zum Hauptinhalt
In einem fünfstufigen Ampelsystem sollen Verdachtsfälle für Rechtsextremismus eingestuft werden.
© Marc Tirl/dpa

Reicht ein Verdacht für den Rauswurf?: Kritik an Berlins Plan gegen Rechte in der Polizei

Bewerber sollen überprüft und ein Ampelsystem einführen werden. Es soll einen Extremismusbeauftragten geben. Verbände und Gewerkschaften sind nicht zufrieden.

Gut gewollt, aber schlecht gemacht und nicht durchdacht – das Konzept von Berlins Innensenator Andreas Geisel (SPD) zum Kampf gegen Rechtsextremismus bei der Polizei fällt bei Gewerkschaften und Berufsverbänden teilweise durch.

Geisel stellt am späten Mittwochvormittag gemeinsam mit Polizeipräsidentin Barbara Slowik den Elf-Punkte-Plan „zur internen Vorbeugung und Bekämpfung von möglichen extremistischen Tendenzen“ vor.

Bislang hatte Slowik stets darauf bestanden, dass es in der Berliner Polizei keine Tendenzen und rechtsextremistische Strukturen, wohl aber Einzelfälle gebe. Doch in den vergangenen Jahren und Monaten geriet die Polizei in die Defensive – wegen der Einzelfälle und dem Druck der rot-rot-grünen Koalition.

Doch was Geisel und Slowik jetzt vorgelegt haben, hat in Teilen einige Sprengkraft. Unbestritten dürfte die Einführung eines Extremistenchecks sein. Bei Neueinstellung in der Polizei wird künftig der Verfassungsschutz gefragt, ob zu dem Bewerber oder der Bewerberin Erkenntnisse vorliegen. Die Überprüfung auf eine zuverlässige Einstellung zur demokratischen Grundordnung soll zudem regelmäßig wiederholt werden.

Doch im Gegensatz zu anderen Bundesländern soll der Extremistencheck zunächst auf die Polizei begrenzt bleiben. Brandenburgs Innenminister Michael Stübgen (CDU) hingegen plant, einen Verfassungstreue-Check für den gesamten öffentlichen Dienst einzuführen.

Reicht Verdacht für Rauswurf?

Aus Sicht des Bundes Deutscher Kriminalbeamter (BDK) sind andere Punkte des Geisel-Konzepts unausgegoren, darunter ein fünfstufiges Ampelsystem, mit dem Verdachtsfälle für Rechtsextremismus eingestuft werden sollen. Sind die Indizien für extremistische Einstellungen bei einem Beamten so gravierend, dass die Fälle mit „rot“ oder „orange“ bewertet werden, ist die Entfernung aus dem Dienst zu erwarten.

[Wenn Sie alle aktuellen Nachrichten live auf Ihr Handy haben wollen, empfehlen wir Ihnen unsere runderneuerte App, die Sie hier für Apple- und Android-Geräte herunterladen können.]

Schon bei hinreichendem Verdacht sollen Polizisten aus dem Dienst entfernt werden. Ob den dafür zuständigen Verwaltungsgerichten jedoch dieser hinreichende Verdacht ausreichen wird, darf bezweifelt werden.

Das Disziplinarrecht gibt derlei bislang nicht her. BDK-Landeschef Daniel Kretzschmar sagte, er sehe das Ampelsystem kritisch, „da derartig schematische Vereinfachungen die Gefahr bergen, die gebotene Einzelfallbetrachtung nicht konsequent genug zu betreiben und im Ergebnis in der Verwaltungsgerichtsbarkeit zu scheitern“. Im Ampelsystem ist auch eine Kategorie „blau“ für alle Beamten vorgesehen, bei denen „keinerlei Anhaltspunkte“ bestehen. Damit würden „unbescholtene Kolleginnen und Kollegen in eine disziplinarrechtliche Einordnung“ aufgenommen, „obwohl es für Disziplinarermittlungen keinerlei Grundlage gibt“, sagte Kretzschmar.

