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Zelte und Container: Die Zentrale Erstaufnahmeeinrichtung für Flüchtlinge in der Nähe des Stadions des Hamburger SV in Hamburg.
© dpa

Flüchtlinge: Wo werden sie im Winter wohnen?

Die meisten Zelte für Flüchtlinge kann man nicht heizen, Container sind auf Monate nicht lieferbar.

Es braucht den Willen, gemeinsam neue Wege zu gehen. So beschrieb Merkel ihren Lösungsansatz in der Flüchtlingsthematik nach ihrem Besuch in Heidenau. Dass diese neuen Wege nötig sind, zeigten die letzten Monate: Die hohe Zahl an Flüchtlingen überstieg vielerorts die Kapazitäten der Erstaufnahmezentren, Städte wie München oder Dresden haben mit behelfsmäßigen Zeltstädten nachgeholfen. Innenminister Thomas de Maizière sprach von 800.000 Flüchtlingen in diesem Jahr – sie alle benötigen einen Platz zum Schlafen, Nahrung und Kleidung.

Die Zelte sind nicht winterfest

Dabei stoßen die zuständigen Behörden bei den Unterkünften an ihre Grenzen. Berlin zum Beispiel hat zuletzt ein Zeltdorf für 710 Personen auf dem Gelände der Schmidt-Knobelsdorf-Kaserne in Spandau errichtet – doch winterfest sind die Zelte nicht. Vor demselben Problem steht auch die Landesdirektion Sachsen: Die zum Teil als Erstaufnahmeunterbringungen verwendeten Zelte seien auch dort nicht für den Winter geeignet, heißt es auf Anfrage. Die Zelte seien nur bis zu einer Temperatur von null Grad Celsius verwendbar. Dennoch schließt der Sprecher des Brandenburgischen Innenministeriums, Ingo Decker, nicht aus, dass Flüchtlinge auch im Winter in Zelten untergebracht werden könnten. „Angesichts der Zahlen bleibt kaum eine andere Möglichkeit“, sagte er dem RBB. Das sei aber immerhin besser, als die Flüchtlinge sich selbst zu überlassen.

Container sind nicht sofort verfügbar

Die Länder setzen deshalb verstärkt auf Containerbauten – doch auch das gestaltet sich schwierig. „Container (Unterkunft und Sanitär) sind in dem gegenwärtig benötigten Umfang aufgrund des immens hohen Bedarfs in Deutschland nicht sofort verfügbar“, heißt es bei der Landesdirektion Sachsen. Hersteller bestätigen, sie könnten „nicht mehr vor Januar 2016“ liefern. Und dann kommt der Aufbau noch dazu. „Bis alles steht, brauchen wir ungefähr drei bis vier Monate“, sagt ein Mitarbeiter der KMC Containersysteme GmbH. Auch das ist also keine Lösung für diesen Winter.

Der Hersteller verweist zudem auf Schwierigkeiten bei der Auftragsvergabe. „Der Prozess von Ausschreibungen dauert normalerweise beinahe drei Monate“, sagt ein KMC-Mitarbeiter dem Tagesspiegel. Um dies zu umgehen, könnten die Behörden eine sogenannte freihändige Vergabe durchführen, „wenn die Leistung besonders dringlich ist“, wie es im Gesetzestext heißt. Damit könnte ein langwieriges, aber eben auch transparentes Verfahren der Vergabe bei einem Auftragsvolumen unter 5,1 Millionen Euro umgangen werden. Dafür plädiert auch Eva Lohse, Präsidentin des Deutschen Städtetags. In Zeiten wie diesen müsse man Bauvorschriften straffen und vereinfachen.

Eine weitere Möglichkeit: Traglufthallen

Jürgen Wowra, Augsburger Unternehmer, könnte eine Halle pro Woche liefern, sagt er. Seine Firma Paranet produziert Traglufthallen: Das sind riesige Zelte, die ähnlich einer Hüpfburg ständig mit Luft befüllt werden und im Inneren Wohnraum für bis zu 300 Flüchtlinge bieten. Außerdem sind Traglufthallen winterfest. Die Nachfrage habe sich natürlich erhöht, sagt Wowra. In Berlin sei schon jetzt eine seiner Hallen im Einsatz. Betreiber ist die Berliner Stadtmission. Der wohltätige Verein konnte bereits im vergangenen Jahr Erfahrungen mit Traglufthallen sammeln. „Im Winter 2014 hatten wir bereits eine Traglufthalle für Wohnungslose in Betrieb“, sagt Ortrud Wohlwend von der Stadtmission.

„Das größte Problem in Berlin ist die Unterbringung“

Nun stehe man aber vor anderen Problemen als damals. „Bei Wohnungslosen war die Halle nur als Schlafmöglichkeit gedacht, untertags stand sie leer“, sagt sie. Im Sommer habe man 294 Wohnplätze für Flüchtlinge in weniger als sechs Wochen geschaffen. Das war vor allem dadurch möglich, dass die Traglufthalle nach einem Hilferuf des Lageso „politisch gewollt“ war, sagt Wohlwend. „Das größte Problem in Berlin ist die Unterbringung“, bestätigt Manfred Nowak, der Vorsitzende der AWO-Mitte, die in Berlin alle sechs Erstaufnahmeeinrichtungen betreibt. Regelmäßig bringe die Polizei mitten in der Nacht Flüchtlinge zur Erstaufnahmestelle Motardstraße in Berlin-Siemensstadt. Diese müssten dann provisorisch untergebracht werden, da alle Einrichtungen bereits voll belegt seien. „Betten stehen zeitweise auf dem Flur, auch Büroräume in den Einrichtungen wurden provisorisch umfunktioniert“, sagt Nowak.

Verpflegung der Bewohner sei jederzeit gesichert

Aus den provisorischen Lösungen sei oft eine dauerhafte geworden – zum Bedauern der Betreiber und der Bewohner. Die Verpflegung der Bewohner sei jedoch jederzeit gesichert. Die Einrichtungen seien außerdem mittlerweile voll ausgestattet. Mit der Eröffnung neuer Unterkünfte beginnen allerdings auch wieder die Engpässe: Im September 2014 hat die AWO über Nacht zwei Schulen im Wedding zugewiesen bekommen, die als Flüchtlingsunterkünfte genutzt werden sollten. Die Bettenhersteller kamen nicht mit den Lieferungen nach. Ähnliche Lieferschwierigkeiten verzögerten auch die Eröffnung des Containerdorfes in Berlin-Buch. Auch die diese Woche angekündigten neuen Unterkünfte am Flughafen Tempelhof sowie die neue Erstaufnahmestelle im Gebäude der Landesbank in der Bundesallee werden Ausstattung brauchen.

„Das Wichtigste ist jetzt, über den Winter zu kommen“

In Zukunft könnten Platzmangel und Produktionsengpässe für „ganz konkrete Probleme“ sorgen, sagt Nowak. Die Erstaufnahme Motardstraße beispielsweise sei bereits marode, Heizung und Warmwasser fallen manchmal aus. Die Schließung der Unterkunft war bereits mit dem Lageso vereinbart gewesen, doch an eine Reduzierung der Plätze ist gerade nicht zu denken. „Das Wichtigste ist jetzt, über den Winter zu kommen“, sagt Nowak. „Und dabei unseren humanitären Anspruch zu wahren.“

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