Straßennamen in Berlin: Jeder Bezirk regelt die Namensfrage anders
Günter Pfitzmann bekommt keinen Weg in Berlin-Schöneberg: Hier werden Straßen nur noch nach Frauen benannt. Der Bezirk ist damit nicht allein. Doch die Ämter in Berlin handeln bei den Umbenennungen unterschiedlich. Eine Umfrage, Bezirk für Bezirk.
Am Anfang stand ein Wunsch: In Schöneberg soll ein Weg den Namen des Schauspielers Günter Pfitzmann tragen. Schließlich hat der ja in der Fernsehserie „Praxis Bülowbogen“ als Dr. Brockmann praktiziert, und zwar von 1987 bis 1996. Nun, bekanntlich ist das alles nicht so einfach, weil es schließlich die Frauenquote bei den Straßenschildern gibt. Interesse an einer Pfitzmann-Straße zeigt auch die Vorsitzende des Kulturausschusses in Pfitzmanns einstigem Wohnbezirk Steglitz-Zehlendorf, Jeannine Perduss (CDU), zumal der 2003 Verstorbene auf dem dortigen Waldfriedhof begraben liegt.
Generell gilt: Nach dem Berliner Straßengesetz sind Namensgebungen frühestens fünf Jahre nach dem Tod der jeweiligen Person möglich. In den Ausführungsbestimmungen von 2011 heißt es: „Frauen sollen verstärkt Berücksichtigung finden.“ Allerdings werden auch Einschränkungen gemacht: „Dies gilt nicht, wenn ein gesamtstädtisches Interesse beziehungsweise Hauptstadtbelange an der Benennung einer männlichen Person bestehen.“
Knapp 10.000 Straßen gibt es in Berlin. Wie ist das Verhältnis? Wie ist die Vorgehensweise? Und wo gibt’s Streit? Eine Umfrage, Bezirk für Bezirk.
CHARLOTTENBURG-WILMERSDORF
90 Prozent der nach Personen benannten Straßen tragen männliche Namen, schätzt Stadtentwicklungs-Stadtrat Marc Schulte (SPD). Bereits seit 2001 gilt der Beschluss der Bezirksverordneten, Straßen und Plätze nach „Frauen und Personen zu benennen, die im Widerstand gegen den Nationalsozialismus standen, die durch Zivilcourage gegen Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus in der jüngeren Vergangenheit in Erscheinung getreten sind oder die Opfer rechtsextremer oder rassistischer Gewalt geworden sind“.
Erst kürzlich wurde der Platz vor dem S-Bahnhof Heerstraße nach der vor den Nazis nach Südafrika emigrierten Speerwerferin Martha Jacob benannt. Es gibt aber auch Ausnahmen. So wird gegenwärtig nach einem Platz gesucht, der zum 30-jährigen Bestehen der Städtepartnerschaft den Namen der israelischen Stadt Karmiel erhalten soll.
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FRIEDRICHSHAIN-KREUZBERG
Männernamen kommen wohl auch hier nicht mehr so schnell aufs Straßenschild. Es sieht nämlich so aus: 140 Straßen und Plätze tragen die Namen von Männern – und nur 17 sind nach Frauen benannt. Das hat Stadtrat Hans Panhoff (B90/Grüne) in diesem Jahr mal nachgerechnet. Bereits seit 2005 gibt es einen Beschluss der Bezirksverordnetenversammlung, in dem es heißt: Bei Neu- und eventuellen Umbenennungen von Straßen werden solange nur in Ausnahmefällen keine Namen von Frauen verwendet, bis mindestens 50 Prozent aller nach Personen benannten Friedrichshain-Kreuzberger Straßen nach Frauen benannt sind. Zuletzt gab es in Kreuzberg Ärger um den Namen des Platzes vor dem Jüdischen Museum, er heißt nun Fromet- und Moses-Mendelssohn-Platz.
Nur in Ausnahmefällen wird darauf verzichtet. Die Prüfung von Vorschlägen für neue Gedenktafeln und Straßennamen obliegt der Gedenktafelkommission als einem ständig das Bezirksamt und die BVV beratenden Gremium. Erst kürzlich beschlossen die Bezirksverordneten, die Mitgliedschaft um einen Vertreter des Forums Erinnerungslandschaft Friedrichshain zu erweitern.
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LICHTENBERG
In Lichtenberg fehlt dem Bezirksamt ein Überblick über die Zahl der nach Männern oder Frauen benannten Straßen. Über die Benennungen befindet der Kulturausschuss der Bezirksverordnetenversammlung, sagt Stadtrat Wilfried Nünthel (CDU). Eine Frauenquote für Neubenennungen gibt es ebenso wenig wie strittige Benennungspläne, so der Dezernent.
