BVG-Chefin wechselt zur Deutschen Bahn: Wer folgt an der Spitze der Berliner Verkehrsbetriebe?
Sigrid Nikutta hat die BVG zu einer Marke entwickelt. Nun wechselt sie zur Bahn. Doch die Managerin war nicht immer unumstritten. Wer wird auf sie folgen?
Seit Tagen gibt es auf den Fluren der BVG-Zentrale an der Holzmarktstraße nur ein Thema. Und nicht nur dort. Es ist die Personalie des Jahres in Kreisen aller landeseigenen Betriebe: Wer und was kommt nach der Ära Sigrid Nikutta?
Die Managerin steht seit neun Jahren an der Spitze der Berliner Verkehrsbetriebe, einem Unternehmen, das wie kaum ein anderes so eng mit dem Alltag Millionen Berlinerinnen und Berlinern verbunden ist. In guten wie in schlechten Tagen.
Die charismatische (manche sagen auch eigenwillige) Frau hatte mit ihrer Art, ihrem herben Humor, aber auch mit strategischen Entscheidungen im Hintergrund oft viel Aufmerksamkeit auf sich gezogen – und weg von so manchem Problem, das sich nicht so einfach lösen ließ. Gleichwohl hat sie einige gelöst. Das chronisch defizitäre Unternehmen zurück in die schwarzen Zahlen geführt – zum Beispiel.
Am späten Donnerstagabend wurden die jüngsten Presseberichte offiziell durch eine Mitteilung aus dem Aufsichtsrat der Deutschen Bahn bestätigt: Nikutta soll mit dem Jahreswechsel in den Vorstand des bundeseigenen Konzerns wechseln, in den Bahn-Tower am Potsdamer Platz. Sie soll – auch hier – die defizitäre Logistiksparte sanieren. Am Freitagmorgen lud Wirtschaftssenatorin Ramona Pop (Grüne) zu einem ersten Lebewohl in die Chefetage der BVG. Pop ist als Vertreterin des Eigentümers, des Landes Berlin, die Aufsichtsratsvorsitzende.
Personalsuche soll im Januar beginnen
Dass sie eine Neue, also eine Frau präferiert, hatte sie schon vor Tagen kundgetan. Das Landesgleichstellungsgesetz schreibe vor, dass Frauen bei gleicher Qualifikation bevorzugt werden müssen, sagte Pop am Freitag. Namen nannte sie nicht. Die Stelle werde aber ganz sicher nicht an den vergeben, der sich am lautesten ins Gespräch bringt. Es werde eine ganz normale Ausschreibung geben, sagte Pop. Damit habe man gerade gute Erfahrungen gemacht bei der Besetzung der BSR-Spitze. Bei der Stadtreinigung folgte im Juni eine Frau auf eine Frau. Aber auch Männer werden noch eingestellt, neuer Betriebsvorstand der BVG ist seit Oktober Rolf Erfurt.
Diesen Zeitplan präsentierte die Wirtschaftssenatorin: Im Januar werde man ein Anforderungsprofil erstellen und eine externe Personalberatung zur Unterstützung suchen. Im März könnte es erste Gespräche mit Interessenten geben. Zur Aufsichtsratssitzung im Juni soll der oder die neue BVG-Chefin dann feststehen. Wann er oder sie dann anfangen kann, hängt von dem alten Arbeitgeber ab. Betriebsvorstand Erfurt war bereits im Mai bestellt worden, konnte aber erst Mitte Oktober anfangen.
„Weil wir dich lieben“
Sorgen macht sich Pop nicht, die Stelle gut zu besetzen. Das liegt auch an Sigrid Nikutta. Sie habe die BVG mit der Imagekampagne „Weil wir dich lieben“ bundesweit zur Marke gemacht, sagte Pop. Hinzu komme die Attraktivität der Stadt Berlin. Dem Vernehmen nach gab es auf die Stelle des Betriebsvorstands hundert Bewerbungen. Egal wer folgt: Sie oder er wird sich an Nikutta, ihren Erfolgen aber auch Eigenheiten messen lassen müssen. So verschenkt die Frau gern und viele Seidenschals im Muster der U-Bahn-Sitze.
