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Brachliegende Gefühle. Auf diesem Grundstück zwischen zwei Kitas und zwei Seniorenheimen sollen bald Flüchtlinge in Containern wohnen. Viele Anwohner sind beunruhigt.
© Kitty Kleist-Heinrich

Berlin verteilt Flüchtlinge auf Container-Dörfer: In Köpenick wächst der Widerstand gegen zweite Unterkunft

In der Köpenicker Großplatte Allende II kippt die Stimmung. Eine zweite Unterkunft für Asylbewerber soll hier entstehen. Freunde der Ausländer sind dagegen – und nächtliche Besucher verschrecken den Kiez.

Die „Liebeserklärung an meinen Kiez“, mit der Eberhard Aurich den Web-Auftritt seiner „Bürgerinitiative ,Welcome Refugees! Allende-Viertel Berlin“ schmückt, klingt wie Image-Werbung für Köpenicks Großwohnanlage: „Die Amsel tiriliert den ganzen Abend, sie wird abgelöst von Nachtigallen, die bis in den Morgen ihr wundervolles Konzert geben. Enten watscheln über die Wiese. Spät abends kann man manchmal Wildschweine vor der Haustür treffen oder einen Fuchs über den Parkplatz schnüren sehen. Eine Idylle? Ja. Aber nicht irgendwo im ländlichen Brandenburgischen, sondern in einer Plattenbausiedlung in Berlin. Andere kommen hierher, um Urlaub zu machen ...“

Doch seit am 20. Oktober Sozialsenator Mario Czaja verkündet hat, dass im Viertel Allende II, auf einer Brache an der Alfred-Randt-Straße, Wohncontainer für 400 Flüchtlinge aufgestellt werden, gilt das Kiez-Idyll als bedroht. Schon eine Tagesspiegel-Reportage am Tag darauf zeigte eine skeptische Stimmung auf.

In einem offenen Brief ist von "Entsetzen und Unverständnis" die Rede

Dabei hatten sich hier schon im Herbst 2013 engagierte Bürger auf diese Herausforderung eingestellt: Damals war ein Seniorenheim zum „Salvador-Allende- Haus“ für nun 300 Flüchtlinge umgewidmet worden. 13 Köpenicker taten sich an der Seite Aurichs, der bis 1989 letzter Chef der DDR-Jugendorganisation FDJ gewesen war, in der Bürgerinitiative zusammen. Man wolle „Menschen in Not helfen, damit sie sich hier wohlfühlen und ihrem Begehr auf Asyl rechtliches Gehör verschaffen können“. Schließlich habe „Willkommenskultur“ das Quartier schon vor 40 Jahren ausgezeichnet, als Emigranten aus Chile hier angekommen waren.

Was seit dem Vorjahr im Salvador-Allende-Haus an Alltagshilfe und sozialer Begegnung für Asylsuchende organisiert worden ist, was unter den Platten-Bewohnern an Akzeptanz und an Verständigungs-Gesprächen zwischen Anti-Ausländer-Demonstranten und Bürgerinitiative erreichbar schien, droht derzeit durch die neuen Einquartierungspläne kaputtzugehen: So klingt der Tenor eines Offenen Briefes, mit dem sich nach Czajas Ankündigung die Bürgerinitiative an den Sozialsenator und den Regierenden Bürgermeister gewandt hat. „Entsetzen und Unverständnis“ empfinde man darüber, nicht vorab einbezogen worden zu sein. Erfolgreiche Integrationsarbeit werde jetzt „geradezu desavouiert“, Rassisten bekämen in Köpenick eine „Steilvorlage geliefert“.

