SPD-Hoffnungsträgerin Franziska Giffey: Kann sie's besser als Michael Müller?
Franziska Giffey soll für die Berliner SPD das Rote Rathaus retten. Was hat sie, was Michael Müller nicht hat? Die Hoffnungsträgerin im Check.
Niemand zweifelt mehr ernsthaft daran, dass sie im Wahljahr 2021 Spitzenkandidatin der Berliner SPD wird: Franziska Giffey, Bundesfamilienministerin und ehemalige Neuköllner Bezirksbürgermeisterin – neue Hoffnungsträgerin.
Seit gut zwei Jahren war in der Berliner SPD darüber diskutiert worden, wer die stark geschwächte Regierungspartei in den nächsten Wahlkampf führen soll. Und schon lange ist sich die große Mehrheit der Genossen im SPD-Landesverband einig, dass der Regierende Bürgermeister und Berliner SPD-Parteichef, Michael Müller, dafür nicht mehr in Frage kommt.
Nun soll Giffey gemeinsam mit dem SPD-Fraktionschef Raed Saleh im Mai die Parteiführung übernehmen. Auf der Pressekonferenz mit mit Müller und Saleh sagt sie am Mittwoch freudig: „Das wird gut, ich sach’s Ihnen!“ Wird es das? Die Hoffnungsträgerin im Check:
Wer hat das bessere Standing?
Seit ihrem überraschenden Wechsel von der Kommunal- in die Bundespolitik, der im März 2018 mit massiver Hilfe der ostdeutschen SPD-Landesverbände möglich wurde, ist Franziska Giffey eine bundesweit bekannte und nach den Umfragen auch beliebte Familienministerin. Nach zwanzig Jahren saß wieder eine Berliner Politikerin im Bundeskabinett.
Giffey ist nicht in der Hauptstadt, sondern in der Nähe von Fürstenwalde in Brandenburg aufgewachsen, erst zum Studium zog sie 1997 nach Berlin. Zehn Jahre später trat sie in die SPD ein und wurde lange Zeit nur als Bezirkspolitikerin wahrgenommen. Doch der Blitzstart in die Bundespolitik war ein Erfolg – und sprach für ihre politischen Qualitäten.
Ohne den öffentlichen Streit um die Rechtmäßigkeit ihres Doktortitels wäre Giffey jetzt vielleicht sogar SPD-Bundesvorsitzende. Stattdessen begnügte sie sich mit einem Beisitzerposten im Parteivorstand. Mit Rücksicht auf die brandenburgische Parteifreundin Klara Geywitz, der Favoritin der Ostverbände, verzichtete sie auf dem Parteitag im Dezember 2019 auch darauf, für den Vize-Vorsitz der SPD zu kandidieren.
Was sind die Ziele für Berlin?
Hätten die Ärzte ihr nicht aus medizinischen Gründen – einer Schwäche des Kehlkopfmuskels – abgeraten, Lehrerin zu werden, wäre Giffey möglicherweise nicht in der Politik gelandet. Stattdessen schulte sie um auf Verwaltungswirtin, lernte Kommunalpolitik in London, Treptow-Köpenick und dann Neukölln. Ihr Herz schlägt aber immer noch besonders für sozial benachteiligte Kinder, Jugendliche und deren Familien.
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Der klassisch sozialdemokratische Grundsatz der Chancengerechtigkeit treibt Giffey an, jetzt auch als Bundesministerin.
Ihre Ziele, Ausbau der Ganztagsbetreuung, Vereinbarkeit von Beruf und Familie und die Gleichstellung von Frau und Mann, passen auch gut in das politische Profil von Rot-Rot-Grün. Ihr zweites Credo ist: „Die Menschen müssen darauf vertrauen können, dass die Stadt funktioniert.“
Am Mittwoch versicherte Giffey, wie sehr ihr auch die Sicherheit und Ordnung in Parks, Bussen und Bahnen am Herzen läge. Als eine Generalistin, die die gesamte Klaviatur der Großstadtpolitik beherrscht, hat sie sich bisher allerdings noch nicht beweisen können.
Wer hat mehr Führungsstärke?
Zweifellos fehlt Giffey die Routine eines Michael Müller, der seit mehr als drei Jahrzehnten auf allen Ebenen in Berlin Politik betreibt und als Regierender Bürgermeister auch auf bundespolitischer Ebene, etwa als Bundesratspräsident und im Kreis der Ministerpräsidenten der Länder, reichlich Erfahrung sammeln und nutzen konnte.
Was Giffey ihm aber voraus hat, ist eine natürliche Autorität. Es gibt sogar Parteifreunde und politische Gegner, die finden, die stets offensiv und meistens gut gelaunt auftretende SPD-Frau sei fast schon autoritär.
Giffey hat Charisma, das streitet kaum jemand ab. Und sie kann austeilen, wenn es sein muss. In mancher Hinsicht ist sie ihrem Amtsvorgänger als Neuköllner Bürgermeister, Heinz Buschkowsky, mit Blick auf den selbstbewussten und unbeirrbaren Charakter durchaus ähnlich. Was gelegentlich dazu führt, dass sie auf andere Menschen schulmeisternd wirkt. „Da hat die Franziska mal wieder Fleißbienchen verteilt“, frotzeln Genossen manchmal.
