Bürgerentscheid in Charlottenburg-Wilmersdorf: Großer Kampf um kleine Gärten
Vor dem Bürgerentscheid über die Laubenkolonie Oeynhausen in Schmargendorf am 25. Mai spitzt sich der Streit zu. Die Kleingärtner haben den Baustadtrat angezeigt, und die bisher schweigsame Eigentümerfirma überrascht mit Umfragezahlen.
Wolfgang Vonnemann muss Passanten oft erklären, für wen er an Infoständen in Charlottenburg-Wilmersdorf steht. Dann sagt er: „Wir sind die Dritten.“ Vonnemann wirbt weder für die Europawahl noch für den Volksentscheid zum Tempelhofer Feld. Er kämpft für die Schmargendorfer Kleingartenkolonie Oeynhausen, die durch Wohnungsbaupläne bedroht ist. Rund 12 000 Unterschriften wurden für den Bürgerentscheid im Bezirk gesammelt, der ebenfalls am 25. Mai stattfindet.
Etwa die Hälfte der Fläche gehört der luxemburgischen Firma Lorac, die zum US-Finanzinvestor Lone Star gehört. Sie will an den Bauunternehmer Klaus Groth verkaufen, der 700 luxuriöse Wohnungen plant. Ursprünglich sollten 174 Parzellen weichen und 155 dem Bezirk übertragen werden. Doch diesen Kompromiss hat die BVV gekippt. Später kündigte Lorac alle Verträge, wirksam ist dies noch nicht. Keine Gefahr besteht für 122 Parzellen im landeseigenen Süden der Kolonie.
Vonnemann hat keine Laube, wohnt aber in der Nähe und gründete mit rund 20 weiteren Bürgern die Initiative „Schmargendorf braucht Oeynhausen“. Die Plakate mit dem Slogan „Bäume oder Beton?“ haben die Kleingärtner, ihr Bezirksverband und die Initiative finanziert. Soeben hat die CDU auch vier große Stellwände spendiert. Außerdem wurden 100 000 Flyer gedruckt, bei der Verteilung hilft auch die Piratenpartei.
Mit einem „Ja“ sollen die Bürger für eine der ältesten Kolonien in Berlin stimmen, die im Ortsteil Wilmersdorf die größte ist. Doch so einfach ist es nicht, wie der Wahlzettel zeigt. In der Frage ist die Rede von der „Fortsetzung des Bebauungsplanverfahrens bis zur Planfestsetzung des bereits aufgestellten Bebauungsplans IX-205a“. Gemeint ist ein seit Jahren vorbereiteter Bebauungsplan, der die Kleingartennutzung festschreibt, vom Bezirk aber aus Sorge vor Schadensersatzforderungen der Investoren nicht in Kraft gesetzt wurde – obwohl die Rettung der Lauben das erklärte Ziel aller Politiker ist.
Zum Schadensersatz gibt es widersprüchliche Schätzungen und Gutachten. Das Bezirksamt nennt „Entschädigungszahlungen bis zu einer Höhe von 25 Millionen Euro“. Diese Summe hatten die Kleingärtner schon in ihrer Unterschriftensammlung erwähnen müssen, eine Klage dagegen scheiterte. Nun hat der Vereinsvorsitzende Alban Becker eine Strafanzeige wegen Betrugs und Urkundenunterdrückung gegen Baustadtrat Marc Schulte (SPD) gestellt, die Staatsanwaltschaft ermittelt. Denn bei einer Akteneinsicht fanden Kleingärtner den Vermerk eines Mitarbeiters des Stadtplanungsamts, der anhand eines Gutachtens nur mit 870 000 Euro Entschädigung rechnete. Eine Summe unter einer Million könnten die Kleingärtner nach eigenen Angaben notfalls selbst aufbringen. Dem Gericht lag das Papier nicht vor. Schulte nennt es „sachlich unvollständig“ und durch ein späteres Gutachten widerlegt.
Für einen Erfolg des Bürgerentscheids müssen zehn Prozent der 242 000 Wahlberechtigten in der City West teilnehmen und mehrheitlich zustimmen. Wie bei BVV-Wahlen dürfen auch Minderjährige ab 16 Jahren und EU-Bürger mit festem Wohnsitz in Berlin abstimmen. Anfang 2011 war ein Bürgerentscheid über die Ku’damm-Bühnen an zu geringer Beteiligung gescheitert, er hatte aber auch nicht zusammen mit einer Wahl stattgefunden. Von der Bedeutung gleicht der Entscheid einem BVV-Beschluss und ist nur eine Empfehlung ans Bezirksamt. „Es gibt keine Rechtsverbindlichkeit“, bedauert Vonnemann, der Anwalt ist.
So kann es passieren, dass die Kleingärtner von einem Sieg nichts haben. Stadtrat Schulte sagt, er würde Finanzsenator Ulrich Nußbaum (parteilos, für SPD) erneut um die „finanzielle Absicherung des Entschädigungrisikos“ bitten. Das aber hat der Senator schon einmal abgelehnt. Sollte sich das wiederholen, dürfe man „aufgrund der Haushaltslage“ gar keinen Bebauungsplan festsetzen.
Derweil verbreitet die zuvor schweigsame Lorac das Ergebnis einer beim Emnid-Institut beauftragten Umfrage: 67 Prozent der Bürger im Bezirk seien für mehr Wohnungen, aber drei Viertel wollten Kleingärten retten. Lorac-Anwalt Bernhard Haaß sagt, viele Befragte nähmen „irrtümlich“ an, es gebe genügend andere Flächen. 58 Prozent hätten sich dagegen ausgesprochen, dass Berlin Schadensersatz zahlt. Dabei war erneut die umstrittene Summe von 25 Millionen Euro genannt worden.
- Informationen unter www.baeume-oder-beton.de und www.charlottenburg-wilmersdorf.de. Am Sonnabend, 24. Mai, gibt es in der Kolonie an der Friedrichshaller Straße 3-5 von 14 bis 18 Uhr eine Veranstaltung mit Führungen und Musik.