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Eine kurdische Demonstration in Kreuzberg vor zwei Wochen mit mehr als 1100 Teilnehmern laut Polizei. Der Konflikt in der Region hatte in der Vergangenheit auch immer Auswirkungen auf Berlin.
© Björn Kietzmann

Möglicher Konflikt in Berlin: Kurden und Türken: Spannungsreiches Verhältnis

Die Auseinandersetzungen zwischen Türken und Kurden hatten in der Vergangenheit immer auch Auswirkungen in Berlin - Politiker befürchten auch jetzt Probleme.

Noch sind alle friedlich. Doch zwischen Türken und Kurden in Berlin entsteht eine neue Spannung, genau wie in der Türkei. Je massiver der Druck auf die kurdische Opposition in Ankara, je härter die Angriffe des türkischen Militärs auf kurdische Einheiten an der Grenze zu Syrien, desto wahrscheinlicher werden hier in Berlin Schlägereien zwischen Türken und Kurden und Angriffe ihrer politischen Organisationen aufeinander.

So war es immer. Es könnte kommen wie zuletzt im Oktober 2014: Die der PKK nahestehende Partei PYD mobilisiert zur Spontandemonstration, 1600 Menschen marschieren durch Neukölln und Kreuzberg, eine Flasche fliegt auf ein türkisches Lokal – die Polizei greift ein. Tage später, eine andere große Demonstration, diesmal in Wedding: vermutlich kurdische Demoteilnehmer prügeln sich mit vermutlich türkisch-nationalistischen Beobachtern der Demo, die Polizei greift ein, es gibt mehr als dreißig Verletzte.

Es geht nicht nur um "Türken gegen Kurden"

Was einfach aussieht, ist tatsächlich kompliziert. Der Konflikt in der türkischen Community ist nicht bloß ein ethnisch begründeter: Türken gegen Kurden. Er ist auch nicht bloß ein politischer: rechte, nationalistische türkische AKP- Anhänger gegen linke kurdische PKK- Sympathisanten und Anhänger der Kurdenpartei HDP im Parlament von Ankara – das ist die Partei, deren Erfolg bei der jüngsten Parlamentswahl die AKP des Präsidenten Tayyip Erdogan um die Chance zur Alleinregierung gebracht hat. Es ist ein Konflikt um Autonomie und nationale Integrität, um die Bedeutung von Religion, von Freiheit, von Stolz.

Man kann nicht einmal sagen, dass der Konflikt die größte türkische Stadt außerhalb der Türkei in zwei Lager teilt – hier die 200 000 Menschen mit türkischen Vorfahren, da die 50 000 Kurden. In Berlin leben nämlich auch Kurden aus Syrien und dem Irak. Die mögen den türkischen Staat, seinen Präsidenten Erdogan und seinen letzten Regierungschef, den Erdogan-Vertrauen Ahmed Davotoglu, zwar verfluchen, weil türkisches Militär die Kämpfer der PKK an der Front zum Kalifatsstaat im Irak angreift. Doch in den innertürkischen Konflikt zwischen der Erdogan-Partei AKP und der kurdischen Oppositionspartei HDP können sich die Berliner Kurden aus Irak oder Syrien nicht einmischen. Sie haben, anders als die Berliner Kurden mit türkischer Staatsangehörigkeit, in der Türkei kein Wahlrecht.

So kompliziert sind die Dinge nämlich zwischen Kurden und Türken in Berlin: Denn in Berlin wird mit den Wählerstimmen der türkischen Türken und der kurdischen Türken innertürkische Politik gemacht. So beobachtet Özcan Mutlu, Berliner Bundestagsabgeordneter der Grünen und derzeit in der Türkei: „Seitdem die Menschen in den Generalkonsulaten wählen dürfen, haben sie sich nach meinem Gefühl auf die türkische Politik fokussiert. Ob das die Integration fördert, darf bezweifelt werden.“ Dilek Kolat, SPD-Senatorin für Integration, sieht es ähnlich: „Die islamische politische Agenda von Erdogan macht nicht an den Grenzen der Türkei halt“, sagt sie und fordert, alles dafür zu tun, „dass das Klima eines friedlichen Miteinanders von Konflikten in der Türkei nicht vergiftet wird.“

Schon jetzt ist vom "Krieg gegen die Kurden" die Rede

Die Erfahrung spricht dagegen, dass politisch engagierte und interessierte Türken und Kurden ihren Streit hier nur verbalradikal austragen. Auf der Internetseite der Kurdischen Gemeinde Berlins ist jetzt vom „Krieg“ Erdogans gegen die Kurden die Rede. So sagt es auch Evrim Sommer, Parlamentarierin der Linken im Abgeordnetenhaus: „Erdogan hat offensichtlich den Kurden in der Türkei und Syrien den Krieg erklärt.“ Sie sagt auch, dass Gewalt „Wasser auf Erdogans Mühlen“ wäre – offenbar suche Erdogan Gründe, um die kurdische HDP verbieten und ihre Abgeordneten verfolgen zu können. Doch war es in Berlin immer so, dass Gewalt in der Luft lag, wenn in der Türkei der Streit zwischen türkischen Nationalisten und kurdischen Kämpfern für Unabhängigkeit und einen eigenen Staat mit Gewalt ausgetragen wurde.

Das Klima in der Türkei beeinflusst das in Berlin - so war es schon immer

Die Kulturwissenschaftlerin Tina Julia Thiermann beschreibt in ihrer Studie „Interpretationen türkisch-kurdischer Jugendkonflikte in Berlin“, wie das politische Klima in der Türkei die Umgangsformen zwischen Türken und Kurden in Berlin beeinflusst. So war es in den 90er Jahren, als es Demonstrationen gegen ein Betätigungsverbot der PKK gab und deren Führer Abdullah Öcalan verhaftet und in der Türkei vor Gericht gestellt wurde. So war es 2007 und 2008 und 2011, als es in Berlin bei größeren Demonstrationen zu Prügeleien zwischen türkischen und kurdischen Jugendlichen kam: Der Konflikt macht sich an ethnischen Zugehörigkeiten fest und wird mit Nationalstolz ausgetragen. Er ist der erwähnten Studie zufolge noch auf Berliner Schulhöfen präsent, wo Beschimpfung von der Art „Du Scheißtürke“ - „Du Scheißkurde“ für einen Streit gut sind,  auch wenn die, die sich da beschimpfen, der vierten Generation von Berliner Migranten aus der Türkei angehören.

Der mutmaßliche neue Wahlkampf, den Erdogans AKP nun anstrebt, wird auch in Berlin ausgetragen werden. Er könnte heftiger werden als das, was die Berliner von ihrem Abgeordnetenhaus kennen. Noch mal Özcan Mutlu: „Schon in der Vergangenheit gab es Spannungen in der türkisch-kurdischen Community. Jetzt, wo die Menschen in Berlin und in Deutschland direkt an der türkischen Politik teilnehmen können, wird das Verhältnis noch gespannter werden."

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