MARZAHN-HELLERSDORF
Angaben zur Zahl der „männlichen“ und „weiblichen“ Straßen liegen nicht vor. Auf Antrag der Grünen hat die BVV einen Beschluss gefasst, mit dem das Bezirksamt ersucht wird, „bei neuen Straßenbenennungen und -umbenennungen mit Personennamen zunächst nur nach Frauen zu benennen, bis ein Ausgleich bei weiblichen und männlichen Persönlichkeiten annähernd erreicht ist“. Derzeit gibt es nur Planungen für Neubenennungen bei Privatstraßen, so Stadtentwicklungs-Stadtrat Christian Gräff (CDU). Streitfälle gibt es nicht.
Von Pankow bis Spandau - alle machen es anders
MITTE
Im Bezirk Mitte sind derzeit 336 Straßen und Plätze nach Personen benannt – nur etwa 60 davon sind Frauen. Bezirksamtsbeschlüsse von 2002 und 2004 sehen die besondere Berücksichtigung von weiblichen Namensgebern vor, bis ein Gleichstand zwischen den Geschlechtern erreicht ist, so Kerstin Haug vom Straßen- und Grünflächenamt. Für die Auswahl der Straßennamen ist die vom BVV-Ausschuss für Bildung und Kultur gebildete Arbeitsgruppe Geschichte zuständig, zu deren Kriterien unter anderem ein örtlicher Zusammenhang und die Lebensleistung der Personen zählen. Strittige Vorschläge gibt es derzeit nicht im Bezirk. Im Bereich der Europa-City werden neue Straßen entstehen, für die es jedoch noch keine konkreten Benennungspläne gibt.
NEUKÖLLN
„Ob eine Straße nach einer Frau oder einem Mann benannt wurde, kann in den seltensten Fällen am Straßennamen selbst erkannt werden“, sagt Baustadtrat Thomas Blesing (SPD) und verweist auf das Beispiel der Riesestraße – benannt nach dem Mediziner Heinrich Riese. In Neukölln gibt es ebenfalls einen BVV-Beschluss, wonach Frauennamen bei Straßenbe- oder -umbenennungen verstärkt berücksichtigt werden sollen. Allerdings sei dies kein Muss, betont der Dezernent. Für eine Analyse des Männer- und Frauenanteils fehlen die Ressourcen. Strittige Pläne für Namensgebungen oder aktuelle Benennungspläne gibt es nicht im Bezirk.
PANKOW
Auch in Pankow gibt es ein deutliches Übergewicht an männlichen Namensgebern, sagt Stadtentwicklungs-Stadtrat Jens-Holger Kirchner (B90/Grüne). Laut Beschluss der Bezirksverordnetenversammlung sollen auch hier nur noch Frauennamen vergeben werden, bis es eine Parität gibt. Der Versuch, auf Antrag der SPD ein überwiegend aus Nummernstraßen bestehendes Wohngebiet in Karow in ein „Frauenviertel“ zu verwandeln, scheiterte jedoch am Veto des bezirklichen Frauenbeirats, dem die Straßen für die zu ehrenden Frauen zu klein waren. Auch ansonsten scheint man den Beschluss in Pankow eher halbherzig umzusetzen. So wurde die Berliner Straße in Heinersdorf kürzlich nach dem letzten Ost-Berliner Bürgermeister in Tino-Schwierzina-Straße unbenannt. Und die Parkanlage am Kreuzpfuhl soll den Namen des DDR-Politikers und –Publizisten Jürgen Kuczynski erhalten.
REINICKENDORF
In Reinickendorf ist man ebenfalls bemüht, Frauen verstärkt zu berücksichtigen, sagt Baustadtrat Martin Lambert (CDU). So wurde 2012 der Hermsdorfer Schlossplatz nach der jüdischen Ärztin Ilse Kassel benannt, die sich – von den Nazis verfolgt – das Leben nahm. Bei den jüngsten Namensvergaben wurden allerdings nach Abstimmung mit den jeweiligen Anwohnern geschlechtsneutrale Namen gewählt. Die jüngst befestigte Straße 494 in Lübars wurde nach der früheren Siedlungsbezeichnung „Bürgerruh“ getauft und ein zuvor namenloser Platz in Wittenau heißt angesichts der dort stehenden Bäume jetzt Kirschblütenplatz. Insgesamt, so Lambert, gibt es nur wenige neue Straßen im Bezirk.
