussen aus Bayern nach Berlin kommen. Inzwischen dürften in diesem Jahr 30.000 Flüchtlinge in Berlin gelandet sein. Genaue Zahlen gibt es nicht, weil Tausende unregistriert aus Ungarn über Bayern nach Berlin kamen.

Dazu kommen Asylbewerber der vergangenen Jahre, insgesamt könnten folglich mehr als 57.000 Flüchtlinge mit unterschiedlichem Aufenthaltsstatus in der Stadt leben – in Heimen, Zelten, Wohnungen, Hostels, bei Verwandten

Der damalige Berliner Polizeipräsident Dieter Glietsch auf einer Pressekonferenz 2011. Glietsch, der Pensionär ist, wird in Berlin neuer Staatssekretär, um die Flüchtlingshilfe zu koordinieren.
Der frühere Berliner Polizeipräsident Dieter Glietsch soll die Flüchtlingshilfe koordinieren.
© Maurizio Gambarini/dpa

Ebenfalls an diesem Dienstag könnte ein anderer ranghoher Ex-Polizist reaktiviert werden: In der Turnussitzung des Senats wird womöglich auch verbindlich beschlossen, Klaus Keese zum Tempelhof-Beauftragten zu machen. Keese wollte einst Polizeipräsident werden, er kennt sich mit Großlagen aus und war als Leiter der Polizeidirektion 1 für 2000 Beamte und 600 000 Anwohner zuständig.

Im Ex-Flughafen hätten bis zu 1500 Flüchtlinge Platz. Der Senat arbeitet derzeit eine Liste mit 700 möglichen Wohnobjekten durch. Bei vielen Adressen aber müsste umgebaut werden.

Am Montagabend hatten zudem Vertreter des Lageso und des landeseigenen Berliner Immobilienmanagements (BIM) das SEZ an der Landsberger Allee besucht. Im einstigen Sport- und Erholungszentrum sollen ebenfalls Asylbewerber untergebracht werden. Lageso und BIM sprachen am Montagabend mit dem Eigentümer, ein Mietvertrag soll folgen.

Was passiert mit dem Sportunterricht?

Auch Schulsporthallen sind, wie berichtet, zur Unterbringung von Flüchtlingen beschlagnahmt worden. In einer Halle in Weißensee und einer in Prenzlauer Berg findet kein Sport mehr statt. Rund 250 Plätze für Flüchtlinge stehen in diesen Hallen zur Verfügung. Bisher hatte der Regierende Bürgermeister Müller erklärt, das Lageso wolle, wenn möglich, auf Schulturnhallen verzichten. Allerdings hatte er hinzugefügt, diese Linie könne sich ändern.

Der frühere Leiter der Polizeidirektion 1 in Berlin, Klaus Keese, soll Tempelhof-Beauftragter werden.
Der frühere Leiter der Polizeidirektion 1 in Berlin, Klaus Keese, soll Tempelhof-Beauftragter werden.
© picture alliance / dpa

Was passiert nun mit dem Sportunterricht? Gut möglich, dass weitere Hallen beschlagnahmt werden. „Die zuständige Schulaufsicht und der Schulträger, der Bezirk also, werden den Schulen, wenn möglich, Ausweichmöglichkeiten anbieten“, sagte eine Sprecherin der Bildungssenatorin. „Das heißt Verdichtung der Sporthallenkapazitäten, was aber in Anbetracht der humanitären Lage alternativlos ist.“ Diverse Bezirke reagieren empfindlich. Katrin Schultze-Berndt (CDU) etwa, Schul-Stadträtin von Reinickendorf, erklärt: „Wir als Bezirk haben dem Land eine Schulturnhalle als möglichen Standort für Flüchtlinge angegeben, aber zugleich klar mitgeteilt, dass es aus unserer Sicht sehr ungünstig wäre, wenn die Halle nicht mehr zur Verfügung stünde.“

Schultze-Berndt hat Sorgen, dass die Stimmung kippen könnte, wenn Unterricht wegen der Flüchtlinge ausfällen müsste. Jutta Kaddatz (CDU), Schul-Stadträtin von Tempelhof-Schöneberg, sagt: „Da der Bezirk eine dramatische Unterdeckung von gedeckten Sportflächen aufweist, kann keine Schule und kein Sportverein auf die Hallen verzichten.“ Zur Verfügung stünden derzeit ohnehin nur zwei Hallen. Und die auch nur, weil dort wegen Bodenschäden kein Sport stattfinden kann. Marzahn-Hellersdorf hat vier Objekte als potenzielle Unterkünfte genannt, allerdings keine Sporthalle. „Wir möchten die Unterbringung in Sporthallen möglichst lange vermeiden“, sagt Bezirksbürgermeister Stefan Komoß (SPD).

Auch "Riehmers Hofgarten" ist im Gespräch

Als Unterkunft für Flüchtlinge ist zudem noch „Riehmers Hofgarten“ im Gespräch, ein Kreuzberger Areal mit 20 Wohnhäusern und 200 Wohnungen. Viele stehen seit Jahren leer. Wie viele, konnte Bezirkssprecher Sascha Langenbach nicht sagen. „Wir führen da keine Statistik.“ Die Rede ist von einem Drittel. Auch wer derzeit Eigentümer des Areals sei, konnte Langenbach nicht sagen. Dazu müsse er ins Grundbuch schauen. Dort war im Juli 2013, letzte verlässliche Information, ein Investor aufgeführt. Eigentümer sollen aber laut Langenbach „mehrere Investoren“ sein.

Die Bezirksverordnetenversammlung in Kreuzberg will am Mittwoch über einen Antrag der Grünen abstimmen. Sie verlangen, dass leere Wohnungen beschlagnahmt werden. Juristische Basis ist das Gesetz zur Abwendung von Gefahren. „Erst muss geprüft werden, ob der Bezirk wirklich alles Mögliche getan hat, um bezirkseigene Unterkünfte zur Gefahrenabwehr bereitzustellen“, sagt Langenbach. „Dazu gehören Büroräume und Turnhallen.“ Erst dann „kann man das scharfe Schwert Beschlagnahme prüfen. Da ist es aber noch nicht angefasst.“ Und selbst wenn die Wohnungen beschlagnahmt würden, erhielten die Eigentümer eine Entschädigung als Miete.

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