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Sprühzug. Früher nahm die BVG jeden beschmierten Zug sofort aus dem Verkehr. Doch dafür fehlen ihr heute die Reserven.
© Schöning/Imago

Vandalismus in der BVG nimmt zu: Immer mehr U-Bahn-Ausfälle wegen Sprüh-Angriffen

Besprühte Wagen, kaputte Inneneinrichtung: Bei der U-Bahn gibt es derzeit eine Welle der Zerstörung. Reserven hat die BVG nicht. Das merken auch die Fahrgäste.

So viel Schmierer gab es noch nie. Die BVG erlebt eine Graffiti-Welle nie da gewesener Stärke. In diesem Jahr werden etwa 70.000 Kilometer U-Bahn-Fahrten ausfallen wegen Vandalismus und Graffiti, das sind fast vier Mal so viel wie im Vorjahr. Da waren es 18.793 Kilometer.

Die Zahl der Ausfälle steigt seit 2015 zunehmend an. Vor einem guten Jahr kapitulierte die BVG und entschied, beschmierte Wagen weiterhin fahren zu lassen. Bis dahin galt die Regel, die Züge sofort rauszunehmen, um die Graffiti nicht noch als Werbung für die Täter durch die Gegend zu fahren. Jetzt werden nur noch die Wagen in die Werkstatt gebracht, bei denen auch die Frontscheiben oder andere sicherheitsrelevante Teile besprüht sind.

BVG-Chefin Sigrid Nikutta sah das Problem mit eigenen Augen

Tausende „Kunstwerke“ rollen jetzt durch die Stadt, fast jeder Zug ist mittlerweile außen beschmiert, teilweise großflächig. BVG-Chefin Sigrid Nikutta konnte dies selbst beobachten, als sie am Dienstag das schnelle LTE-Mobilfunknetz vorstellte: Der einzige saubere Zug war der Sonderzug, in dem die Technik vorgeführt wurde. Würde man weiter jeden besprühten Zug rausnehmen, würde auch auf wichtigen Linien nur noch alle acht bis zehn Minuten ein Zug kommen.

Die BVG kostet die Graffiti-Welle doppelt Geld. Die Reinigung kostet Millionen, zudem kürzt der Senat für jeden ausgefallenen Kilometer die Zuschüsse. U-Bahn-Chefin Nicole Grummini hatte in der internen Mitarbeiterzeitung berichtet, dass „uns die Fahrzeugausfälle teuer zu stehen kommen“. Grummini forderte mehr Einsatz von Politik und Gesellschaft: „Graffiti gilt immer noch als Bagatelldelikt und rangiert juristisch hinter Ladendiebstahl.“ Dies sei ein „Unding“, Graffiti sollten als gefährlicher Eingriff in den Bahnbetrieb geahndet werden.

Graffitiszene feierte "Festtage" im April

Die Schmiererszene hatte ihre "Festtage" bereits Anfang April. Da beim BVG-Streik auch Wachleute streikten, waren die Sprayer höchst aktiv. 140 Wagen waren betroffen, ein Zehntel des Bestands. 75 mussten bis zu einer Woche abgestellt werden, weil Führerstandsfenster oder Lampen übersprüht waren. Denn die BVG hat nur ein Spezialgleis in einer Werkstatt für die schnelle Farbbeseitigung, und zwar in Ruhleben für das Kleinprofil. Für das Großprofil muss Graffiti auf dem Waschgleis in Britz beseitigt werden, das Wasser wird mit viel Aufwand aufgefangen und entsorgt.

Mit genügend Fahrzeugen in Reserve wäre Graffiti nur ein Kostenproblem. Die Schmierer verschärfen aber den Wagenmangel, und das spüren die Fahrgäste. Durch den überalterten Wagenpark stehen im Schnitt 21 Prozent der Großprofilzüge (das sind die Linien U5 bis U9) in der Werkstatt, weitere vier Prozent wegen Vandalismus. Das heißt: Jeder vierte Zug kann nicht eingesetzt werden. Beim Kleinprofil (U1 bis U4) sind es zusammen 27 Prozent.

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Intern ist zu hören, dass der Kampf nicht gewonnen werden könne, die Szene sei zu gut vernetzt und organisiert. Abstellanlagen sind zwar mit Infrarotkameras und Bewegungsmeldern gesichert. Die Schmierergangs seien aber trainiert, perfekt organisiert – und schnell. „Wenn wir die auf dem Monitor sehen, sind die weg, bis unser Wachschutz da ist. Wir kriegen nur die Amateure“, hieß es. Die Profis hätten exakte Lagepläne etwa mit allen Notausgängen. Diese würden von außen mit Gewalt aufgebrochen. Laut Grummini setzt die BVG zu Betriebsbeginn die Züge von etwa 60 Orten aus ein.

In einer Antwort des Senats auf eine Anfrage der FDP hatte die BVG kürzlich nur sehr spärlich geantwortet: „Genaue Tatzeiten sind uns nicht bekannt. Die Tatorte verteilen sich über das gesamte Stadtgebiet.“ Wer weder Tatzeiten noch beliebte Tatorte kennt, kann natürlich nicht gegensteuern.

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