Kritik des Rechnungshofs zeigt Wirkung: Im Streit um Berlins Schulden will Kollatz die Neuaufnahme splitten
Der Finanzsenator bleibt dabei: Steuerausfälle und Corona-Ausgaben sollen bei der Kreditaufnahme unterschiedlich behandelt werden.
Die Kritik des Landesrechnungshofs an der Schuldenpolitik von Rot-Rot-Grün zeigt offenbar Wirkung. Die Regierungsfraktionen SPD, Linke und Grüne wollten eigentlich noch in diesem Jahr sechs Milliarden Euro Kredite aufnehmen und sich viel Zeit lassen, um die neuen Schulden zu tilgen. Die Koalition begründete dies ausschließlich mit einer „außergewöhnlichen Notsituation“. Dies macht es rechtlich möglich, einen großzügigen Tilgungsplan aufzustellen, der sich über 27 Jahre erstrecken soll.
Aber Finanzsenator Matthias Kollatz (SPD) hat andere Pläne, um die Neuverschuldung zur Bekämpfung der Pandemiefolgen rechtssicher und weniger risikoreich zu gestalten. Er beruft sich dabei auf den Rechnungshof und hat die Unterstützung des Senats, der am vergangenen Dienstag nicht nur eine lange Liste zusätzlicher Ausgaben beschloss, sondern auch eine „Anpassung der Kreditaufnahme“.
Notfallbedingt sollen demnach bis Ende 2021 „nur“ 3,8 Milliarden Euro neue Schulden gemacht werden. Die übrigen 2,2 Milliarden Euro, die nach derzeitigem Stand benötigt werden, sind als „konjunkturbedingte Schuldenaufnahme“ geplant. Davon 1,53 Milliarden Euro in diesem und weitere 650 Millionen Euro im nächsten Jahr.
Die reduzierten Notfallkredite sollen nach wie vor ab 2023 über 27 Jahre zurückgezahlt werden. Das belaste den Landeshaushalt mit jährlich 141 Millionen Euro, teilte die Finanzverwaltung auf Anfrage mit.
Konjunkturbedingte Kredite werden wohl schneller zurückgezahlt
Dagegen müssen die konjunkturbedingten Schulden getilgt werden, wenn der Haushalt im nächsten wirtschaftlichen Aufschwung wieder Überschüsse erwirtschaftet. Die Berechnung, die sich am Schuldenbremse-Gesetz orientiert, ist sehr kompliziert. Aber es ist davon auszugehen, dass diese Kredite kurzfristiger und in größeren Raten zurückfließen als die notfallbedingten Schulden.
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Der Senat beruft sich in seinem Entwurf für einen zweiten Nachtragshaushalt ausdrücklich auf die Stellungnahme des Landesrechnungshofs vom 23. Juli, der die pauschale Kreditermächtigung der rot-rot-grünen Mehrheit im Parlament über sechs Milliarden Euro sowie den langfristigen Tilgungsplan scharf rügte und eine klare Trennung von konjunktur- und notfallbedingter Verschuldung forderte.
Es müsse erkennbar sein, welcher Kreditanteil für die Coronabekämpfung und welcher Anteil für den Ausgleich von konjunkturbedingten Steuerausfällen verwendet werde, so die Rechnungsprüfer.
"Ein Punkt, über den sich substanziell diskutieren lässt"
Schon im ersten Nachtragsetat wollte der Senat so verfahren, doch die Regierungsfraktionen kassierten Anfang Juni diesen Vorschlag des Finanzsenators kurzerhand ein. Im August, als der Hauptausschuss des Abgeordnetenhauses über den strengen Prüfbericht des Rechnungshofs diskutierte, räumte der Haushaltsexperte der Linken, Steffen Zillich allerdings ein, dass die Koalitionsfraktionen mit ihrer umstrittenen Strategie „Neuland betreten“ hätten. Und der SPD-Haushälter Torsten Schneider sprach von einem „Punkt, über den sich substanziell diskutieren lässt“.
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Bei den bevorstehenden Beratungen des zweiten Nachtragshaushalts wird sich zeigen, ob die Fraktionen nachdenklich genug geworden sind, um auf den Kurs von Senat und Rechnungshof einzuschwenken. In einem sind sich alle einig: Ums Schulden machen kommt auch Berlin in dieser Ausnahmesituation nicht herum.
FDP: Rot-Rot-Grün missbraucht den Stopp der Schuldenbremse
Das wird sich auch am Dienstag zeigen, wenn der Senat voraussichtlich die Finanzplanung für den Zeitraum 2020 bis 2024 beschließt. Im Interview mit der Berliner Morgenpost deutete Finanzsenator Kollatz an, dass auf Initiative der Regierungssfraktionen die Kreditermächtigung noch um 300 bis 600 Millionen Euro erhöht werden könnte, um eine "Vorsorge" für die Haushaltsjahre 2022 und 2023 einzubauen.
Denn aus Sicht der Koalition soll auch in der nächsten Legislaturperiode, die nach der Wahl im Herbst 2021 beginnt, bei den öffentlichen Ausgaben nichts gekürzt, sondern höchstens neue Projekte verschoben werden. Die FDP-Haushaltsexpertin Sibylle Meister warf Rot-Rot-grün vor, die pandemiebedingte Aussetzung der Schuldenbremse zu missbrauchen, um "völlig ungeniert weitere Schulden zu machen" und ihre "ideologiegetriebenen Projekte" finanziell abzusichern.
Schuldscheine und Anleihen sind preiswert zu haben
Wie üblich würden die Kredite am Kapitalmarkt über Schuldscheindarlehen und Anleihen aufgenommen, so die Sprecherin des Finanzsenators. Trotz des großen Finanzbedarfs weltweit kommen Bund und Länder an frisches Geld äußerst günstig heran. Vorerst jedenfalls. Wie sich die historisch niedrigen Zinssätze mittelfristig entwickeln werden, darüber streiten die Experten.
Durch Umschichtung der Kredite, vor allem auf preiswerte und großvolumige Anleihen mit langer Laufzeit, zahlt das Land Berlin auf seinen Schuldenberg von 57,5 Milliarden Euro durchschnittlich nur noch zwei Prozent Zinsen. In den neunziger Jahren waren es über fünf Prozent. Und in den vergangenen elf Jahren konnte Berlin immerhin 5,4 Milliarden Euro Schulden abbauen. Wie gewonnen, so zerronnen.
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