Aktuelle Stunde im Berliner Abgeordnetenhaus: Linke kritisiert ehemaligen Innensenator Henkel im Fall Anis Amri scharf
Hätte Anis Amri schon vor dem Anschlag am Breitscheidplatz festgenommen werden können? Im Abgeordnetenhaus kritisiert die FDP das Ausbleiben eines Untersuchungsausschusses.
- Laura Hofmann
- Hannes Heine
Die möglichen Vertuschungen bei den Ermittlungen gegen den Attentäter Anis Amri waren am Donnerstag Thema der Aktuellen Stunde im Berliner Abgeordnetenhaus. Innensenator Geisel hatte gestern Anzeige gegen das Berliner LKA wegen möglicher Strafvereitelung im Amt und Urkundenfälschung erstattet.
Im Abgeordnetenhaus kündigte er rückhaltlose Aufklärung des Ermittlungsskandals an. „Das sind wir den Opfern, den Angehörigen und den Überlebenden schuldig“, sagte der SPD-Politiker. „Wir können kein Interesse daran haben, dass irgendetwas verschleiert wird“, so Geisel. „Wenn es Schwachstellen gibt, dann muss man sie benennen.“ Er habe weiter Vertrauen in die Polizei, fügte der Senator hinzu. „Aber das schließt Fehlverhalten Einzelner nicht aus.“ In diesem Falle müsse es dann Konsequenzen haben.
Die FDP kritisierte in der Aktuellen Stunde erneut, dass es keinen Untersuchungsausschuss zum Attentat vom Breitscheidplatz gab, die AfD sprang ihr bei. Ein Sonderermittler und ein Untersuchungsausschuss hätten sich laut AfD nicht ausgeschlossen.
Alle anderen Parteien betonten hingegen den ersten Erfolg des Sonderermittlers Jost. Der Berliner CDU-Abgeordnete Stephan Lenz kritisierte die FDP, die Forderung nach einem Untersuchungsausschuss sei "Unsinn", weil ein Sonderermittler schneller und besser ermitteln könne.
Taş fordert Henkel auf, Stellung zu beziehen
Der Linke Hakan Taş griff in seinem Beitrag die CDU und Frank Henkel scharf an: Jede Vertuschung habe in der Verantwortung des damaligen CDU-Innensenators Henkel stattgefunden. "Menschen mussten sterben, weil Behörden ihre Arbeit nicht richtig erledigt haben", sagte er. Er forderte Henkel auf Stellung zum Versagen seiner früheren Behörden zu beziehen.
Mit Bezug auf mutmaßliche "Vertuscher" im LKA, ließ Taş verlauten: "Wer so handelt, ist keinen Deut besser als die, gegen die ermittelt werden soll". Beifall für seine Rede gab es nur von der Linksfraktion. Stefan Evers von der CDU schaltete sich daraufhin in die Debatte ein: "Nachdem ich den Ton bislang sehr angemessen fand, drängt sich mir jetzt die Frage auf, ob Sie sich nicht schämen für das, was sie hier beigetragen haben", sagte er in Richtung Taş.
Benedikt Lux (Grüne) kündigte an, es solle noch in dieser Legislaturperiode ein unabhängiger Landesbeauftragter für Bürger- und Polizeiangelegenheiten eingeführt werden, dem sich Polizisten anvertrauen können, wenn sie einen Fehler gemacht haben.
Für die rot-rot-grünen Senatoren und deren rot-schwarze Vorgänger ist die Lage gleichermaßen schwierig. Offenbar wusste die Berliner Polizei im vergangenen Jahr mehr über den Attentäter Anis Amri, als bekannt. Auslöser für die Anzeige gegen das LKA war die Arbeit des Sonderermittlers Bruno Jost, der herausfand, dass Asylbewerber Amri tiefer in den Drogenhandel verstrickt war, als vom LKA zugegeben. Der Islamist hätte so vor dem Massenmord am Breitscheidplatz im Dezember 2016 verhaftet werden können – und damit könnte im Land Berlin ein Fall von Amtshaftung greifen, der beide 2016 nacheinander regierenden Senate betrifft.
