Schleppende Nachfrage für Astrazeneca in Berlin: Impfstoff-Wahlfreiheit war laut Senatorin Kalayci „vielleicht ein Fehler“
Gegen den Impfstoff von Astrazeneca gibt es Vorbehalte - zu Unrecht, meinen Experten. Unter-65-Jährige mit Impf-Einladung können nun nicht mehr wählen.
Die Senatsverwaltung für Gesundheit beobachtet in der Pandemie keine spürbare Ablehnung des Astrazeneca-Impfstoffs, befürchtet aber dennoch, dass sich Bedenken als wirkmächtig erweisen könnten. Jedenfalls sprach Dilek Kalayci (SPD) am Mittwoch davon, dass die von ihr ausgerufene Freiheit, wonach die Berliner ihren Impfstoff wählen dürfen, „vielleicht ein Fehler“ gewesen sei. Das hatte die oppositionelle CDU der Gesundheitssenatorin am Vortag vorgeworfen.
Kalayci eröffnete gerade Berlins fünftes Impfzentrum im „Velodrom“, als sie über Twitter verbreiten ließ: Die freie Impfstoffwahl bleibe bestehen, auch wenn das britisch-schwedische Mittel nur Impflingen unter 65 Jahren gespritzt werde. Keine Aussage dazu, dass im Impfzentrum Tegel tausende Astrazeneca-Dosen offenbar nicht verimpft werden.
Das Mittel ist auch an die Kliniken geliefert worden. Doch den Tagesspiegel erreichen Informationen aus Berlins Krankenhäusern, wonach Ärzte und Pflegekräfte skeptisch seien – dabei ist Astrazeneca gerade für leichtes Handhaben bekannt. So lässt sich das Präparat besser transportieren und bei Kühlschranktemperaturen lagern. Die Berliner Krankenhausgesellschaft plant jedenfalls eine Umfrage zur Annahme dieses Impfstoffs unter Klinikmitarbeitern.
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Senatorin Kalayci bemühte sich, die Wirksamkeit aller drei in Deutschland zugelassenen Impfstoffe hervorzuheben. Wie berichtet, hält auch Charité-Topvirologe Christian Drosten die allgemeinen Bedenken gegen den Astrazeneca-Impfstoff für unbegründet.
Auch weil es Gerüchte über das Mittel gibt, sagte Dirk Heinrich, Chef des Virchowbundes, der die niedergelassenen Ärzte vertritt, deutlich: „Der Impfstoff von Astrazeneca ist wie die anderen derzeit zugelassenen Impfstoffe von Moderna und Biontech ein elementarer Baustein zum Weg aus der Pandemie. Wer aus Gründen des Populismus und der Selbstdarstellung den Impfstoff von Astrazeneca schlechtredet, indem er die Wirksamkeit anzweifelt und medizinischem Personal von einer Impfung abrät, macht sich mitschuldig daran, wenn der Lockdown länger dauert als nötig und gerade die älteren Menschen weiter an Covid-19 sterben.“
DRK-Präsident Czaja: Astrazeneca wirksamer als die meisten Grippe-Impfstoffe
Bisher seien im Tegeler Impfzentrum 1300 Astrazeneca-Dosen verimpft worden, in Berlins Krankenhäusern 5000, teilte die Senatsgesundheitsverwaltung mit. An die Kliniken seien weitere 10.000 Dosen gegangen. Den schleppenden Anlauf im Impfzentrum führt die Gesundheitsverwaltung auch darauf zurück, dass viele Einladungen an niedergelassene Ärzte erst vor kurzem versandt worden seien.
Man erwarte nun steigende Nachfrage. Und insofern bestehe „keine Wahlmöglichkeit“, erklärte ein Sprecher Kalaycis am Mittwoch. Wer nach Tegel eingeladen werde, erhalte dort eben Astrazeneca. Anders als die ebenfalls zugelassenen Impfstoffe von Moderna und Biontech, denen eine Wirksamkeit von 95 Prozent zugeschrieben wird, soll diese bei Astrazeneca bei 70 Prozent liegen.