SPANDAU
Die Straßenbenennungen sollten „mit Köpfchen und nicht mit Ideologie“ erfolgen, sagt Baustadtrat Carsten Michael Röding (CDU). Auch in Spandau gibt es einen Beschluss der Bezirksverordneten, Straßen nur noch nach Frauen zu benennen. Daran wäre fast ein anderer BVV-Beschluss gescheitert, der Familie des jüdischen Kaufhausbesitzers Julius Sternberg eine Straße zu widmen. Als Kompromiss wurde kürzlich der Uferweg am neugestalteten Lindenufer zur Sternbergpromenade.
Zuvor war bereits ein anderer Uferweg nach dem FDP-Politiker Hermann Oxfort benannt worden. Eine Stichstraße unweit eines Blindenwanderweges in Hakenfelde erhielt den Namen von Helen Keller, einer taubblinden amerikanischen Schriftstellerin. Investoren haben für die Straßen in ihren Siedlungen ein Vorschlagsrecht, so Röding. So erfolgte in der Landstadt Gatow – auf dem ehemaligen Flugplatz – die Benennung nach Flugpionieren auf Wunsch der Bundesanstalt für Immobilienaufgaben.
STEGLITZ-ZEHLENDORF
Weil historisch ein starkes Übergewicht an männlichen Straßennamen besteht, bemüht sich der Bezirk seit 2011, vorwiegend Frauen in die Vorschlagsliste aufzunehmen. Primäre Gesichtspunkte sind jedoch das Wirken der Person und der örtliche Bezug, so Petra Margraf, Referentin von Stadträtin Christa Markl-Vieto (B90/Grüne). So befinden sich nur elf weibliche Namen auf der rund 40 Personen umfassenden Liste.
Derzeit sind keine Neu- oder Umbenennungen geplant. Im vergangenen Jahr war die SPD mit ihrem Antrag gescheitert, die Treitschkestraße nach Altbischof Kurt Scharf umzubenennen, der in der dortigen Gemeinde gepredigt hatte. Nachdem sich die breite Mehrzahl der Anwohner dagegen ausgesprochen hatte, lehnte die schwarz-grüne Mehrheit in der BVV die Pläne ab.
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TEMPELHOF-SCHÖNEBERG
Der Männerüberschuss bei den Straßennamen liegt bei 95 Prozent, schätzt Baustadtrat Daniel Krüger (CDU). Deshalb der Beschluss der Bezirksverordneten, Straßen, Gebäude und andere öffentliche Einrichtungen künftig vornehmlich nach Frauen zu benennen. So ist auch der Pfitzmann-Weg vorerst am Veto von SPD und Grünen gescheitert. Indessen wurde vor Jahresfrist der Schöneberger Teil der Einemstraße nach dem Vorkämpfer der weltweit ersten homosexuellen Emanzipationsbewegung in Karl-Heinrich-UIrichs-Straße umbenannt. In einigen Wohngebieten stehen noch Straßenbenennungen ins Haus, doch stellt sich hier noch nicht die Namensfrage, sagt Krüger. „Das Defizit wird man wahrscheinlich nicht auflösen können.“
TREPTOW-KÖPENICK
In Treptow-Köpenick hält man sich an die Ausführungsvorschriften des Senats und somit nicht an eine reine Frauenquote. Anders als in anderen Bezirken gibt es auch keine gegensätzlichen BVV-Beschlüsse. So wird am 27. November der Weg hinter der Mittelpunktbibliothek Köpenick Alter Markt am Ende des Katzengrabens nach Claus-Dieter Sprink benannt, der sich um den Aufbau des Heimatmuseums verdient gemacht hat.
Und wie viele „Berliner Straßen“ gibt es eigentlich? Es gibt eine auf Rügen (in Göhren), eine in München-Schwabing, eine an der Glienicker Brücke in Potsdam, zwei im Bundesstaat New York und ganze acht in Berlin.
Wie viele Berliner Straßen ingesamt gibt es? Nach Angaben des Internetlexikons Wikipedia sind es 9950 – die meisten (1241 in Treptow-Köpenick), die wenigsten in Friedrichshain-Kreuzberg (359). Sogar eine Statistik für die 96 Ortsteile gibt es: Die meisten Straßen existieren in Lichterfelde (317), die wenigsten im kleinsten Ortsteil der Stadt, im Lichtenberger Malchow (7 Straßen). Die längste Straße Berlins ist das Adlergestell (13 Kilometer, 789 Hausnummern), als kürzeste gilt die Eiergasse im Nikolaiviertel (16 Meter). Deutschlands längster Straßenname: Bischöflich-Geistlicher-Rat-Josef-Zinnbauer-Straße (in Bayern).
Rainer W. During