Kritik an Extremismusbeauftragtem

Geplant ist auch ein anonymes Hinweissystem, um Beamte zu schützen, die extremistische Vorfälle melden wollen und den Korpsgeist der Kollegen fürchten müssen. Die Berufsverbände sehen diesen Plan unterschiedlich: Der BDK hat keine Bedenken, weil es solche Hinweissystem auch für organisierte Kriminalität gibt. Der Berufsverband „Unabhängige“ hingegen findet, damit würden  „missbräuchlichen Vorwürfen Tür und Tor geöffnet“.

Besonders umstritten ist auch der von Geisel und Slowik geplante Extremismusbeauftragte. Der soll sich mit verfassungsfeindlichen Umtrieben in der Polizei befassen und selbst der Polizei angehören. Die Verbände warnen vor einem Bürokratiemonster, denn gerade erst wurde bei der Justizverwaltung die Ombudsstelle nach dem neuem Landesantidiskriminierungsgesetz geschaffen. Zudem plant die Koalition einen Bürger- und Polizeibeauftragten.

Berlins Innensenator Andreas Geisel (SPD) legt einen Elf-Punkte-Plan gegen Rechtsextreme in der Polizei vor.
Berlins Innensenator Andreas Geisel (SPD) legt einen Elf-Punkte-Plan gegen Rechtsextreme in der Polizei vor.
© Wolfgang Kumm/dpa

Jörn Badendick, Sprecher des Berufsverbands „Unabhängige“, sagt: „Die SPD stellt seit fast 20 Jahren die Berliner Landesregierung, bis auf eine Ausnahme in Koalition mit der Linkspartei. Das neue Prozedere wirft die Frage auf, ob es in punkto Rechtsextremismus bei der Polizei Versäumnisse gab.“

Er verwies darauf, dass sein Verband seit mehr als drei Jahren ergebnislos die Einrichtung eines unabhängigen Polizeibeauftragten nach dem Modell eines Wehrbeauftragten als Anlaufstelle für Polizisten fordert. „Stattdessen versucht der Senat kontinuierlich, der Belegschaft eine Parallelustiz über zu helfen“, sagt Badendick.

[In unseren Leute-Newslettern berichten wir wöchentlich aus den zwölf Berliner Bezirken. Die Newsletter können Sie hier kostenlos bestellen: leute.tagesspiegel.de]

BDK-Landeschef Kretzschmar sagt: „Mit der Umsetzung des Konzepts des Innensenators werden gleichwohl weitere Parallelstrukturen zur Ombudsstelle sowie dem kommenden Bürger- und Polizeibeauftragten geschaffen, die wertvolle Ressourcen kosten und absehbar bürokratischen Aufwand verursachen.“

Aktuell werden 33 Verfahren gegen Beamte geführt

Es würde ausreichen, die interne Revision, die Beschwerde- und Disziplinarstellen der Polizei sowie den geplanten Bürger- und Polizeibeauftragten ausreichend auszustatten, anstatt noch mehr Ressourcen zu binden.
Die Polizei hat seit 2016 insgesamt 48 Verfahren gegen Beamte wegen politisch motivierter Dienstvergehen oder sogar extremistischen Delikten erfasst. Meistens geht es um Rechtsextremismus und Rassismus, in zwei Fällen gibt es einen Bezug zur Reichsbürgerszene.

Aktuell sind noch 33 Verfahren anhängig. In vier Fällen sei Disziplinarklage auf Entfernung aus dem Beamtenverhältnis erhoben worden. Bei den 15 Verfahren, die bereits beendet sind, war in fünf Fällen eine Geldbuße fällig und in drei weiteren einen Verweis. Fünf Verfahren wurden eingestellt.

33 Verfahren bei 25.000 Polizisten und Polizeiangestellten sei nicht viel, sagte Geisel am Mittwoch. „Aber jeder Fall ist einer zu viel.“ Das Konzept sei auf viele Jahre angelegt und diene auch dem „Schutz der aufrechten Polizisten“ vor pauschalen Verurteilungen.

„Es gibt immer wieder einzelne, die den ganzen Berufsstand in Misskredit bringen.“ Dagegen müsse man vorgehen, gerade weil die Polizei wegen ihrer besonderen Aufgabe „über jeden Zweifel erhaben“ sein müsse. (mit dpa)

Zur Startseite