Die Geister scheiden sich auch in der Frage, ob Giffey für schwierige Lagen die richtigen Berater hat – und ob sie nicht zu sehr Einzelkämpferin ist.
Wer kann sich auf seine Partei verlassen?
Während der scheidende SPD-Landeschef Müller quasi sein ganzes Leben lang Politik gemacht hat, schon der Vater war ein sehr aktiver Bezirkspolitiker, ist Giffey im Vergleich ein sozialdemokratischer Neuling. Erst 2007 trat die damalige Verwaltungsbeamtin in die Neuköllner SPD ein und wurde Kassiererin im Kreisvorstand. Sieben Jahre später übernahm sie vom SPD-Bundestagsabgeordneten Fritz Felgentreu den Bezirksvorsitz, den sie erst abgab, als sie Ministerin wurde. Und seit ein paar Wochen sitzt Giffey als Beisitzerin im Parteivorstand.
Landespolitische Erfahrungen hat sie nicht. Zwar galt Giffey schon in den vergangenen Jahren als eine Kandidatin für den engeren Landesvorstand. Offensiv angestrebt hatte sie eine solche Position aber nie, zumal jederzeit mit großem Widerstand des Berliner Parteichefs Müller und dessen Vertrauten in der Parteiführung zu rechnen war. Müller und Giffey wahrten seit jeher größtmögliche Distanz, gute Freunde werden sie wohl nicht mehr.
Das größere Problem für Giffey ist aber, dass die starke SPD-Linke mit ihr fremdelt. Aus rein politischen Gründen, denn die designierte Landesvorsitzende der Berliner Sozialdemokraten gilt als Parteirechte. In der Hauptstadt-SPD ist dies normalerweise ein ernsthafter Hinderungsgrund für größere Karrierepläne.
Giffey fehlt nicht nur der Stallgeruch, sondern auch eine enge Vernetzung im Landesverband, in dem der linke Flügel auf Parteitagen fast zwei Drittel der Delegierten stellt. Dieses Manko muss sie ausgleichen durch andere politische und persönliche Qualitäten.
Immerhin hat sie der ehemalige SPD-Landeschef und Sprecher der Parteilinken, Jan Stöß, während seiner Amtszeit als „bemerkenswerte, kluge und profilierte Sozialdemokratin“ gelobt. Das hatte allerdings auch damit zu tun, dass Stöß wusste, dass er seinen innerparteilichen Widersacher Müller mit solchen Sätzen ärgern konnte.
Wer integriert die verschiedenen Strömungen?
Im Nachhinein kann man wohl sagen, dass Michael Müller nicht an seiner Blässe, der offen gezeigten schlechten Laune und fehlenden Ausstrahlungskraft gescheitert ist, sondern an seiner Unfähigkeit, zu kommunizieren und zu integrieren. Auch nach der Rückeroberung des SPD-Landesvorsitzes im April 2016, als er den lästigen Genossen Stöß mit einer überraschenden Finte vom Thron stieß, ließ Müller die Zügel im Landesvorstand und in der Zusammenarbeit mit den Kreisverbänden meistens schleifen.
Viele Funktionäre warfen ihm Lustlosigkeit und Eigenbrötlerei vor, gepaart mit fehlenden Ideen und Konzepten. Mangelnde Lust an zwischenmenschlicher Kommunikation wird man Müllers Nachfolgerin Giffey nicht vorwerfen können. Aber sie wird es hinkriegen müssen, die starken Jungsozialisten (6 000 Mitglieder) und die nicht minder offensiven Parteilinken in den Schaltstellen der Bezirks- und Landespolitik für ihren pragmatischen Politikansatz zu begeistern.
Dabei könnte ihr der SPD-Fraktionschef und designierte Ko-Parteichef Raed Saleh eine große Hilfe sein. Zwar wird auch er von linken Genossen inzwischen als „rechtslastig“ eingeordnet und über Salehs aufgeregte Rhetorik wird gelästert.
Trotzdem bleibt er ein wichtiger Mehrheitsbeschaffer und „Menschenfänger“, der den ganzen Tag herumtelefoniert. Auf so jemanden wird Giffey – vorerst jedenfalls – angewiesen sein, um die Berliner SPD einigermaßen in den Griff zu bekommen.
Wer gewinnt endlich wieder Wähler?
Derzeit ist die Berliner SPD in den Meinungsumfragen mit etwa 15 Prozent nur viertstärkste Kraft. Linke und CDU liegen bei 17 Prozent, die Grünen mit 24 Prozent stabil weit vorn. Im Herbst 2021wird in Berlin und im Bund voraussichtlich am gleichen Tag gewählt.
Die Genossen im Landesverband hoffen darauf, dass die SPD mit Franziska Giffey mindestens fünf Prozent drauflegen kann. Falls die Grünen bei der Wahl, wie so oft, deutlich hinter den Umfragen zurückbleiben sollten, hätte die SPD noch eine kleine Chance, das rot-rot-grüne Bündnis in der Hauptstadt weitere fünf Jahre anzuführen.