Sogar gutwillige Bürger fühlen sich überfordert

Die aktuelle Wohncontainer-Planung neben Seniorenheimen und Kitas, in 500 Meter Entfernung von einer bereits bestehenden Asylbewerber-Unterkunft, sei nicht zu verstehen – so schreiben es die „Welcome Refugees!“-Citoyens. „Man hätte wissen können, dass Vorbehalte gegenüber Ausländern in diesem Teil des Allende-Viertels groß sind.“ Sogar gutwillige Bürger sähen sich überfordert, „konstruktive Maßnahmen zur Steigerung der Akzeptanz eines solchen Containerdorfes zu ergreifen“. Für das Salvador-Allende-Haus und die Bewohner habe man doch im Wohngebiet mittlerweile „unaufgeregte Normalität“ erreicht. „Wollen Sie diese positive Situation zum Negativen verändern?" Der Brief endet mit dem Verweis auf 1989: Die Losung „Wir sind das Volk!“ sei offenbar „aktueller denn je“.

Eine Petition gegen die zweite Fremdeneinquartierung im Allende-Viertel, von den besorgten Ausländerfreunden ins Netz gestellt, hat das benötigte Quorum mit 1335 Unterschriften überschritten. Sie wurde Czaja überreicht, dessen Antwort mittlerweile vorliegt. Der Politiker schreibt, gerne werde die Berliner Unterbringungsleitstelle alternative Köpenick-Standorte prüfen. Stadtteilzentren betroffener Ortsteile würden mit 5000 Euro pro Quartal zur Abdeckung „bestehenden Aufklärungsbedarfs“ und zur „Koordinierung ehrenamtlichen Engagements“ gefördert. „Ich würde mich freuen, wenn Sie sich wie auch schon bei der bestehenden Unterkunft im Allendeviertel an einem nachbarschaftlichen Miteinander positiv beteiligen.“

"Wir wollen nicht alle als Nazis dastehen"

Czajas Antwort datiert vom 5. November, das positive nachbarschaftliche Miteinander rückt seitdem in weitere Ferne. Am 7. November wurden Parolen gegen das Flüchtlingsquartier aufs Trottoir am geplanten Container-Ort geschmiert. Am 9. November wird zum zweiten Mal der Bauzaun umgestoßen. Asphalt-Schmiererei ruft zur Gewalt gegen Ausländer auf. Das Protest-„Picknick“ einer Facebook- „Spaziergänger“-Gruppe neben dem Baugelände wird von Polizisten beobachtet.

Am 11. November treffen sich lokale Institutionen im Verein „ Offensive 91“: um zu beraten, wie aktive Bürger, von denen noch keiner mit an Bord ist, zu gewinnen wären. Eine Anwohnerin, die aus ihrem Fenster zur Brache schaut, sagt: „Wir wollen nicht alle als Nazis dastehen.“ Fürsprecher und Gegner würden inzwischen ihre Wut ablassen. Einen Hausmeister, der sich gegenüber Medien fremdenfeindlich äußerte, habe die Wohnungsgesellschaft frühpensioniert. Jede Nacht gehe rund ums Baugelände Unheimliches vor. Leute aus dem Heim? Politische Rowdies? Nur Gerüchte. Wenn der „Terror" so weitergehe, wolle sie wegziehen.

Bürgermeister Oliver Igel (SPD) hält den Standort für „psychologisch“ schwierig, aber ans Aufgeben denkt er nicht. Der Senat habe die Bezirke vorab nicht einbezogen, das müsse er hinnehmen. Nun würden Radikale von außen Anti-Stimmung ins Viertel tragen. „Frust, Angst und Sorgen“ der Bewohner seien schwer auszuräumen, obwohl sich solche Befürchtungen andernorts nie bestätigt hätten. „Da kommen doch keine Wölfe!“ 1400 Flüchtlinge in Köpenick, 700 in Allende I und II, unter 10.000 Menschen – das sei verkraftbar. „Wir müssen Akzeptanz herstellen. Da können wir Kopfstehen und mit den Füßen wackeln, die kommen!“

Auch Uli Haas, Sprecher von „Welcome Refugees!“, betont: Man werde „nicht abseits stehen“, obwohl Prozedere und Standort falsch seien. In Allende II gebe es keinen „positiven politischen Kern“, bei der letzten Wahl 8,6 Prozent NPD-Wähler, zudem viele Hartz IV-Empfänger. Bürgerversammlungen seien erst für Dezember, viel zu spät angesetzt: Bis dahin könnten Stimmungsmacher „dem Treiben noch richtig Zucker geben“.

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