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Sammler. Die Fühler sind elektrisch aufgeladen, sie ziehen den Pollen an. Mithilfe der Mundwerkzeuge verstauen die Bienen den Blütenstaub.
© FRANK FOX/SCIENCE PHOTO LIBRARY

Bienensterben: Majas Milben

Das Bienensterben kann gestoppt werden, meinen Berliner Forscher. Sie züchten besonders robuste Tiere. Ihnen können Infektionen mit Parasiten und Keimen weniger anhaben.

Zwischen den alten Obstbäumen ragt ein Türmchen in den Himmel, die hellgelbe Fassade der Villa spiegelt sich in einem Teich. Im Park sind historische Bienenkörbe ausgestellt, Stammkunden begrüßen sich in der Honigverkaufsstelle im Untergeschoss. Doch an diesem Augusttag hat die Idylle einen Kratzer. Die Zufahrt des Länderinstituts für Bienenkunde in Hohen Neuendorf bei Berlin ist von kleinen Kadavern übersät, selbst in den Fluren vor den Laboren liegen tote Honigbienen. Das Bienensterben, denkt man sofort. „Nein, hier geht alles mit rechten Dingen zu“, versichert der Institutsleiter Kaspar Bienefeld. Die Arbeiterinnen leben im Sommer nur 30 bis 35 Tage. Und weil das Institut viele Dutzend Stöcke beherbergt, ist die Zahl der Leichen entsprechend groß.

Bauern säen und pflanzen, Bienen bestäuben die Blüten und sorgen so für reiche Ernte: Gurken, Äpfel, Zwiebeln. Jahrhundertelang funktionierte dieses Zusammenspiel zwischen Mensch und Natur. Nun hakt es allerorten. Mitte der neunziger Jahre blieben in einer chinesischen Apfelanbauregion, nahe der Stadt Chengdu, plötzlich die Bienen aus. Seither bestäubt eine gigantische Schar von Wanderarbeitern die Blüten von Hand. In mehreren Schichten gehen sie mit Pinseln von Baum zu Baum. In den USA schieben Imker auf Bestellung ihre Bienenstöcke in große Trucks und transportieren sie zu den Landwirten. Die kalifornische Mandelernte wäre ohne sie verloren, Mandelbäume brauchen die fliegenden Helfer.

Die amerikanische Umweltbehörde beklagt seit 2006 den Zusammenbruch vieler Honigbienenvölker. Die Ursachen seien Krankheiten, Monokulturen, Pestizide und der Verlust der genetischen Vielfalt der Bienen. Aber auch der Transport der Tiere über weite Strecken verursache Stress und schwäche die Bienen weiter. Es ist ein Teufelskreis. Der Mangel an Bestäubern verschärft deren prekäre Situation noch weiter.

Der Bienenhandel brachte die Varroamilbe nach Deutschland

In Deutschland beklagt die Zunft ebenfalls Probleme mit dem drittwichtigsten Nutztier. Dass im Winter einige Insekten sterben, ist normal. Aber in den vergangenen Jahren, zuletzt 2012, waren es teilweise ein Drittel der Tiere. „Das ist nicht hinnehmbar“, sagt Bienefeld. Seit 1995 ist die Zahl der Bienenvölker hierzulande immer weiter zurückgegangen – von knapp einer Million auf einen Tiefststand von etwa 600 000 Völkern im Jahr 2009.

Für diese verheerende Entwicklung gibt es mehrere Gründe. Viele Imker können nicht mehr von ihrem Beruf leben oder sie geben aufgrund ihres Alters die Bienenzucht auf. Hinzu kommt die aus Russland stammende Varroamilbe.

Nach dem zweiten Weltkrieg begann der Bienenexport. Besonders russische Imker interessierten sich für die westliche Honigbiene. Sie liefert nicht nur mehr Honig, sondern ist auch verlässlicher. Das in Russland heimische Insekt, die östliche Honigbiene, reagiert unberechenbar auf Krankheiten. Ist die Brut mit der Varroamilbe befallen, verlässt das komplette Volk den Stock und lässt sich andernorts nieder. Der Reißaus der Tiere gefährdet die Existenz der Imker, deshalb holten sie die Verwandten aus dem Westen. Durch diese Transporte verschleppten die Händler die Varroamilbe nach Europa.

Das hat bis heute Konsequenzen. Jedes Bienenvolk in Deutschland ist mittlerweile von dem Parasiten befallen. Die Milben entwickeln sich in der Brut, sie saugen Blut und schädigen die Tiere, die dadurch mit verkrüppelten Flügeln aus den verdeckelten Zellen der Waben kriechen. Sie sind anfällig für eine Fülle anderer Krankheiten, die sich seither in den Stöcken verbreiten.

