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Erika Mayr mit ihren Bienen auf einem Dach in Kreuzberg. Insgesamt leben rund 4500 Bienenvölker in Berlin.
© Verena Eidel

Berliner Stadtmenschen im Sommer: Imkern über den Dächern der Stadt

Erika Mayr ist Stadtimkerin mit 15 Bienenvölkern auf den Dächern Berlins. Ein Besuch bei der Honigernte.

Theoretisch könnte sie den Honig einem bestimmtem Baum zuordnen. Obwohl alle ihre Bienen von Mitte Juni bis Mitte Juli Lindennektar sammeln, bevorzugt das eine Volk diesen und das andere jenen Baum ein paar Meter weiter. Je nach Geschmack, Bienen sind da wählerisch, sagt Erika Mayr bei der Honigernte auf einem der Dächer des Messegeländes. Dennoch stürzen sich nie alle Bienen auf eine Nektarquelle, denn sollte eine versiegen, stünde sofort Ersatz bereit. Das spart Energie und zeugt von einer intelligenten Organisation des Bienenvolkes, Risikomanagement inklusive.

Seit 2007 imkert die Landschaftsgärtnerin in ihrer Freizeit. Sie war eine der Ersten, die ihre Völker auf den Dächern Berlins beheimatete, in weißen Styroporboxen. Auf den ersten Blick erinnert wenig an die ländliche Idylle eines Bienenstocks am Waldrand. Doch bei geöffnetem Deckel summt es ordentlich in der vermeintlich uncharmanten Behausung. „Es kommt darauf an, was der Imker vom Volk will“, erklärt Erika Mayr ihre Philosophie. „Ich möchte zeigen, was sie alles können. Bienen sind unheimlich anpassungsfähig.“ Dächer haben den Vorteil, dass sich die Lebensräume von Mensch und Biene kaum überschneiden. Die Bienen müssen allerdings kräftig genug sein, Wind und Wetter zu trotzen.

Im Winter legt die Königin 1000 Eier täglich

Wie die Honigernte zeigt, kommen ihre Bienenvölker sehr gut mit ihrem Standort klar. In diesem Jahr sind die Linden zwei Wochen früher verblüht als sonst. Umso erfreulicher, dass die Bienen es trotzdem geschafft haben, aus Nektar und Pollen einen Honigüberschuss zu produzieren. Nicht alle Völker sind schon fertig mit der Herstellung, aber die erste Ausbeute stimmt die Imkerin zuversichtlich.

Mayr ist stolz darauf, was ihre Bienen seit März geleistet haben. Zuerst dienten Weiden und Haselnusssträucher als Futterquellen, dann die Blüten der Rosskastanie und Ahornbäume. Ende Mai fliegen die Bienen auf die Robinie und als Letztes bringen sie die Lindentracht ein. Ab dem 21. Juni zieht sich das Bienenvolk nach innen und erneuert sich. Im Sommer und Spätsommer werden die Tiere aufgezogen, die den Winter überleben sollen. Bis dahin sterben täglich etwa 350 Bienen, während die Königin mindestens 1000 Eier pro Tag legt. Bis zu 35 000 Bienen wohnen in einem Stock. Zu den Wintervorkehrungen gehört auch die Drohnenschlacht im August: Alle Bienen, die als Befruchter dienten, werden ausgehungert und von den Arbeitsbienen aus dem Stock geschmissen. Gewissermaßen benutzt und weggeworfen, alle Jahre wieder.

Fütterung mit Zuckerwasser

Auf dem Dach der Messehalle wird auch klar, was Mayr am Imkern in luftiger Höhe schätzt: So weit oben ist man weit genug weg vom Getöse der Stadt. Wenn dann der Himmel aufreißt und die Sonne den Funkturm in gleißendes Licht taucht, während schon die nächste Wolkenfront naht, ist das Gefühl von Freiheit zum Greifen nah.

Bei der Arbeit. Die Biene sammelt den Blütenstaub ein.
Bei der Arbeit. Die Biene sammelt den Blütenstaub ein.
© Julian Stratenschulte/dpa

Für die Imkerin beginnt nach der Honigernte die Pflege der Winterbienen. Als Ersatz für den stibitzten Honig füttert sie das Volk mit Zuckerwasser. Außerdem gilt es, die Varroamilbe in Schach zu halten, die den Bienen seit Jahren zu schaffen macht. Wenn andere in den Urlaub fahren, sichert Erika Mayr ihren Bienen das Überleben. Den gewonnen Honig verkauft sie unter dem Label „stadtbienenhonig“ in ihrer Bar Mysliwska in Kreuzberg (Schlesische Straße 35), wo sie donnerstags auch hinterm Tresen steht, sowie im Café im Prinzessinnengarten. Dort bietet sich am 3. September beim Stadthonigfest die Gelegenheit, verschiedene Berliner Honigsorten zu probieren. Das Wissen um die Biene liegt nicht nur Erika Mayr am Herzen. Zwei Kollegen aus dem Imkervereinen informieren im Bienenhaus im Britzer Garten über die Lebenswelt der fleißigen Honigproduzenten (von April bis Oktober immer sonntags 14–16 Uhr).

Über Stadtbienen und den Alltag einer Stadtimkerin hat Erika Mayr ein Buch geschrieben, das als Sommerlektüre dienen kann. Vielleicht bei einem Stück Kuchen im Café der Königlichen Gartenakademie in Dahlem. Dort können die Besucher erleben, dass Bienen nicht einfach so angreifen und friedlich bleiben, auch wenn man in ihrer Einflugschneise dicke Sahnetorten verspeist (Altensteinstraße 15a, Di–So ab 10 Uhr, sonntags mit Brunch). Genau wie ihre Bienen zieht sich auch die Imkerin gern mal zurück. Eine kleine Auszeit von der alltäglichen Rushhour findet sie in dem italienischen Eiscafé Dinos auf der Langenscheidtstraße 1 in Schöneberg. Von außen ist das rustikale Lokal unscheinbar und wenig einladend, so direkt an der Kreuzung am U-Bahnhof Kleistpark. Aber sitzt man drin, bleibt die Zeit stehen. Hier gibt es kein W-Lan und keine Hipster, nur guten Kaffee und leckere Sandwiches, serviert von zwei humorvollen Italienern, die das Café seit über 30 Jahren betreiben.

Mehr Berliner mit interessanten Geschichten haben Lucia Jay von Seldeneck und Verena Eidel recherchiert: „111 Berliner, die man kennen sollte“ ist vor Kurzem im Emons Verlag erschienen (240 Seiten, 16,95 Euro). Wir verlosen ein Exemplar unter checkpoint@tagesspiegel.de (bis 8.8.2016, 18 Uhr).

Unsere Serie: Die Serie Stadtmenschen im Sommer erscheint in Kooperation mit Checkpoint, dem täglichen Newsletter des Tagesspiegel-Chefredakteurs Lorenz Maroldt. In den Sommerferien erscheint der Checkpoint immer montags, derzeit geschrieben von Robert Ide, mit einem Stadtmenschen. Parallel dazu stellen wir die Menschen in der gedruckten Zeitung ausführlicher vor. Bisher erschienen: Kolumnistin Pascale Hugues und Bademeister Andreas Scholz. Nächste Folge: Model Günther Krabbenhöft. Den Checkpoint abonnieren können Sie unter: checkpoint.tagesspiegel.de

Stefanie Golla

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