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Namensstreit. Schon 2004 wurde der Name der Mohrenstraße in Mitte kontrovers diskutiert und das Straßenschild überklebt. Die damals vorgeschlagene Alternative ist allerdings nicht mehr möglich: Seit 2009 gibt es in Kreuzberg das May-Ayim-Ufer zu Ehren der Dichterin, Pädagogin und Aktivistin der afrodeutschen Bewegung.
©  Imago

Straßenbenennung in Berlin: Warum eigentlich noch Jüdenstraße?

In der Debatte um Straßennamen schlägt ideologisches Kalkül oft die historischen Fakten. Dieser Berliner Wahn ist nur schwer zu stoppen.

Im Straßenbenennungskrieg ums lokale Geschichtsbewusstsein haben wir derzeit Feuerpause. Gefechte um eine Neutaufe der rassistischen Mohrenstraße, um ein Ehepaar-Patronat zur Verhinderung des Paschas Moses Mendelssohn als Adresse oder um Ausnahmen von der weiblichen Namenspriorität – bei der Ehrung der politischen Opfer Rudi Dutschke und Silvio Meier – sind verraucht. Weitere Konflikte bleiben absehbar: Was weniger am Benennungsgesetz liegt, eher an dessen Umsetzung in einzelnen Bezirken.

Dieses Berliner Gesetz (13.7.1999) und die Ausführungsbestimmungen (2.11.2000) fordern, ein Straßenname solle „kurz, einprägsam, gut verständlich sein“. Er müsse „entsprechend ihrer Bedeutung von der Örtlichkeit oder von örtlichen geschichtlichen Verhältnissen, Ereignissen und Persönlichkeiten hergeleitet werden“. Frauennamen sollten „verstärkt Berücksichtigung finden“. Umbenennungen seien erlaubt zur Beseitigung von: Doubletten, antidemokratischen Patronen aus der Zeit 1933/45 und 1945/89, von politisch motivierten Umbenennungen aus jenen Jahren sowie von nach „heutigem Demokratieverständnis negativ belasteten“ Namen aus der Zeit vor 1933, die „dem Ansehen Berlins schaden“.

2002 hat die Bezirksverordnetenversammlung (BVV) Mitte dann auf dieser Gesetzesbasis Kriterien formuliert, zu denen die „besondere Berücksichtigung von Frauen“ ebenso zählt wie die „Beseitigung von Namen, die für nationalistische, militaristische und antidemokratische Haltungen stehen“. Ihr Beschluss wird 2004 etwas gesteigert: Bis „ein Gleichstand zwischen den Geschlechtern“ erreicht sei, sollten Frauennamen „besondere Berücksichtigung“ finden. Die BVV Friedrichshain-Kreuzberg vermeldet 2005 eine ähnliche Absichtserklärung, während die BVV Pankow noch 2010 nur feststellt: „Vorschläge für Benennungen nach Frauen“ seien ausdrücklich erwünscht. Man könne eventuell „für eine bestimmte Zeit, einen bestimmten Ortsteil besondere Kriterien“ formulieren. 2011 kontert allerdings Pankows Bezirksstadtrat für Wohnen eine Anfrage seines Frauenbeirats: Das Verfahren beruhe auf Landesrecht, von der BVV dürften „keine besonderen Kriterien für Benennungen aufgestellt werden“.

Seit den Beschlüssen von 2004/05 entzündeten sich Benennungsquerelen, denen oft nur noch ironisch zu begegnen ist, an der Rigorosität, mit der „Frauennamen rein, Antidemokraten raus“ in Mitte und Friedrichshain-Kreuzberg exekutiert wird. Bildungsbürger ärgerten sich, wenn das ideologische Kalkül historische Fakten stach. Der 2004 von der PDS in die BVV Mitte getragene Disput um eine Umbenennung der Mohrenstraße, die an exotische Musiker Friedrich Wilhelms I. erinnert, flackerte jüngst wieder auf; mit dem Ersatz „Nelson Mandela“, der ja Apartheids-Opfer war, sollte hier der Dispens von der Quote begründet werden.