Wildbienen und Hummeln sind am meisten bedroht

Die Pilzkrankheit Nosemose schwächt die Tiere beispielsweise so sehr, dass sie flugunfähig werden und oft weit ab vom Stock sterben. Die amerikanische Faulbrut lässt die Brut buchstäblich verfaulen und rafft schließlich das ganze Volk dahin, weil der Nachwuchs ausbleibt. Sie ist so gefährlich, dass sie wie die Maul- und Klauenseuche beim Vieh den Behörden angezeigt werden muss. Die infizierten Insekten müssen in etlichen Bundesländern getötet werden.

Erst kürzlich fand die Mikrobiologin Elke Genersch von der Freien Universität Berlin heraus, wie der Erreger Paenibacillus larvae sich im Darm der Brut massenhaft vermehrt und sie schließlich umbringt. Das Bakterium produziert das Antibiotikum Paenilamicin, das die übrigen Siedler im Darm abtötet. „Es schaltet die Konkurrenz aus. Das ist ein wichtiger Schritt in der Krankheitsentstehung“, sagt Genersch. So hat der Keim das Territorium für sich alleine. Genersch konnte die molekulare Struktur der Paenilamicine, von denen es vier Varianten gibt, aufklären und hofft, dass sie und ihre Kollegen mit diesem Wissen „in absehbarer Zeit“ ein Mittel gegen die Krankheit entwickeln können.

Noch bedrohter als die Honigbienen sind Wildbienen und Hummeln. Weil sie nicht vom Menschen gehalten und vermehrt werden, sind sie ganz den sich verändernden Umweltbedingungen ausgeliefert. Ihre genetische Vielfalt schwindet seit Jahren rapide. Besonders in Regionen mit ausgeprägten Monokulturen, etwa in der Maisanbauregion Brandenburg, fliegen immer weniger Bienen. Der Mais bietet ihnen keine Nahrung, er wird durch den Wind bestäubt.

Flucht nach vorn: Forscher züchten varroatolerante Bienen

„Der Hauptgrund für das Bienensterben ist das Zusammentreffen von Varroamilbe, Nosema-Erregern und verschiedenen Zweitinfektionen mit Bienenviren, aber auch die zunehmende Belastung der Umwelt durch Pestizide“, sagt Peter Rosenkranz von der Landesanstalt für Bienenkunde der Universität Hohenheim. Sein Team konnte 20 bis 30 Pestizid-Wirkstoffe in den von Bienen gesammelten Pollen nachweisen. Zwar schädige dieser chemische Cocktail die Insekten nicht direkt. Er schwächt sie aber und macht sie wiederum anfälliger für Krankheiten.

Im vergangenen Herbst hat die Europäische Kommission vorsorglich für zwei Jahre Pestizide aus der Klasse der Neonicotinoide verboten. Schließlich können schon wenige Nanogramm für Bienen tödlich sein. Arbeiten verschiedener Forscher hatten zuvor nahegelegt, dass diese Wirkstoffe die Orientierung der Bienen beeinträchtigen können. Uwe Greggers, Neurobiologe an der Freien Universität Berlin, beobachtete zum Beispiel in Experimenten, dass der Tanz einzelner Bienen schon durch geringe Dosen der Pestizide verändert wird.

Das Länderinstitut für Bienenkunde in Hohen Neuendorf hat sich für die Flucht nach vorne entschieden. Seit zehn Jahren züchten die Forscher varroatolerante Bienen. Heimische Honigbienen haben zwei Putzstrategien gegen die Milben: Sind sie befallen, vollführen sie im Stock einen Tanz. Hastig wackeln sie mit dem Hinterleib hin und her. Nicht alle verstehen das Signal, und so tanzt die Biene schon mal minutenlang vor sich hin. Dann aber kommt eine Arbeiterin angeflogen und steigt auf das infizierte Tier. Dankbar spreizt es die Flügel ab und wird sorgsam geputzt. Die Milbe hat keine Chance.

Kleine Markierungen unterscheiden 2000 Tiere

Gegen die krabbelnden Parasiten hilft noch ein anderes Verhalten. Einige Bienen können anscheinend trotz des Wachsdeckels über der Brut riechen, welche Larven mit Milben befallen sind. Andere Krankheitserreger wie die amerikanische Faulbrut erschnüffeln sie ebenfalls. Sie öffnen dann den Deckel mit ihrem Mundwerkzeug, zerren den infizierten Nachwuchs heraus und werfen ihn rabiat aus dem Stock. „Wenn wir nur Bienen hätten, die die Zellen mit kranker Brut konsequent ausräumen, hätten wir das Problem gelöst“, sagt Bienefeld.

