Senat beschließt Konzept für Flüchtlinge in Berlin: Mehr Geld, Wohnungen und ein landesweiter Koordinierungsstab
Täglich erreichen hunderte Flüchtlinge Berlin, aber an Betreuung und Unterkünften mangelt es. Der Senat hat jetzt ein Konzept beschlossen, wie er mit den Menschen umgehen will. Dem Flüchtlingsrat gehen die Maßnahmen nicht weit genug.
Täglich kommen hunderte Flüchtlinge in Berlin an. Sie müssen ihren Asylantrag stellen können und untergebracht werden. „In den vergangenen Monaten ist eine Situation eingetreten, die man nicht vorhersehen konnte“, sagte der Regierende Bürgermeister Michael Müller (SPD) am Dienstag bei der Vorstellung des neuen Senatskonzepts für Flüchtlinge. Und in den kommenden Monaten könnten es noch mehr werden. „Die Jahreszeit mit den höchsten Zahlen ist erfahrungsgemäß das vierte Quartal“, sagte Sozialsenator Mario Czaja (CDU).
Mit bis zu 35 000 Flüchtlingen in diesem Jahr rechnet der Senat; aber wie viele genau kommen werden, weiß niemand. Seit Wochen ist die Situation an der Erstaufnahmestelle in der Turmstraße chaotisch: Die Mitarbeiter kommen nicht mehr hinterher mit der Bearbeitung, Flüchtlinge campieren auf dem Grundstück. Das Senatskonzept soll jetzt Verbesserungen auf allen Ebenen schaffen. Kosten von insgesamt 450 Millionen Euro im Jahr hat das Land in den Haushalt eingestellt. Für Sofortmaßnahmen sind derzeit drei Millionen Euro vorgesehen.
KOORDINIERUNGSSTAB
Bisher arbeiten die verschiedenen Verwaltungen nebeneinander her. Das soll sich ändern. Unter der Federführung der Senatsverwaltung für Gesundheit und Soziales wird ein landesweiter Koordinierungsstab eingerichtet, in dem alle Behörden zusammenarbeiten sollen. Das Landesamt für Gesundheit und Soziales (Lageso), das allein aufgrund der steigenden Zahlen die Betreuung der Flüchtlinge mit seinem bestehenden Personal und Räumlichkeiten nicht stemmen kann, soll unterstützt werden. Dazu sollen Beamte aus anderen Bereichen abgezogen werden können. „Zunächst mit Überzeugungsarbeit“, sagte Czaja. Die Innenverwaltung soll klären, wie Personal aus den Behörden rekrutiert werden kann. Auch will man versuchen, pensionierte Beamte wieder zu aktivieren.
ERSTAUFNAHME
Da das Landesamt für Gesundheit und Soziales (Lageso) an der Turmstraße in Moabit komplett überlastet ist, soll die Erstaufnahme auch dezentral geleistet werden. Zunächst sind drei Standorte dafür vorgesehen: Zunächst die Köpenicker Allee in Karlshorst sowie die ehemalige Lungenklinik Heckeshorn in Wannsee. Aus dem Komplex in der Turmstraße wird jetzt die Abteilung Gesundheit ausziehen, um Platz für Mitarbeiter zu schaffen, die die Asylbewerber betreuen.
UNTERBRINGUNG
Der Senat will „eine menschenwürdige Unterbringung und bedarfsgerechte Unterstützung aller in Berlin aufgenommenen Flüchtlinge“ gewährleisten. Neben den 65 Gemeinschaftsunterkünften plant der Senat, neben der früheren Lungenklinik Heckeshorn auch das ehemalige Rathaus Wilmersdorf am Fehrbelliner Platz umzubauen und eine Unterkunft in der Eschenallee herzurichten. In der Freitagabend eröffneten Unterkunft Köpenicker Allee in Karlshorst sollen ebenfalls bis zu 400 Flüchtlinge wohnen.
