Vor dem Flüchtlingsgipfel: "Bürokratie ist teuer und verhindert Integration"
Die deutsche Politik betreibt ein "Zuviel" an unnötiger und teurer Asylbürokratie, sagt Hendrik Cremer vom Deutschen Institut für Menschenrechte. Bund und Länder können hier einiges ändern.
Welche Ergebnisse erhoffen Sie sich vom Flüchtlingsgipfel von Bund und Ländern an diesem Donnerstag?
Es geht im Moment um die richtigen Weichenstellungen, damit das deutsche Asylrechtssystem unter Achtung der flüchtlings- und menschenrechtlichen Verpflichtungen Deutschlands funktionsfähig bleibt. Dies ist angesichts der stark ansteigenden Zahl von Schutz suchenden Menschen in diesem Land eine sehr große Herausforderung – und sie bleibt bis auf weiteres bestehen. Das bedeutet, dass etwa die Planung und Organisation bei der Aufnahme der Flüchtlinge besser werden muss. Die jüngste Zusage der Bundesregierung, die Bundesländer mit der Schaffung von 40.000 Erstaufnahmeplätzen zu unterstützen, ist ein Schritt in die richtige Richtung.
Es mangelt aber bisher an Tempo und einer Linie, mit der die Bundesregierung nun auf die zunehmende Anzahl von Flüchtlingen reagiert. Ein aktueller Gesetzesentwurf der Bundesregierung sieht viele Restriktionen für Flüchtlinge vor. Bei diesen stellt sich die Frage, ob sie mit den Menschenrechten und der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts vereinbar sind. Zum Beispiel bestünde bei einigen Änderungen die Gefahr, dass Asyl suchenden Menschen Leistungen zur Sicherung ihres Existenzminimums gekürzt werden, wenn sie das Land nicht verlassen - ohne dass sie tatsächlich die Möglichkeit haben, in einem anderen Land Asyl zu suchen.
Ihr Institut hat kürzlich ein Zuviel an Bürokratie beklagt? Das ist doch eigentlich nicht Ihr Kernanliegen?
Es gibt einen Zusammenhang zwischen Restriktionen für Flüchtlinge und bürokratischem Mehraufwand. Werden Restriktionen für Flüchtlinge geschaffen, werden damit zugleich bürokratische Parallelstrukturen geschaffen. Dies ist für die Verwaltung kosten- und arbeitsintensiv. Werden solche Parallelstrukturen jetzt nicht schnell abgebaut, kann die Verwaltung ihre Kräfte angesichts der stark ansteigenden Zahl von Schutz suchenden Menschen nicht auf die menschenrechtskonforme Unterbringung und Versorgung von Flüchtlingen konzentrieren. Dazu müssen die Ressourcen aber eingesetzt werden.
Wo wünschen Sie sich weniger Bürokratie?
Etwa beim Recht auf Gesundheit, das schnell und bundesweit verwirklicht werden muss. Gegenwärtig wird es nur sehr eingeschränkt gewährleistet, da der Zugang zur Gesundheitsversorgung für Schutz suchende Menschen auf Akut- und Notfallversorgung begrenzt ist. Erkrankungen werden erst dann behandelt, wenn sie eskalieren. Eine Konsequenz daraus ist, dass die Kosten für Gesundheitsausgaben gegenüber einer frühzeitigen und präventiven Versorgung erheblich steigen. Zudem existieren enorme bürokratische Parallelstrukturen, da Flüchtlingen - mit Ausnahmen in vereinzelten Bundesländern – Arztbesuche von den Behörden einzeln genehmigt werden müssen, statt sie über das bestehende System der gesetzlichen Krankenversicherung abzuwickeln.
Gibt es weitere Beispiele?
Ja. Die Bundesregierung plant ganz aktuell, das Sachleistungsprinzip auszuweiten. Demzufolge soll das Existenzminimum der Menschen, das per Gesetz unterhalb von Leistungen nach Hartz IV-Sätzen liegt, nicht durch Bargeldleistungen, sondern in erster Linie durch Sachleistungen abgesichert werden. In der Praxis bleiben dann individuelle Bedarfe, etwa auch der spezielle Bedarf an Babynahrung, unberücksichtigt. Das Sachleistungsprinzip hat zudem einen immensen bürokratischen Aufwand als Folge. Die Sachen müssen geordert, gelagert und ausgegeben werden. Deshalb sollte das Sachleistungsprinzip statt ausgeweitet besser abgeschafft werden, abgesehen von einer nötigen Versorgung der Menschen mit Sachleistungen unmittelbar bei ihrer Ankunft. Selbst hier sind die Behörden im Moment überfordert, so dass diese Aufgabe von den zahlreichen engagierten Menschen in diesem Land übernommen wird.
Das Argument dafür lautet in der Regel, dass Flüchtlinge wegen der guten Versorgung nach Deutschland kommen und dass ein weniger hohes Niveau sie vom Kommen abhält.
Dieser Ansatz lässt sich aber angesichts der jetzigen Situation nicht mehr aufrechterhalten. Die Leute kommen, weil die Lage in ihren Ländern oder in denen, wo sie zwischenzeitlich Unterschlupf fanden, sie dazu zwingt. Im Übrigen erhebt Deutschland den Anspruch, das internationale Flüchtlingsrecht und die menschenrechtlichen Verpflichtungen einzuhalten. Die Herausforderungen, vor denen Deutschland steht, werden nur dann bewältigt, wenn es ein Umdenken insbesondere bei den Innenpolitikern gibt, das den Realitäten Rechnung trägt. Maßnahmen, die die ohnehin schon angespannte Situation bei den Behörden noch forcieren, sind kontraproduktiv. Sie verschwenden Geld und Energie.