Unter tausenden Bienen sind oft weniger als eine Handvoll „varroawachsam“. Bienefelds Team hat deshalb Mitte der neunziger Jahre eine Methode entwickelt, diese auszusortieren und zu züchten. Auf den Brustkorb der Insekten kleben seine Mitarbeiter mit Nagellack kleine Metallplättchen, die rund oder verschieden eckig sind. In der Mitte steht eine Ziffer zwischen 1 und 9, die entweder auf 12 Uhr, 3 Uhr, 6 Uhr oder 9 Uhr steht. Mit dieser Markierung auf dem Rücken können die Wissenschaftler über 2000 Tiere unterscheiden.

„Wir lassen immer einige Dutzend bis hundert Tiere aus einem Volk gegen Mannschaften aus anderen Völkern antreten“, sagt Bienefeld. Damit die Bienen fünf Tage lang von einer Infrarotkamera gefilmt werden können, kommen sie in eine separate Wabe in einer dunklen Box, die im Garten des Instituts steht. Im hinteren Trakt des Institutsgebäudes sitzt eine Praktikantin, die den Blick auf einen Monitor mit umherwuselnden Bienen heftet. Sie wertet das Videomaterial aus und notiert, welche Biene mit welchem Plättchen auf dem Buckel die varroainfizierte Brut aus dem Stock geräumt hat. Diese Arbeiterinnen werden aussortiert.

Ein Gentest soll die mühselige Auslese ersetzen

Sie zu vermehren, ist nicht einfach. Normalerweise kann nur die Königin eines Volkes Eier legen. „Wir nutzen einen Trick, damit sind wir weltweit die Ersten“, sagt Bienefeld. Lässt man die Arbeiterinnen für drei bis vier Wochen ohne Königin leben, entwickeln sich ihre Eierstöcke, und sie können sich fortpflanzen. „Das klappt natürlich nicht immer. Aber ab und zu doch. Aus den unbefruchteten Eiern entstehen dann Drohnen. So werden die besten Bienen zu Vätern der nächsten Generation.“ Zugleich verfolgt sein Team, welche Mutter besonders viele abwehrbereite Kinder bekommen hat. Diese Tiere wählen die Forscher für die Paarung aus.

Die Zucht ist jahrelange harte Arbeit. Die besten Tiere müssen mit den Besten Nachkommen zeugen, so dass sich die genetischen Merkmale für eine Varroaabwehr immer weiter anreichern. „Die Völker, die wir jetzt haben, sind um Größenordnungen widerstandsfähiger gegenüber einem Milbenbefall als andere Honigbienen“, sagt Bienefeld. Der Parasit könne ihnen aber immer noch gefährlich werden. „Wir sind noch nicht am Ziel.“

Molekularbiologische Methoden sollen ab 2015 die Zucht beschleunigen. Denn im Erbgut der Bienen hat Bienefelds Team rund 20 Stellen ausgemacht, die mit vermehrter Varroaabwehr einhergehen. Ein bisschen Bienenblut für einen Gentest könnte den aufwendigen Wettstreit mit Plättchen auf dem Rücken ersetzen. Bald sollen Imker den Test in Form eines Chips kaufen können, damit sie selbst die besten Bienen in ihrem Stock vermehren können. „Es reicht nicht, wenn wir hier auf Varroatoleranz züchten. Je mehr Imker das tun, desto besser“, sagt Bienefeld.

Das Endzeitszenario lässt sich stoppen

Schon heute gibt das Institut seine widerstandsfähigsten Bienen jedes Jahr an Züchter ab, die damit immer robustere Tiere in den Stöcken haben. „Wenn wir Bienen von Imkern testen, sehen wir den Erfolg. Seit etwa zehn Jahren steigt die Fähigkeit zur Varroaabwehr“, sagt Bienefeld. Das Bienensterben, für manche der Vorbote eines Endzeitszenarios, lässt sich stoppen und eindämmen. Da ist sich der Forscher sicher.

Tatsächlich steigt seit fünf Jahren die Zahl der Bienenvölker in Deutschland wieder. „Die Entwicklung ist eindeutig positiv“, sagt Rosenkranz. Einer der wichtigsten Gründe: Die Medien haben den Menschen das kleine Tierchen wieder nahe gebracht. Viele junge Menschen imkern, wenn auch nur als Hobby. Den größten Bienenboom erleben deshalb im Moment die Großstädte. Verglichen mit dem Land finden die Bienen in den Parks, an Balkonen, in Gärten und in den Lindenalleen reichlich Pollen und Nektar. Allen voran geht Berlin. Über 700 Völker summen mittlerweile – übertönt vom Verkehrslärm – in der Hauptstadt der Bienen.

Susanne Donner

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