Kulinarisches Kino: Koch-Wunderkind zu Gast in Berlin
Als Zehnjähriger machte Flynn McGarry aus dem Wohnzimmer seiner Eltern einen „Supper Club“. Mit 19 betreibt er nun ein Lokal in New York. Am Donnerstag kocht er mit Berliner Jugendlichen.
Die Kindheit genießen? „Dafür reichen doch zehn Jahre aus“, meint Flynn McGarry. Seine Leidenschaft fürs Kochen und der Ruhm, den er dafür erntete, machten aus dem Wunderkind schnell einen professionellen Koch. Am kommenden Dienstag eröffnet er sein erstes eigenes Restaurant in New York – mit 19 Jahren.
Das hält ihn aber nicht davon ab, beim Jugendtag des Kulinarischen Kinos am Donnerstag mit Berliner Jugendlichen zu kochen. Denen steht die Begegnung mit einem Phänomen bevor. In dem Film „Chef Flynn“, der in diesem Jahr das Kulinarische Kino eröffnete, erzählt Cameron Yates die Geschichte eines Menschen, der von klein auf ganz genau wusste, was er machen will im Leben: Kochen. Auf höchstem Niveau.
Kein geringeres Ziel hat er, als der beste Koch der Welt zu werden. „Halt!“, sagt Meg McGarry, die Mutter des Gourmet-Genies, die ihren Sohn schon filmte, als er noch ein Baby war. „Du hast auch schon andere Sachen gewollt, mal wolltest du Sportler werden, mal Gitarrist.“ Aber nichts war am Ende so stark wie die Sache mit dem Kochen.
Die Gitarre verkaufte er, um sich Küchenutensilien zu besorgen. Schon als Kleinkind imitierte McGarry Abläufe, die er in TV-Kochshows beobachtet hatte. Im Alter von zehn Jahren verwandelte er das heimische Wohnzimmer in Los Angeles in einen „Supper Club“.
Als er 13 Jahre war, berichtete der "New Yorker" über ihn
Zuerst kamen Freunde der Familie, um die erstaunlichen High-Cuisine-Kreationen des Wunderkindes zu probieren. Dann kamen Freunde von Freunden in den Club, in dem McGarrys Klassenkameraden als Aushilfsköche und Servicepersonal agierten. Irgendwann, da war McGarry 13 Jahre alt, erschien im Magazin „New Yorker“ eine Geschichte über ihn.
Inzwischen trug das Wohnzimmer-Restaurant den Namen „Eureka“, nach der Straße, in der McGarrys Elternhaus lag. Das war die Zeit, als Filmemacher Cameron Yates mit ihm Kontakt aufnahm. Die beiden freundeten sich an, und Yates begann, das Filmmaterial der Mutter zu sichten, das einen großen Teil von „Chef Flynn“ ausmacht. Immer wieder ist zu sehen, wie McGarry als Teenager peinlich berührt die Filmversuche der Mutter abwehrt.
„Stellen Sie sich mal vor, wie das ist, wenn einen die Mutter die ganze Zeit filmt“, sagt er und lacht. Die beiden müssen eine Herausforderung füreinander gewesen sein, aber eine fruchtbare. McGarry wollte am liebsten täglich kochen. Anderes interessierte ihn nicht mehr. Seine Mutter Meg plädierte für einen Supper Club, der einmal wöchentlich oder besser einmal monatlich stattfinden sollte.
Wenn man nicht die Passion ihres Sohnes hat, kann es ganz schön anstrengend sein, so ein Privatrestaurant zu betreiben. Teuer wurde es auch. Irgendwann begannen sie, die Mahlzeiten im Supper Club zu berechnen.
Spitzenküche für Gourmets - sein Ding
Mit 13 Jahren aß McGarry zum ersten Mal im New Yorker Spitzenrestaurant Eleven Madison Park. Ein Erweckungserlebnis. Spitzenküche für Gourmets, das war sein Ding. Meg McGarry ließ sich darauf ein, für den eigenen Sohn zu arbeiten. Aufstehen um halb sechs? Wenn der Chef Fisch braucht, musste das eben sein. Eine Weile hat sie auch die Reservierungen in den Pop-up-Restaurants ihres Sohnes koordiniert und auch mal im Service mitgeholfen. Damit ist jetzt Schluss.