Illustrieren lässt sich dies auch anhand der Praxis der Berliner Polizei, die Strafanzeigen erstellt und Ermittlungsverfahren einleitet, wenn Menschen ihren Antrag auf Asyl bei der Polizeibehörde stellen. Zurückzuführen ist diese Praxis auf die per Gesetz bestehende Kriminalisierung des Grenzübertritts und die Lage in Berlin: Hat nämlich das grundsätzlich für das Stellen von Asylanträgen zuständige Landessamt für Gesundheit und Soziales (LaGeSo) abends und am Wochenende geschlossen, muss die Polizei diese Aufgabe des LaGeSo übernehmen. Sie bleibt dabei aber gleichzeitig Polizei. Die Folge ist, dass sie in jedem Einzelfall und mit erheblichem bürokratischem Aufwand strafprozessuale Maßnahmen ergreift, die anschließend im Sand verlaufen. Nicht zuletzt haben die Berliner Gewerkschaft der Polizei (GdP) wie auch die Berliner Polizei selbst die Sinnlosigkeit solcher Maßnahmen beklagt und von den politisch Verantwortlichen eine Lösung zur Beendigung einer solchen Praxis gefordert. Die Polizei muss wichtigeren Aufgaben nachgehen.
Sehen Sie auch Positives? Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge stellt vermehrt neue Sachbearbeiter ein, damit die Asylverfahren schneller bewältigt werden können. Hier tut sich doch etwas.
Das Ziel einer zügigen und qualifizierten Bearbeitung von Schutzbegehren ist absolut richtig. Die Frage ist nur, ob das realistisch so stattfinden wird. Ich sehe dafür nicht die erforderlichen Anzeichen, schließlich wächst der Stau unbearbeiteter Anträge gegenwärtig.
Was schlagen Sie vor?
Besonders bei Menschen, die aus einem Land mit einer so frappierenden Gefährdungslage wie gegenwärtig in Syrien kommen, sollte geprüft werden, ob die Verfahren selbst vereinfacht werden können. Allein aber auf die Karte schnellerer Asylverfahren zu setzen, reicht nicht aus.
Sondern?
Auf eine schnellere Bearbeitung der Anträge drängen die Bundesländer und Kommunen ja besonders deswegen, weil sie sich davon eine Entlastung der Aufnahmesysteme erwarten. Von zentraler Bedeutung für eine Entlastung der Aufnahmesysteme ist, dass der Zugang der Menschen zum Wohnungsmarkt beschleunigt wird. Im Moment gibt es da zahlreiche rechtliche und faktische Barrieren. Sie führen dazu, dass Menschen über Jahre in Flüchtlingsunterkünften wohnen müssen und nicht in leerstehende Wohnungen vor Ort oder in benachbarte Gemeinden ziehen können. Auch der Umzug in ein anderes Bundesland scheitert daran, selbst wenn sich dort Verwandte oder Bekannte aufhalten, bei denen Wohnraum vorhanden ist.
Solche Barrieren müssen abgebaut werden, damit in den Flüchtlingsunterkünften Plätze für neu ankommende Flüchtlinge frei werden. Auf der lokalen Ebene sind zudem Beratungs- und Unterstützungsangebote erforderlich, damit die Menschen möglichst schnell eine Wohnung beziehen können. Schon allein um bestehende Sprachbarrieren zu kompensieren, sind solche Angebote nötig. Beispiele für Konzepte der dezentralen Unterbringung gibt es bereits. Hier können alle Menschen, sofern keine aufenthaltsbeendenden Maßnahmen bevorstehen, in eine eigene Wohnung ziehen, wenn diese von der Größe und den Kosten her angemessen ist.
Reicht das? Das Problem ist doch, dass es nicht genügend Wohnungen gibt.
Die Situation ist hier sehr unterschiedlich. Es gibt einen erheblichen Leerstand an Wohnungen in Deutschland. Das betrifft nicht allein ostdeutsche Städte, wie es häufig in der Debatte anklingt. Anderseits gibt es Ballungsgebiete oder etwa Studentenstädte, wo der Wohnungsmarkt sehr angespannt ist. In Berlin etwa plant der Senat nach aktuellen Meldungen, relativ schnell und günstig Häuser mit Wohnungen in modularer Bauweise errichten zu lassen. In diese Richtung müssen nun bundesweit Schritte unternommen werden. Es gibt weitere Ideen, etwa niedrige Gebäude mit flachen Dächern aufzustocken.
Die Politik muss insbesondere in den Ballungsgebieten und Städten mit angespanntem Wohnungsmarkt schnell nach kreativen Lösungen suchen. Ingenieure, Architekten und Wohnungsbaugesellschaften sollten angehalten werden, der Politik praktikable Lösungen zu unterbreiten, die möglichst bald Entlastungen in den Aufnahmesystemen schaffen. Zudem müssen Bund, Länder und Kommunen dringend alle erforderlichen Maßnahmen treffen, damit auch schnell und bedarfsgerecht neue Sozialwohnungen in fester Bauweise entstehen. Diese müssen selbstverständlich für alle zugänglich sein, die darauf angewiesen sind, nicht nur für Flüchtlinge.