Bürgerentscheid zur Kolonie Oeynhausen: Keiner will für die Kleingärten verantwortlich sein
Auch nach dem erfolgreichen Bürgerentscheid in Charlottenburg-Wilmersdorf sind die Lauben in der Kolonie Oeynhausen noch nicht gerettet. Der Investor kündigt einen Bauantrag für Wohnungen an und droht mit hohen Schadensersatzforderungen.
Der Bürgerentscheid in Charlottenburg-Wilmersdorf ist mit 77,06 Prozent Ja-Stimmen für die Erhaltung der Schmargendorfer Laubenkolonie Oeynhausen ein starkes Zeichen, die Kleingärtner feierten am Sonntag bis spätabends. Doch gerettet ist die seit Jahren bedrohte Kolonie noch nicht. Nun beginnt ein neues politisches Tauziehen auf Bezirks- und Landesebene. Es geht vor allem um den Schadensersatz, den die privaten Grundstückseigentümer fordern wollen, falls sie 700 geplante Wohnungen nicht bauen dürfen.
Baustadtrat Marc Schulte (SPD) sieht „den Ball beim Senat“. Er schickte einen Brief an Finanzsenator Ulrich Nußbaum (parteilos, für SPD). Darin betont der Stadtrat, der Bezirk könne die Entschädigungskosten nicht allein tragen. Deren Höhe ist umstritten, Schultes Verwaltung schätzt die Summe auf bis zu 25 Millionen Euro. Eine Beteiligung am Risiko hatte der Finanzsenator schon 2012 abgelehnt. Wegen des „eindeutigen Votums“ bittet Schulte ihn nun „dringend“, seine Haltung zu überdenken.
Die Finanzverwaltung verweist ans Parlament
Eine Sprecherin der Finanzverwaltung lehnte es ab, „persönliche Briefe über die Presse zu kommunizieren“. Allzu persönlich ist das Schreiben aber gar nicht: Es steht als Pressemitteilung auf der Webseite des Bezirks und ging in Kopie an den Regierenden Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) sowie an den CDU-Landeschef, Vize-Bürgermeister und Innensenator Frank Henkel.
Die Finanzverwaltung sieht sich aber auch nicht als passenden Adressaten: „Grundsätzlich ist dies eine Angelegenheit, die an das Abgeordnetenhaus als Haushaltsgesetzgeber zu richten ist“, hieß es. Außerdem müsse zunächst geklärt werden, „ob kein persönliches Fehlverhalten des Baustadtrats vorliegt“. Gemeint ist eine Strafanzeige der Kleingärtner gegen Schulte wegen Urkundenunterdrückung und Betrug. Bei einer Akteneinsicht hatten sie einen Vermerk des Stadtplanungsamts entdeckt, in dem ein Mitarbeiter nur mit 870 000 Euro Schadensersatz rechnete.
Viele Bezirkspolitiker fühlen sich im Stich gelassen von Abgeordnetenhaus und Senat. Allerdings hatte der Vize-Vorsitzende und Stadtentwicklungsexperte der Berliner CDU-Fraktion, Stefan Evers, bereits im März eine Unterstützung durch das Land gefordert, falls der Bürgerentscheid erfolgreich ist.
Grüne regen neues Gutachten an
In der BVV Charlottenburg-Wilmersdorf hat es die rot-grüne Mehrheit wegen der möglichen Entschädigungskosten abgelehnt, einen unterschriftsreifen Bebauungsplan zur Sicherung der Kolonie in Kraft zu setzen. Nun betont Grünen-Fraktionschefin Petra Vandrey, der Bürgerwille dürfe „nicht ignoriert werden“. Handeln müsse der Senat, der die Flächen „wiederholt als hoch gesichert eingestuft“ habe. Außerdem regte Vandrey ein neues Gutachten zum Schadensersatz an. Es gebe schon vier Gutachten zum Baurecht, doch seien diese widersprüchlich und teils veraltet; um die Entschädigungshöhe sei es nur am Rande gegangen.
Auch die bezirkliche SPD-Fraktion sieht „den Senat in der Pflicht“, wie die Vize-Vorsitzende Heike Schmitt-Schmelz am Montagabend nach einer Fraktionssitzung sagte. Marlene Cieschinger (Linke) und Siegfried Schlosser (Piraten) forderten, den Bürgerwillen umzusetzen.
25 Millionen Euro? Ein TU-Professor rechnet mit höchstens mit einem Zehntel davon
Härte zeigt die Eigentümerfirma Lorac, die zum US-Investor Lone Star gehört. 2008 hatte sie einen Großteil der Kolonie der Post abgekauft (es gibt im Süden auch einen ungefährdeten landeseigenen Teil). Die Lorac werde „zügig“ die Baugenehmigung für ihr ganzes Gelände beantragen, kündigte Anwalt Bernhard Haaß an. Werde diese verweigert, verlange man „mindestens“ 25 Millionen Euro. Ein früherer Kompromiss zur Teilbebauung sei von der BVV gekippt worden und durch den Bürgerentscheid „endgültig unmöglich“. Der Entscheid werde Hoffnungen enttäuschen und der Glaubwürdigkeit der Politiker schaden, meint Haaß. Man könne Baurecht „nicht einfach aufheben“.
Am Sonntag hatte Christian Otto, Jurist und TU-Professor für Stadt- und Regionalplanung, die Entschädigungskosten nur auf eine bis höchstens 2,5 Millionen Euro geschätzt. Stadtrat Schulte zeigte sich darüber auf Nachfrage „mehr als überrascht“, er werde Kontakt zu Otto aufnehmen. Die Kleingärtner sagen, eine Million Euro könnten sie selbst aufbringen.
Der Präsident des „Landesverbands Berlin der Gartenfreunde“, Günter Landgraf, sieht in dem Bürgervotum und dem Volksentscheid zum Tempelhofer Feld „ein Beispiel dafür, dass die Menschen heute eine andere Einstellung zum Stadtgrün haben“. Es sei „nicht ausgeschlossen“, dass weitere bedrohte Kolonien auf Bürgerentscheide setzen. Stadtweit seien mindestens 84 nur bis zum Jahr 2020 gesichert.