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Polizeibeamte müssen häufig Demonstrationen für und gegen die AfD sichern. Dabei sollen sie vorurteilsfrei handeln.
© imago images/Martin Müller
Exklusiv

Beamte unter Extremismusverdacht: Polizist und AfD-Mitglied - geht das zusammen?

Die Einstufung der Brandenburger AfD als Extremismus-Verdachtsfall schlägt Wellen – bis in die Berliner Polizei.

Seine Partei wird seit einigen Tagen vom Verfassungsschutz in Brandenburg mit nachrichtendienstlichen Mitteln beobachtet. Denn die AfD ist in Brandenburg seit einer Woche als Verdachtsfall eingestuft. Doch Jörg E. ist für die Partei nicht nur Gemeindevertreter in einem Ort am Rande des Berliner Speckgürtels. Er ist auch Mitarbeiter der Berliner Polizei. Seit kurzem ist er dort auch Vorsitzender des neu gewählten Personalrates der Direktion Zentrale Sonderdienste – zuständig für den Objektschutz und das Gefangenenwesen.

Der Fall wirft die grundsätzliche Frage auf, wie mit Beamten und Angestellten der Sicherheitsbehörden umgegangen wird, die in der AfD aktiv sind. Nicht wenige Mitarbeiter der Berliner Polizei wohnen in Brandenburg, einige engagieren sich dort auch in der AfD.

Wie etwa Gunnar Berndt, der immerhin Polizeidirektor war, höherer Dienst, drei goldene Sterne auf der Schulterklappe. Er leitete den Polizeiabschnitt 34 in Berlin und war damit zuständig für das Parlaments- und Regierungsviertel. Bei der Kommunalwahl in Brandenburg Ende Mai 2019 trat er für die AfD an, kurz zuvor ging er in Pension. Jetzt ist er Stadtverordneter in Hennigsdorf.

Welche Folgen das Vorgehen Brandenburgs hat, ist noch unklar. Nach Einschätzung der Verfassungsschutzbehörde des Innenministeriums in Potsdam liegen „hinreichend gewichtige tatsächliche Anhaltspunkte“ dafür vor, dass der AfD-Landesverband eine „Bestrebung gegen die freiheitlich-demokratische Grundordnung“ ist. Die Partei verlangt Akteneinsicht und hat eine Klage angekündigt.

Der Potsdamer Fraktionschef Andreas Kalbitz gilt als rechter Scharfmacher in der Brandenburger AfD.
Der Potsdamer Fraktionschef Andreas Kalbitz gilt als rechter Scharfmacher in der Brandenburger AfD.
© dpa

Brandenburger Polizisten mit AfD-Parteibuch müssen nun damit rechnen, von ihren Vorgesetzten angesprochen zu werden. Das hatte Verfassungsschutzchef Jörg Müller angedeutet. Aber allein Mitglied zu sein in einer Partei, die als Verdachtsfall eingestuft ist, reicht nicht für ein Disziplinarverfahren oder der Entfernung aus dem Dienst. Die Parteimitgliedschaft kann dennoch ein Indiz sein, dass Zweifel an der Verfassungstreue bestehen dürften – und dies daher überprüft werden müsse.

Aktuell gilt nur für die NPD, die höchstrichterlich festgestellt verfassungsfeindlich ist: Wer dort Mitglied ist, kann kein Beamter sein. Ebenso müssen Mitglieder des als rechtsextremistisch und verfassungsfeindlich eingestuften „Flügel“ der AfD mit Disziplinarverfahren rechnen. Davon geht selbst die AfD aus, sollte die Partei vollends als extremistisch und Beobachtungsfall eingestuft werden.

Aber stets, darauf weisen die Behörden hin, kommt es auf den Einzelfall an – wie bei Jörg E. Er ist Anfang 50 und im selben Kreisverband aktiv wie Andreas Kalbitz. Brandenburgs Verfassungsschutz betrachtet Kalbitz als Rechtsextremisten. Der AfD-Bundesvorstand hatte ihm mit knapper Mehrheit das Parteibuch wegen verschwiegener Mitgliedschaft in einem militanten Nazi-Verein entzogen. Kalbitz klagt und bestreitet die Vorwürfe. Am Freitag hat das Berliner Landgericht entschieden, dass Kalbitz bis zur Entscheidung des AfD-Bundesschiedsgerichts Parteimitglied bleiben und auch an Gremiensitzungen teilnehmen darf.

Andere Maßstäbe in der Kommunalpolitik

Nun ist die Kommunalpolitik weniger parteipolitisch aufgeladen als die Landespolitik. Für die Kommunalwahl 2019 hatten E. und die örtliche AfD damit geworben, dass „Fehlentwicklungen in Deutschland“ wie Dieselfahrverbote, „Verspargelung“ der Landschaft durch Windräder, islamische Parallelgesellschaft – „unsere Gemeinde (noch) nicht erreicht“ haben. Die AfD versprach den Wählern, „unsere Heimat zu schützen“. Ansonsten ging es im Wahlprogramm um lokale Probleme, die Busanbindung, der Dorfarzt.