Doch eine sehr zentrale Straße ist von diesem Drang, historische Schattierungen zu entfernen, seltsamerweise bislang unbehelligt geblieben: Die Jüdenstraße am Roten Rathaus (nicht zu verwechseln mit der 2002 so zurückbenannten Straße in Spandau) trug ihren Namen einst als Adresse des Blocks Großer Jüdenhof, an dem vor 80 Jahren zu lesen war: „Benannt nach dem abgesonderten verschließbaren Wohnsitz der Juden (Getto) im mittelalterlichen Berlin“. Macht es stutzig, dass mit diesem während der NS-Zeit unangetasteten Namen der Bezug zur Gettoisierung betont wurde? Suggeriert die mittelhochdeutsche Nebenform „Jüden“ Herabsetzung? Gibt sie, wie die Mohrenstraße, Anlass zum Missverständnis? Darf man „Juden/Jüden“ so nennen, muss man heute nicht sagen „Straße der jüdischen Mitbürger mit und ohne Migrationshintergrund“? Oder wäre – was für die Umwandlung der „Jüden-“ zur „Türkenstraße“ spricht – bei dieser prominenten Rathausnähe nicht doch der aktuelle Minderheiten-Proporz zu beachten?

Bei der Entscheidung, welche Namen nicht (mehr) akzeptabel sind, mischen sich aktuelle Absicht und retrospektive Übermalung. Auf der schwierigen Suche ausschließlich nach Frauennamen wird das Kriterium „geschichtlich bedeutsame Persönlichkeit“ zudem oft diffus interpretiert. In Friedrichshain wiederum wurde eine Benennung nach Bertha Benz, der ersten Autofahrerin, auch mit dem Argument abgewehrt, die Frau habe anfangs Hitler verehrt. Caroline von Humboldt dagegen, eine emanzipierte Ehefrau des 19. Jahrhunderts, erhielt 2005 einen Weg in Friedrichswerder – ohne dass jene antijüdischen Auslöschungs-Fantasien, die von ihr erhalten sind, den Gleichstellungsausschuss gestört hätten. Wie also wären Qualitäten und Fehler abzuwägen? Hätte Treitschke, einem Gelehrten und antisemitischen Vordenker, seine Steglitzer Straße 2013 doch entzogen werden müssen? Was wird aus Bismarckstraße und Goerdelerdamm, wenn antijüdische Affekte des Kanzlers und des Hitler-Gegners ausgewalzt würden? Was aus dem Richard-Wagner-Platz? Oder aus dem Platz Rosa Luxemburgs – angesichts ihrer Distanz zur pluralistischen Demokratie?

2008 hat die Literaturwissenschaftlerin Marion Werner eine „Kulturgeschichte der Kölner Straßennamen seit 1933“ verfasst: „Vom Adolf-Hitler-Platz zum Ebertplatz“. Sie stellt diverse Benennungsnormen heraus, so das „Gesetz der sozialen Verträglichkeit“ und das der „nationalen Identität“. Beide Kriterien werden allerdings leicht zur parteipolitischen Knetmasse, um eigene Programm-Markierung öffentlich anzubringen, Bilder vom Gestern der eigenen Gesellschaftsvision anzuverwandeln. Gegen solche Geschichtsinstrumentalisierung auf Bezirksebene hat Forscherobjektivität (so subjektiv sie häufig sein mag) kaum Chancen. Das Interesse an den Kontexten hinter den Namen ist bei Politikern, die unter Machtaspekten agieren, oft derart gering, dass nur ein ganz anderes Benennungskonzept die ideologische Verhakelung beenden kann:

Die unkonventionellste Lösung bestände darin, im Konvolut der 14 000 Plätze und Straßen Berlins alle Personennamen auszutauschen und sie nur noch fortlaufend zu nummerieren, sortiert nach drei Gruppen. Etwa Frauenstraße Nr. 32; Männerstraße 456; Opferstraße 8. Der Quotenansatz wäre auf diese Art, so lang gewollt, beizubehalten, ohne Streit um störende Inhalte und Biografien. Benennung nach Blumen oder Topografien blieben erhalten. „Am Westkreuz“ sollte man jedoch durch einen neutralen Begriff ersetzen – um die Brüskierung nichtchristlicher Mitbürger zu vermeiden.

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