Die Autorin und Filmemacherin, die 1987 und 1989 bei der Berlinale im Panorama mit eigenen Filmen vertreten war, bleibt in Kalifornien. Flynn, der immer schon nach New York wollte, hat sein erstes Restaurant in Chinatown „gem“ getauft. Diese Buchstabenreihung kommt heraus, wenn man den Namen der Mutter in umgekehrter Reihenfolge liest. Sie bezeichnet aber auch eine bestimmte Salatart. Und „gem“ ist das englische Wort für Juwel.
McGarry ist überzeugt, dass die Art zu speisen sich ändern wird. Er hat sich eine Weile in Kopenhagen umgesehen. Michelin-Sterne will er schon erobern, am liebsten drei, denn die sind auch wichtig, um das europäische Publikum ins Restaurant zu holen. Aber er will keine Kompromisse machen.
Weiße Tischdecken und ein steifer Service gefallen ihm gar nicht. Bei ihm soll man sich fühlen wie auf einer fröhlichen Dinnerparty. Die Servicemitarbeiter sollen nicht wie Diener auftreten, sondern wie Gastgeber. Anders als in normalen US-Restaurants ist bei ihm im Menüpreis das Trinkgeld inbegriffen, weil die Köche zum Teil auch servieren, und alles gerecht aufgeteilt werden soll.
Der älteste Mitarbeiter ist 27
Offiziell betreibt seine 23-jährige Schwester Paris das Restaurant. Mit 19 Jahren kann er noch keine Alkohollizenz bekommen. In den USA dürfen Jugendliche frühestens mit 21 Jahren Alkohol in einem Restaurant bestellen. Sein ältester Mitarbeiter ist 27 Jahre alt und ein toller Gastgeber. Sein Sommelier ist immerhin auch schon 24 Jahre alt.
In McGarrys Degustationsmenü bestehen von zwölf Gängen neun aus Gemüse, zwei aus Fisch und einer aus Fleisch. Er wünscht sich einen bewussteren Konsum von Lebensmitteln. Missionieren ist aber nicht seine Sache. Er zieht einfach sein Ding durch und hofft, dass die Leute das akzeptieren und vielleicht gut finden.
„Warum kochen?“ Um diese Frage geht es auch beim Jugendtag des Kulinarischen Kinos. Weniger Fleischkonsum kann die Vernichtung der Regenwälder eindämmen, aber was tun, damit Gemüse schmeckt? McGarry will es zeigen mit einem gemeinsam zuzubereitenden Menü namens „Climate Kitchen“. Hier spielen „in Zitrone marinierte Bete, warme Beeren und Ziegenmilchjoghurt" und „Kamille- Panna Cotta mit Zitrone und Honig-Granita“ die Hauptrolle.
Karotten- und Kaffeepüree mit Krustentieren
Den Premierenabend im Spiegelzelt des Kulinarischen Kinos hat er genossen, obwohl es nicht leicht war, in einem fremden Land für 250 Leute aus dem Stand zu kochen. Sein Karotten- und Kaffeepüree mit Krustentieren und vor allem die Rote Bete Wellington mit geräucherter Dattel, Betegrün und Bordelaise kamen dann aber bestens an beim Publikum.
In Berlin war er schon im „Facil“ essen, das hat ihm gefallen, und ein Freund hat „Nobelhart und Schmutzig“ empfohlen. Bei Tim Raue hat er keine Reservierung bekommen. Vermisst er nicht ein bisschen Freizeit und Freiheit? Nein, denn was er macht, sieht zwar nach Arbeit aus, aber für ihn fühle es sich nicht nach Arbeit an, sagt er.
Wird es eine Fortsetzung des Dokumentarfilms geben, der noch einen Verleiher sucht? Cameron Yates und Produzentin Laura Coxson schütteln die Köpfe. Erstmal gilt es, den aktuellen Film zu vermarkten. Die zahlenden Gäste wird man nicht so einfach filmen können wie einst die Supper-Club-Besucher. Aber ein bisschen Material von der Eröffnung werden sie sich schon sichern. Vielleicht kommt die Fortsetzung ja dann zur Feier des Dritten Sterns für Chef Flynn.