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Die Gleichberechtigung bedeutet letztlich das Ende der romantischen Liebe.
© dpa / picture-alliance

Hat die Liebe ein Chance? - Contra: In Zeiten der Gleichberechtigung ist Liebe hoffnungslos

Die Menschen werden sich zwar auch in Zukunft verlieben. Aber in ein paar Jahrzehnten wird die romantische Liebe am Ende sein. Das liegt zum einen am Arbeitsmarkt, zum anderen am Ideal der Gleichberechtigung, verkürzt auf das Dogma der Gleichheit.

Hat die Liebe noch eine Chance? Zwei Tagesspiegel-Autoren kommen zu verschiedenen Schlüssen. Den Anfang machte Claudia Keller. Lesen Sie hier ihre Gegenrede.

Eigentlich ist es ein Wunder: Fast 378 000 Paare haben in Deutschland im vergangenen Jahr geheiratet, in den Jahren zuvor waren es ähnlich viele. 756 000 mal haben Frauen und Männer förmlich und öffentlich „ja, ich will“ zueinander gesagt und vorher, weniger öffentlich, „ich liebe dich“. Liebe führt, oft jedenfalls, zur Ehe. Der Hochzeit geht die Liebe voraus, dieses romantische Gefühl, das einen Menschen auf der der Welt ganz besonders strahlen lässt, und das Sicheinlassen auf diesen Menschen und, allen vorher gemachten persönlichen Erfahrungen zum Trotz, zu einem schönen Versprechen. 75 Prozent der Menschen ab 16 halten die Ehe als auf Dauer angelegte Partnerschaft für das überzeugende Modell, wie das Institut für Demoskopie Allensbach herausgefunden hat – und das, obwohl jährlich deutlich mehr als 180 000 Paare sich scheiden lassen. Das alles in Zeiten rasend schnellen Wandels der Lebensverhältnisse, neu verkündeter und fernsehöffentlich propagierter Beziehungsideale wie der Polyamorie, die der sandalentragende Ober-Pirat Johannes Ponader für eine zeitgemäße Beziehungsbetätigung hält.

Doch sollte man aus diesen Taten und dem statistisch nachweisbaren deutschen Beziehungskonservatismus nicht schließen, dass die Idee der romantisch anmoderierten Liebe für immer strahlen wird. Im Gegenteil: Nicht mehr lange, ein paar Jahrzehnte noch, und die romantische Liebe wird am Ende sein. Zwei Kräfte sind dabei, dieses ziemlich langlebige, immerhin mindestens anderthalb Jahrhunderte geltende Beziehungsideal zu zerstören. Die eine Kraft geht vom Arbeitsmarkt aus. Die andere Kraft ist so etwas wie eine Gegenidee zur romantischen Liebe. Es ist das Ideal der Gleichberechtigung, verkürzt auf das Dogma der Gleichheit. Um eines klarzustellen: Dieser Text ist keine Polemik gegen die Liebe, er ist aber das „Nein!“ auf die Frage, ob die Liebe künftig noch eine Chance hat. Er geht von der These aus, dass sich Menschen, wie sie es immer getan haben, auch in Zukunft verlieben werden. Doch wenn die Verliebtheit dann in den Alltag übergeht, werden die Menschen sachlicher, pragmatischer und auch kälter denn je mit dem umgehen, was ihnen der Alltag von der Liebe übrig lässt.

Liebe, romantische Liebe in dem Sinn, wie sie noch immer wunderbare Erfahrungen und Geschichten, Romane und gute Songs erzeugt, hat mit Gleichheit nicht viel zu tun. Sie setzte Ungleichheit im Selbst- und im gegenseitigen Verständnis voraus. Männer und Frauen sind grundverschieden – das ist eine Voraussetzung dafür, dass man sich verlieben kann. Stünde nicht heute jede Verwendung des Wortes „Macht“ unter Ideologieverdacht und jeder Mann über 18 im Verdacht der Bereitschaft zur grundgesetzwidrigen Unterdrückung der Frau, könnte man sogar sagen: Frauen und Männer haben unterschiedliche Fähigkeiten, und deshalb gibt es unterschiedliche Bereiche der Vorherrschaft, pardon: noch so ein böses altes Wort, von Frauen und Männern.

Das herrschsüchtige Prinzip des "Das wollen wir auch".

Gefühlskälte: Als Zeichen ihrer Liebe bringen Paare so genannte "Liebesschlösser" an Brücken an.
Gefühlskälte: Als Zeichen ihrer Liebe bringen Paare so genannte "Liebesschlösser" an Brücken an.
© dpa