Die Dorfidentität soll durch Gebäude- und Denkmalpflege geschützt werden, gemütliche Räume für die Dorfgemeinschaft, Sport, Vereine und Feuerwehr und der Zusammenhalt durch Dorffeste gefördert werden. Es geht aber auch um Familienpolitik, günstige Kredite fürs Kind, Hilfen für Frauen, damit es nicht zum Schwangerschaftsabbruch kommt.

Bei der Polizei Berlin ist E. nach eigenen Angaben seit 2011. Er hatte Musik studiert, Pädagogik, unterrichtete als Gitarrenlehrer, war selbstständig. Im Amtsblatt stellte er sich nach seiner Wahl in der Gemeindevertretung mit diesen Worten vor: „In der Auseinandersetzung mit politischen Inhalten rund um Europa, der EU, der europäischen und deutschen Migrationspolitik, Energie- und Umweltpolitik sowie um Identität, Heimat und Familie und weitere zum Beispiel wirtschaftliche, wie Industrie 4.0, bin ich zur AfD gekommen.“

In Berlin steht ein Präzedenzfall an

Nun stand E. erneut zur Wahl – für den Personalrat seiner Polizeidirektion in Berlin. Angetreten war er für den Verein „Wir. Aktiv“, der im Streit um Arbeitszeitabrechnungen und Tarifrecht mit der Polizei in den vergangenen Jahren an Stärke gewonnen hatte.

Jetzt ist der Verein stärkste Kraft im Personalrat der neuen, im Zuge der von Polizeipräsidentin Barbara Slowik verordneten Strukturreform geschaffenen Direktion. Doch die Mehrheit haben die Gewerkschaft der Polizei (GdP) und die Deutsche Polizeigewerkschaft (DpolG). Dieses Lager hat E. nicht aktiv mitgetragen, es soll sich enthalten haben.

Dem Tagesspiegel sagte der Polizeiangestellte als Privatmann: „Wenn sich der Extremismusverdacht gegen die AfD bestätigen sollte, werde ich die Konsequenzen ziehen. Das Engagement für unseren Berufsverein ,Wir. Aktiv‘ und die Beschäftigten bei der Polizei Berlin ist mir wichtiger als die Partei.“

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Dem Vernehmen nach soll Direktionsleiter Thorsten-Arne Beese den Fall bereits geprüft haben. Die Polizei Berlin wollte sich nicht näher dazu äußern, aus datenschutz- und persönlichkeitsrechtlichen Gründen, schon gar nicht zu Einzelpersonen.

„Grundsätzlich bleibt jedoch festzuhalten, dass wir bei Erkenntnissen zu Vorwürfen hinsichtlich oder Anhaltspunkten auf ein verfassungswidriges Verhalten von Beschäftigten unverzüglich Ermittlungen aufnehmen“, sagte ein Sprecher. Dann werde die Polizei „Verfahren einleiten und bei Bestätigung konsequent dienstrechtlich und – so möglich – selbstverständlich strafrechtlich dagegen vorgehen“.

Wie heikel das sein kann, zeigte sich jüngst bei einem anderen Fall, bei dem die Polizei gescheitert ist. Es geht um B., Anfang 20, ein Polizeibeamter auf Probe in Spandau. Im Januar 2019 war er kurzzeitig Vorstandsmitglied bei der AfD-Jugend „Junge Alternative“ (JA) in Berlin. Die wurde dann vom Verfassungsschutz als Verdachtsfall für eine extremistische Gruppe eingestuft.

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Obwohl B. daraufhin seine Ämter wie angekündigt niedergelegt hat, bekam er ein Disziplinarverfahren. Das Ziel der Polizeiführung: B. sollte aus dem Dienst entfernt werden. Es geht dabei auch um Kontakte, die er vor einigen Jahren zu rechtsextremistischen „Identitären Bewegung“ hatte. Zuerst dem Personalrat der Direktion 2, dann dem Gesamtpersonalrat, in dem alle vier bekannten Gewerkschaften und Berufsverbände vertreten sind, reichten die Vorwürfe nicht, um B. aus dem Staatsdienst zu entlassen.

Das Gremium verweigerte seine Zustimmung. Das wiederum wies Polizeipräsidentin Slowik zurück. Die Polizeiführung will dem Vernehmen nach bis vor den Hauptpersonalrat ziehen. Ein absoluter Ausnahmefall, denn der ist die Vertretung für alle 120.000 Mitarbeiter des öffentlichen Dienstes in Berlin. Ausgang offen.

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