Flüchtlinge in Berlin: Immer mehr Iraker kehren freiwillig zurück
Auf Hoffnung folgt Enttäuschung: Immer mehr irakische Flüchtlinge wollen zurück in ihre Heimat, obwohl sich die Sicherheitslage dort nicht wesentlich verbessert hat.
Nur 500 Meter vom Berliner Landesamt für Gesundheit und Soziales (Lageso) entfernt liegt das Reisebüro „Golf Reisen“ von Alaa Hadrous. Ein kleiner Raum mit Karten an der Wand, nebenan ein Juweliergeschäft. Drei Männer sitzen an einem Tisch mit Prospekten. Hier auf den Polsterstühlen enden irakische Fluchtgeschichten und Hoffnungen auf ein besseres Leben in Deutschland, die in Erbil oder Bagdad, in Falluja oder Haditha begonnen haben. Wenn die Menschen zu Hadrous kommen, wollen sie nur eins: zurück in den Irak, zurück zu ihrer Familie.
„Erst vor etwa drei Monaten fing das an“, sagt er. Hadrous meint damit die Ausreise von Irakern aus Deutschland. Durch die Nähe zum Lageso und die arabische Schrift an seinem Schaufenster sei zunächst eine irakische Familie auf ihn aufmerksam geworden. Danach verbreitete sich ziemlich schnell, dass Hadrous der richtige Mann sei, wenn man zurückwolle.
Mangelnde Privatsphäre
Seitdem bekommt er fast jeden Tag Anrufe von Flüchtlingen, andere kommen direkt in seinen Laden. „Nicht alle buchen dann auch bei mir“, sagt er. „Deswegen kann ich keine genauen Zahlen nennen.“ Einigen ist es zu teuer. Die sparten dann erst einmal Geld und kämen später wieder. Andere überlegten es sich noch einmal. Direktflüge nach Bagdad und Erbil gehen jeden Mittwoch vom Flughafen Tegel. Ein Ticket kostet 295 Euro.
Obwohl die Sicherheitslage im Irak sich nicht wesentlich verbessert hat, ziehen die Menschen, die bei Hadrous anrufen, das Land den Flüchtlingsheimen in Deutschland vor. „Die haben eine ganz andere Vorstellung von Deutschland gehabt“, sagt Hadrous. „Im Irak haben manche von Familie und Freunden erzählt bekommen, in Deutschland könne man ohne Sorgen leben.
Sie haben erwartet, dass man hier sofort eine eigene Wohnung bekommt.“ Stundenlang vor dem Lageso anstehen zu müssen, mit vielen anderen Flüchtlingen in einer stickigen Unterkunft zu schlafen, darauf waren sie nicht vorbereitet. Vor allem die mangelnde Privatsphäre macht vielen zu schaffen. Manchmal versteht Hadrous aber auch nicht, wie jemand einen so weiten und beschwerlichen Weg auf sich nehmen kann, um dann so schnell aufzugeben. „Ich hatte Kunden, die waren zwei Tage hier in Berlin und wollten direkt wieder zurück“, sagt er. Er bestärke sie dann darin, etwas Geduld zu haben, sich nicht gleich entmutigen zu lassen.
Solange das Wohlstands- und Sicherheitsgefälle bestehen bleibt zwischen den 3 beteiligten Kontinenten - und daran ist mittelfristig kaum zu zweifeln - werden Menschen versuchen, ihr Schicksal individuell zu steuern.
schreibt NutzerIn yoda
Flüge auf eigene Rechnung
Genaue Zahlen über freiwillige Rückkehrer gibt es nicht. Statistisch erfasst werden nur Flüchtlinge, die ein spezielles Rückkehr-Förderprogramm von Bund und Ländern in Anspruch nehmen. Ein Recht darauf hat nur, wer sich die Reise sonst gar nicht leisten kann. Die meisten allerdings buchen ihre Flüge auf eigene Rechnung – in Reisebüros wie dem von Hadrous. Im ganzen Land lassen sich immer mehr Iraker ihre Reisepapiere ausstellen.
Im Herbst verzeichneten die irakischen Vertretungen in Deutschland einen sprunghaften Anstieg: Während von Januar bis Oktober 2015 nur etwa 150 Reisedokumente ausgehändigt wurden, waren es im November und Dezember schon 1250. Der Strom irakischer Kunden wird für Alaa Hadrous so schnell nicht abreißen.
Er wollte nicht in Deutschland sitzen und warten: Unsere Reporterin Veronica Frenzel sprach Ende 2015 mit dem Flüchtling Murad Kulli, den es zurück in den Irak zog.
Pascale Müller