Flüchtlinge in Berlin: Kabarett statt Paragrafen: Flüchtlinge zu Gast im Tipi
Viele Flüchtlinge sind erst einmal nur in Notunterkünften untergekommen. Dort zu leben ist nicht einfach. Der Verein "Gesicht zeigen!" bot ihnen Abwechslung vom Alltag.
Xhimi, 21, schiefe Zähne, blaue Augen, ist einer der ersten Gäste an diesem Abend im Tipi am Kanzleramt. In der Eingangshalle leuchten Kerzen auf gestärkten Tischdecken. Xhimi sieht mit seiner Baggyjeans und der roten Baseballkappe mit weißen Sternen eher nach Hip-Hop als nach Kabarett aus. Er kommt aus Albanien und ist seit zwei Monaten in Deutschland. Bisher hat er von Berlin fast nur seine Flüchtlingsunterkunft gesehen. Doch heute geht es ins Kabarett.
Die Organisation „Gesicht zeigen!“, hat zusammen mit dem Tipi am Kanzleramt Bewohner der Flüchtlingsunterkünfte zu einer Show mit dem Künstlerduo Carrington-Brown aus Großbritannien eingeladen. „Ich hoffe, dass alle hier Spaß haben und sich von den psychischen und physischen Anstrengungen erholen, die sie in den letzten Monaten erleiden mussten“, sagt der Vorstandsvorsitzende und Gründungsmitglied Uwe-Karsten Heye. In allen Unterkünften haben sie Flyer ausgelegt, jeder konnte sich anmelden. Um 16 Uhr rollten langsam die ersten Busse vor. Eigentlich sollte es an diesem Abend nicht um Pässe oder den Aufenthaltsstatus gehen. Doch manche – auch Xhimi – können das alles nicht einmal für wenige Stunden vergessen. „Ihr spielt mit den Menschen vom Balkan“, sagt er. Da Albanien als sicheres Herkunftsland gilt, fürchtet er, abgeschoben zu werden.
Zeit für Selfies und unbeholfene Flirtversuche
Drinnen im Saal findet er einen Tisch direkt neben einer Gruppe Mädchen. Zeit für Selfies und unbeholfene Flirtversuche. Die gedeckten Tische füllen sich. Syrische Familien sitzen neben jungen Eritreern, es gibt Schweppes, Bonbons und viele lächelnde Gesichter. Herisch, 21 mit großen dunklen Augen, ist irakischer Kurde. Er sitzt allein an seinem Tisch. In einem kleinen Buch notiert er deutsche Worte. „Lügner“ steht da und „Leben“.
Auf der Bühne geht es los. Carrington-Brown singen sich durch die Weltgeschichte, das Publikum bricht immer wieder in frenetischen Applaus aus. Bei einem Beatles-Cover singt Xhimi mit: „Imagine there’s no countries.“ Dann gibt es Essen. Hühnchen mit Reis und Gemüse. Herisch fand die Show „ein bisschen komisch“. Weil die Sängerin manchmal so schief gesungen hat.
Irgendwann zwischen zwei Bissen sagt er plötzlich: „Ich vermisse meine Eltern“. Draußen prasselt der Regen auf das Zelt. „Tropfen“, schreibt Herisch in sein kleines Notizbuch. Er erzählt, dass er selbst Gitarre spielt. „Musik ist Leben“, sagt er. Dann muss er zurück zum Bus, in die Welt der Asylparagrafen und Passkontrollen.
Pascale Müller