Behördenversagen mit tödlichen Folgen
Die aktuelle Opposition tobt. Die Nachrichten vom Mittwoch seien „unglaublich“, sagte Burkard Dregger (CDU), er forderte eine Sondersitzung des Innenausschusses. Auch einen eigenen Untersuchungsausschuss schloss Innenexperte Dregger nicht aus. Sebastian Czaja, FDP-Fraktionschef im Abgeordnetenhaus, teilte am Mittwoch mit: „Dieses Behördenversagen hatte tödliche Folgen für unsere Stadt.“ Spätestens nun müsse auch die Regierungskoalition einen Untersuchungsausschuss einsetzen.
„Sollte sich der Verdacht bestätigen, erklärt dies, warum die CDU monatelang einen Untersuchungsausschuss blockiert.“ Die Rolle von Ex-Innensenator Frank Henkel (CDU) müsse aufgeklärt werden. Die im Bund aktive Rechtspolitikerin Renate Künast (Grüne) sagte: „Nur eines ist heute gut, nämlich dass man durch die Anzeige in Berlin hoffen darf, dass wirklich ohne Ansehen der Person aufgeklärt wird. Das sind wir den Opfern schuldig.“ Karsten Woldeit von der AfD teilte mit, dass sich die Frage „nach der Verbindung von Organisierter Kriminalität und islamistischem Terror“ stelle – ein Untersuchungsausschuss in Ergänzung zu Sonderermittler Jost sei notwendig.
Auch die Gewerkschaft der Polizei hat die mutmaßliche Manipulation von Ermittlungsergebnissen verurteilt. „Wir haben dafür keinerlei Verständnis“, sagte der Berliner GdP-Sprecher Benjamin Jendro der Deutschen Presse-Agentur. Falls Akten nachträglich verändert und Dinge vertuscht worden seien, sei das eine Straftat und auch nicht mit möglichem Druck innerhalb der Behörde zu entschuldigen.
Die Tatsache, dass Amri vor dem Anschlag auf den Berliner Weihnachtsmarkt nicht wegen Drogenhandels festgenommen wurde, sei mit dem damaligen Wissen allerdings nicht unbedingt falsch, sagte Jendro. „Es gibt keine Garantie, dass er auch in Haft gekommen wäre.“ Beim Drogenhandel gehe es zudem oft darum, an Hintermänner zu kommen. „Man kann nicht sagen, die Kollegen haben definitiv einen Fehler gemacht“, sagte Jendro. „Den Anschlag auf dem Breitscheidplatz hätten wir mit einer Festnahme nicht einhundertprozentig verhindern können.“
Amtshaftung sollte möglich sein
Vor einigen Wochen hatte Europol-Direktor Rob Wainwright in Den Haag erklärt, international ließen sich Kontakte zwischen islamistischen Terroristen und organisiertem Verbrechen feststellen: „Die meisten IS-Terroristen haben einen kriminellen Hintergrund.“ Amri hatte sich in Berlin nicht nur in Moscheen, sondern auch in Milieutreffpunkten aufgehalten. Als Drogendealer verkehrte er, heißt es aus Justizkreisen, mit einem Berliner Araber, der einem in Rotlichtkreisen bekannten Clan zugerechnet wird.
Der Wissenschaftliche Dienst des Bundestags hielt es schon vor Wochen für möglich, dass nach dem Anschlag vom Dezember 2016 ein Fall von Amtshaftung vorliegen könnte. Amri wurde monatelang von Beamten aus Nordrhein-Westfalen und Berlin überwacht – aber weder angeklagt noch abgeschoben. „Um den Sicherheitsbehörden in einer solchen Konstellation nachträglich eine Amtspflichtverletzung nachzuweisen, müsste eine verdichtete Gefahrenlage belegt werden. Die zuständigen Behörden müssten trotz des ihnen konkret bekannten bevorstehenden Anschlags untätig bleiben“, heißt es in einem Bundestagsgutachten, das dem Tagesspiegel vorliegt. Verursachten Staatsdiener – auch durch Unterlassen – einen Schaden, führe dies „zu einem Schadenersatzanspruch“.
In dem Gutachten heißt es dazu einschränkend, dass man allenfalls „abstrakt“ geprüft habe und nur „möglicherweise in Betracht kommende Amtshaftungsansprüche“ aufzeige. Das Gutachten hatte die Linke in Auftrag gegeben.
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