Noch ist das so, weshalb Bauarbeiterinnen und Müllfrauen so selten sind wie schwangere Männer. Doch gehen die Interessen so ziemlich aller Frauen, die jünger sind als Alice Schwarzer, dahin, die Unterschiede und Gegensätze zu überwinden. Das ist im Großen und Ganzen herrschende Politik unter dem unanfechtbaren Begriff Gleichberechtigung. Das Problem daran ist die alltägliche Verkürzung der Gleichberechtigung auf eine vordergründige Behauptung von Gleichheit. Niemand bestreitet, dass Frauen und Männer die gleichen Rechte haben. Doch im Leben, im Alltag, in der Politik geht es nicht mehr um die Schönheit und die Bedeutung der Unterschiede, es geht nur noch um das Prinzip „auch“: Ihr stellt sieben Aufsichtsräte – dann wollen wir das auch. Ihr habt eure karrierefördernde Seilschaft – dann machen wir das auch. Wir können Wochen vor und ein paar Monate nach der Geburt nicht arbeiten – dann sollt ihr auch ein paar Monate exklusiv mit dem Baby verbringen. (Als ob Männer heute dazu noch genötigt werden müssten – eher muss man die bedauern, die immer noch zu fixiert auf Karrierenormen sind, um sich auf ihre Kinder einzulassen. Eine der schönsten Phasen im Leben des Verfassers waren zwei Monate zwischen zwei Jobs, in denen er jeden Tag 24 Stunden Zeit für seinen zwei Jahre und zwei Monate alten Sohn W. hatte.)

Wie herrschsüchtig das Prinzip „auch“ geworden ist, sieht man – auch – an der Politik. Die Bundeskanzlerin, die Arbeitsministerin, die ihr Kind im Büro wickelnde Familienministerin machen vor, dass sich Frauen im Beruf durchsetzen. Zumal Ursula von der Leyen hat viel dafür getan, dass Frauen marktgängig geworden sind. Der Weg zur gleichen Bezahlung sollte nicht mehr weit sein. Auch hier ist das Bezeichnende an der Entwicklung, dass es den Frauen nicht um eine andere, freundlichere, warmherzigere Politik geht, sondern darum zu zeigen, dass sie es auch können: Sie sind karrierebewusst, kämpferisch, raffiniert und ebenso hart wie die Männer – und Kinder bringen sie (abgesehen von Angela Merkel) in ihrem perfekt organisierten Leben auch noch unter.

Was wird die Kinder von heute prägen? Sie werden mit arbeitenden, karrierebewussten Müttern groß. Und viele wachsen in Familien und mit Kindern aus anderen Familien auf, von denen manche neu zusammengesetzt werden. Da werden kaum noch Geschichten von der Liebe fürs Leben erzählt werden, eher solche von Trennungen, weil man nicht mehr zueinander passte. Für die Kinder von heute wird morgen normal sein, dass Mutter und Vater in ihrer Beziehung „gleich“ waren.

Männer und Frauen befinden sich im andauernden Interessenkonflikt.

Die Gleichberechtigung bedeutet letztlich das Ende der romantischen Liebe.
Die Gleichberechtigung bedeutet letztlich das Ende der romantischen Liebe.
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Die Gleichberechtigung mit ihrem Anspruch auf Gleichheit macht Frauen und Männern im wahrsten Sinn des Wortes zu Partnern – zu Verhandlungspartnern. Sie arbeiten zusammen an Gemeinsamkeiten, Zusammenarbeit, Rechten und Pflichten, sie versuchen, Interessengegensätze abzumildern.

Das hat Folgen für das Liebesverständnis. Moderne Paarbeziehungen sind nicht mehr geprägt durch ein romantisches Ideal wie „Der eine für den anderen“. Warum sollte sich eine arbeitende Frau Gedanken darüber machen, wie sie ihren karrierebewussten Gatten kräftigt und für den nächsten Machtkampf in Form bringt? Warum sollte ein arbeitender, den Haushalt zur Hälfte mitführender Mann sich Gedanken darüber machen, wie er seiner Frau, die das Haus, das Familienleben auch nicht mehr als er gestaltet, für eben diese nicht marktkonforme, „nur“ familiäre Arbeit besonders dankt? Beide sind gleich: gleich belastet, gleich gestresst, gleich müde, wenn es um gegenseitiges Interesse und Zuwendung geht. Sie können froh sein, wenn das Aushandeln von Pflichten und die Lösung von Konflikten nach der Koordination von mindestens drei Terminkalendern (ihrer, seiner und der mindestens eines Kindes) wirklich partnerschaftlich verläuft – sprich: gleichberechtigt. Aus Gefühlsfragen sind Managementfragen geworden. Kein Wunder, dass Paarberater derart viel zu tun haben. Die – feministische – Soziologin Eva Ilousz führt in ihrer hinreißend traurigen Studie mit dem passenden Titel „Warum Liebe weh tut“ auf zig Seiten und unter diversen Oberbegriffen aus, warum politische Emanzipation dazu führt, dass Liebesbeziehungen rationalisiert, also mit dem Verstand und der Vernunft betrachtet werden und warum das zum Vertragsdenken der Partner führt und zu einer neuen Kälte zwischen Frauen und Männern, die alle bemerken und viele bedauern.

Liebe braucht das Mysterium – und dafür ist heute weniger Raum denn je. Das Mysterium entsteht aus der Ungleichheit. Denn dort wirken die Anziehungskräfte. Es geht nicht um das gerecht Geteilte, sondern um das dunkle Ungleiche. Mit der romantischen Liebe ist es vorbei. Wir befinden uns in der Phase des Übergangs in die Zeit der gleichberechtigten Bedürfnisbefriedigung. Nichts spricht dafür, dass Frauen und Männer das gemeinsam hinbekommen wollen.

Werner van Bebber

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