Vor drei Wochen flog sie einer Wirtschaftsdelegation rund um den Regierenden Bürgermeister nach Singapur hinterher – mit einem Tag Verspätung, weil eines ihrer fünf Kinder Geburtstag feierte. Sie kann es sich leisten. Sie saß auf einem Empfang im Garten des deutschen Botschafters und zog plötzlich ihr Handy aus ihrer (ebenfalls BVG-gemusterten Handtasche), um darauf stolz Fotos von den neuen Abschleppwagen zu zeigen, die die BVG endlich angeschafft hat – so als wären auch das ihre Babys. Irgendwie.
Nikutta bei der Bahn vor einer schwierigen Aufgabe
Sigrid Evelyn Nikutta, geboren in Polen, aufgewachsen in Besenkamp, einem kleinen Ortsteil der Gemeinde Enger bei Bielefeld in NRW, ist promovierte Psychologin und wollte früher mal in Gefängnissen arbeiten. Aber sie habe ihre Liebe zu großer Technik und komplexen Organisationsabläufen entdeckt – sagte sie lange bevor klar war, dass es zur DB geht.
Nikutta berichtete bei der Feier am Freitag von ihrem Start bei der BVG. „Der Knochenjob geht an eine Frau“, habe eine Zeitung damals getitelt. Und genau das müsse sie sich jetzt wieder anhören. Die Gütersparte der Bahn ist jahrzehntelang geschrumpft worden, die Zahlen sind desaströs. „Um diese Aufgabe wird Sie keiner beneiden“, sagte dann auch Ramona Pop.
Bei einer Metapher sind sich die beiden Frauen einig: Pop sprach von einer „freundlichen Scheidung“, Nikutta von einer „Scheidung mitten in einer Liebesbeziehung“. Es habe kein Auseinanderleben gegeben in den vergangenen neun Jahren. Beide signalisierten: „Wir mögen uns, wir schätzen uns.“ 2010 schrieb die BVG noch tiefrote Zahlen, erinnerte Pop, Nikutta schaffte die Wende. Seit 2014 sind die Zahlen schwarz. In ihren neun Jahren sei die Zahl der Fahrgäste um 20 Prozent gestiegen (siehe Grafik), es gibt mehr Stammkunden und mehr Abonnenten, lobte Pop weiter.
Nicht alle sind über den Abgang unglücklich
Auf die Frage, was ihre schwierigste Herausforderung gewesen sei, zögerte Nikutta kurz – was nicht ihre Art ist. Dann sagt sie: „Die brennenden Busse.“ In den Jahren 2009 und 2010 waren zahlreiche Busse während der Fahrt in Flammen aufgegangen. Wie sich später herausstellte, steckten Fehler in der Konstruktion dahinter. Aber auch mangelnde Wartung war einer der Gründe. „Ich kannte Loks, aber keine Busse“, sagte Nikutta. Das große Echo in den Medien habe ihr damals einen Vorgeschmack gegeben auf ihren neuen Job, erzählte die 50-Jährige. Vor der BVG hatte Nikutta bei DB Cargo in Polen gearbeitet, da gab es weder Busse noch Kritik.
Auch wenn es bei ihrem Start die Busse waren, die brannten, wurde schnell klar, dass das zentrale Problem der BVG woanders liegt: bei der U-Bahn. Es gibt mittlerweile viel zu wenige Wagen, weil keine neuen bestellt wurden. Eine komplette Serie („F79“) musste überraschend schnell wegen irreparabler Mängel auf den Schrottplatz verabschiedet werden.
Vor ziemlich genau einem Jahr musste Nikutta bei der SPD-Fraktion im Abgeordnetenhaus antreten, man kann auch sagen: zum Rapport. Die Parlamentarier wollten wissen, wie die BVG die Probleme bei der U-Bahn zu bewältigen gedenkt. Denn nicht nur Mitarbeiter waren verwundert, dass sie 2017 den Chef der U-Bahn gegen eine – von Kritikern „unerfahren“ genannte – Frau austauschte. Auch andere wichtige Leute habe Nikutta vergrault, war in den Etagen unter der Chefin zu hören.
Am Freitag war ein neuer Name in der BVG-Zentrale zu hören, wenn auch nur ganz leise: Die Chefin der Potsdamer Stadtwerke, Sophia Eltrop, sei eine starke Persönlichkeit, heißt es in Potsdamer Rathauskreisen.