Außerdem werden in allen sechs schon länger geplanten Containerdörfern rund 2000 Menschen untergebracht. Noch im August sollen die letzten drei in der Potsdamer Chaussee, am Ostpreußendamm und im Hausvaterweg eröffnet werden. Geplant ist, stärker als bisher landeseigene Immobilien und Grundstücke zu nutzen. Wie berichtet, sollen in den kommenden zwei Jahren Modulbauten (kleinere Container) an 36 Standorten in der Stadt erreichtet werden. Wie Czaja sagte, haben die Bezirke erst acht Standorte benannt; dort könnte ab Herbst gebaut werden, so dass im Frühjahr die Bauten bezogen werden könnten. Wo sich die Standorte befinden, sagte er nicht. Einige Bezirke haben sich Czaja zufolge aus der Verantwortung gezogen, indem sie einen Beschluss vorlegten, keine Grundstücke zu haben. Diese Modulbauten sollen insgesamt 3600 Plätze bieten, also kleiner als die Containerdörfer ausfallen. Darüber hinaus sollen vermehrt Mietwohnungen vermittelt werden.
BILDUNG/ARBEIT
Als Sofortmaßnahme bietet der Senat Ferienschulen für Kinder und Jugendliche aus Flüchtlingsfamilien an. Auch die Gelder für die Deutschkurse an den Volkshochschulen werden von 300 000 auf 900 000 Euro in diesem Jahr aufgestockt. Schulen sollen den Berlin-Pass den Flüchtlingsfamilien direkt aushändigen, um Verwaltungswege einzusparen. Um Kompetenzen von Flüchtlingen frühzeitig zu erkennen, wird es eine mobile Bildungsberatung geben: Helfer werden in den Unterkünften eingesetzt, die ein erstes Profiling übernehmen und Flüchtlinge über Bildungsangebote und berufliche Perspektiven in Berlin direkt beraten. Die Betriebe sollen verstärkt angesprochen werden, jugendliche Flüchtlinge auszubilden. So werden beim Projekt „Arrivo“ statt bisher 100 künftig 200 Plätze eingerichtet. Dort können jugendliche Flüchtlinge einen Übungsparcours durchlaufen. In Kooperation mit der Handwerkskammer sollen individuell zugeschnittene Angebote gemacht werden. Bei der Senatsarbeitsverwaltung wird eine Koordinationsstelle für Integrations- und Flüchtlingsfragen eingerichtet. Flüchtlinge können in Berlin künftig ein Studium aufnehmen und zwar unabhängig von ihrem Aufenthaltstitel.
GESUNDHEIT
Bis Ende des Jahres sollen die Asylbewerber Chipkarten für die ärztliche Versorgung erhalten; diese werden die bisherigen Behandlungsscheine ablösen. Damit ist Berlin der letzte Stadtstaat nach Hamburg und Bremen, der die elektronische Gesundheitskarte einführt. Außerdem ist ein „Röntgenmobil“ auf dem Lageso-Gelände stationiert. Dort sollen die vorgeschriebenen Röntgenuntersuchungen von neu eingetroffenen Flüchtlingen stattfinden. Auch eine zentrale Impfstelle wird eingerichtet.
EHRENAMTLICHE HILFE
Sozialsenator Mario Czaja wies darauf hin, dass es ein „wahnsinniges zivilgesellschaftliche Egagement“ gebe. Dies müsse aber auch organisiert werden. Für Ehrenamtliche ist jetzt mit der Stiftung „Gute Tat“ ein „Rotes Telefon der Flüchtlingshilfe“ unter der Nummer 390 88 399 geschaltet werden. Informationen findet man auch in Internet unter www.berlin.de/buergeraktiv.
REAKTIONEN
Die Industrie- und Handelskammer (IHK) bezeichnete das Konzept als einen ersten Schritt. Allerdings müssten noch andere Institutionen wie die Ausländerbehörde stärker einbezogen werden. Wichtig sei, Menschen schneller in den Arbeitsmarkt integrieren zu können und deswegen auch schneller die einzelnen Qualifikationen zu erfassen. Der Verband Berlin Brandenburgischer Wohnungsunternehmen (BBU) sieht vor allem den Bund in der Pflicht, damit die Menschen mit ausreichendem Wohnraum versorgt werden können. Der BBU forderte eine Verdopplung der Kompensationsmittel für die soziale Wohnraumförderung auf mindestens eine Milliarde Euro pro Jahr.
Der Berliner Flüchtlingsrat zeigte sich von dem Flüchtlingskonzept enttäuscht. Sprecherin Martina Mauer kritisierte, dass konkrete Zeitabläufe und Verantwortlichkeiten für die einzelnen Maßnahmen fehlen würden. Besonders die Frage, wie Flüchtlinge stärker in Wohnungen untergebracht werden könnten, sei überhaupt nicht berücksichtigt worden. Bis Ende Mai wurden in diesem Jahr 648 Flüchtlinge in Wohnungen vermittelt.