Auch innerhalb der Sozialverbände, die im Auftrag des Senats das Massenimpfen organisieren, wird über die einzelnen Präparate diskutiert. Mario Czaja, der Präsident des federführenden Deutschen Roten Kreuzes (DRK), sagte dem Tagesspiegel, Astrazeneca sei immer noch wirksamer als die meisten Grippe-Impfstoffe. Und für die Über-65-Jährigen werde das aktuelle Mittel nur deshalb nicht verwendet, weil es noch nicht ausreichend viele Studien zu dieser Altersgruppe gebe. Ab März rechne man mit validen Daten dazu aus den USA.
Kalayci will schneller in Arztpraxen impfen lassen
Senatorin Kalayci würde den Astrazeneca-Impfstoff ab März gern an Hausarztpraxen liefern lassen. Denn es sei bislang das einzige in Deutschland zugelassene Corona-Mittel, mit dem das technisch möglich wäre. Dazu fehle aber bisher die Erlaubnis vom Bund. Es gebe dringenden Bedarf, die entsprechende Verordnung zu überarbeiten, sagte Kalayci.
Sonst könne Berlin nur mit einem Trick arbeiten – und die Praxen etwa zu mobilen Impfteams erklären. Hintergrund: Schon seit Dezember fahren Praxisärzte mit Bundeswehr-Helfern und Sanitätern die Pflegeheime ab, um dort Bewohner und Mitarbeiter zu impfen.
Ohnehin fällt auf, dass Kalayci zuletzt immer wieder den Bund kritisiert – namentlich Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU). Den von ihm angekündigten kostenlosen Schnelltests steht die Berlins Gesundheitsverwaltung jedenfalls auch skeptisch gegenüber. Es bestehe beim Aufbau geplanter Teststellen, der von den Ländern geleistet werden solle, die Gefahr eines „bürokratischen Monsters“, sagte Kalaycis Sprecher. Sinnvoller sei es aus Berliner Sicht, Schnelltests so zuzulassen, dass sie jeder Bürger selbst durchführen könne.
Was heißt „70 Prozent Wirksamkeit“ überhaupt?
Das Misstrauen beim Astrazeneca-Impfstoff liegt vielleicht auch am Wort „Wirksamkeit“, mit dem der Fachbegriff der „efficacy“ aus dem Englischen ins Deutsche übersetzt wird. Der Covid-19-Impfstoff der Universität Oxford und des Pharmaunternehmens Astrazeneca hat eine „efficacy“ von 70 Prozent und ein Imageproblem.
Die Wirksamkeit liegt deutlich unter den Werten von etwa 95 Prozent, die für die RNA-Impfstoffe von Biontech und Pfizer sowie Moderna angegeben werden. Wahrscheinlich lassen Menschen wegen dieser gut 25 Prozent ihren Impftermin mit dem Astrazeneca-Präparat verstreichen.
Die Wirksamkeit von 70 Prozent bedeutet allerdings nicht, dass der Impfstoff bei 30 von 100 Geimpften nicht wirkt. Der Wert besagt auch nicht, dass nur 70 Prozent der Wirkung eines perfekten Impfstoffs erreicht werden. Den gibt es ohnehin nicht. Die Zahl stammt aus der klinischen Erprobung. Die Wirksamkeit wird berechnet, indem man die Anzahlen der Erkrankten unter den geimpften und unter den nicht-geimpften Probandinnen und Probanden in Verhältnis setzt.
In der klinischen Studie erkrankten fünf von 1000 Geimpften und 18 von 1000 Probanden in der Placebogruppe. Es gab also 70 Prozent weniger Erkrankungen in der Impfgruppe. Das ist die kommunizierte „Wirksamkeit“. In der Studie erreichte der Impfstoff sogar eine Wirksamkeit von 90 Prozent, wenn bei der Erstimpfung nur eine halbe Dosis gegeben worden war. Allerdings war das nur bei wenigen und jungen Probandinnen und Probanden der Fall, daher wurde dieses Ergebnis mit dem aller anderen verrechnet.