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Auf acht Seiten begründet der Berliner Landesrechnungshof, warum die Kreditaufnahme der rot-rot-grünen Landesregierung rechtswidrig ist.
© Tobias Hase/dpa

Ist der Sechs-Milliarden-Kredit verfassungswidrig?: Rechnungshof rügt Berliner Schuldenpolitik

Der Nothaushalt widerspricht den gesetzlichen Vorschriften. Die Aufsichtsbehörde droht mit weiteren Prüfungen. 

In einer achtseitigen Stellungnahme hat der Landesrechnungshof dem Abgeordnetenhaus mitgeteilt, dass die von Rot-Rot-Grün beschlossene Kreditaufnahme bis zu sechs Milliarden Euro den gesetzlichen Vorschriften widerspricht und möglicherweise sogar verfassungswidrig ist.

Kritisiert wird vor allem, dass die zusätzliche Verschuldung nur mit einer „außergewöhnlichen Notsituation“ begründet wurde. Nach dem Berliner Schuldenbremse-Gesetz hätte zuerst eine „konjunkturbedingte Kreditaufnahme“ geprüft werden müssen.

Dies hatte Finanzsenator Matthias Kollatz (SPD) ursprünglich vorgeschlagen, aber die Regierungsfraktionen SPD, Linke und Grüne kassierten mit ihrem Beschluss zum ersten Nachtragshaushalt 2020 den Senatsentwurf.

Bei einer konjunkturbedingten Verschuldung wäre es nämlich nicht möglich gewesen, die Kredite über den langen Zeitraum von 27 Jahren zurückzuzahlen, wie es die Koalition beschlossen hat. Solche Schulden hätten bereits im nächsten wirtschaftlichen Aufschwung zurückgeführt werden müssen.

Der lange Tilgungszeitraum berge angesichts des ohnehin hohen Schuldenstandes erhebliche Risiken für den Landeshaushalt, heißt es beim Rechnungshof. Ein weiterer Kritikpunkt: Die Kreditermächtigung über sechs Milliarden Euro hätte nicht pauschal erfolgen dürfen, sondern getrennt nach Haushaltsjahren – und zwar jeweils „nur in Höhe des zu erwartenden pandemiebedingten Bedarfs“. Bisher sei nicht erkennbar, auf welchen Zeitraum sich die Kreditaufnahme insgesamt beziehe.

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Unklar sei bisher auch, schreiben die Finanzkontrolleure des Landes Berlin, welcher Kreditanteil für die Bekämpfung von Corona und welcher Anteil für den Ausgleich von Steuerausfällen verwendet werden soll. Dies müsse transparent ausgewiesen werden. Bisher ist es das nicht. Deshalb wurden den Haushältern des Landesparlaments weitere Prüfungen angedroht.

Schulden nur in Notsituation

Der Rechnungshof erwartet auch, dass öffentliche Ausgaben, die ab 2020 über Schulden finanziert werden, „nur insoweit und solange geleistet werden, wie sie für die Bewältigung der Notsituation erforderlich sind“.

Mit dieser Forderung zielen die Rechnungsprüfer auf Pläne der Koalition, eine milliardenschwere Rücklage für die nächsten Jahre zu bilden, die sich aus nicht benötigten Coronaschulden, aber auch aus künftigen Haushaltsüberschüssen speisen soll.

Berlins Finanzsenator Kollatz stimmt die Öffentlichkeit auf einen Sparkurs ein. Die Koalition will lieber Kredite aufnehmen.
Berlins Finanzsenator Matthias Kollatz.
© Christophe Gateau/dpa

Weil diese Rücklage zeitlich unbegrenzt sei, heißt es in der Stellungnahme, „sind auch dann noch Ausgaben aus der Rücklage möglich, wenn keine Maßnahmen zur Bewältigung der Notsituation mehr erforderlich sind“. Dass nur der Hauptausschuss des Abgeordnetenhauses die Verwendung der Mittel aus der neuen, großen Reserve kontrollieren soll, findet der Landesrechnungshof bedenklich. Inhaber des parlamentarischen Budgetrechts sei das Parlament, nicht ein einzelner Ausschuss.

Opposition könnte Corona-Haushalt vor dem Landesverfassungsgericht überprüfen lassen

Juristisch gefährlich könnte der Koalition der Hinweis des Berliner Rechnungshofs werden, dass der Anfang Juni von SPD, Linken und Grünen gefasste Beschluss zur Feststellung einer „außergewöhnlichen Notsituation“ mit einer grundgesetzwidrigen Norm begründet wird.

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Im Parlamentsbeschluss steht, dass die Nettokreditaufnahme die öffentlichen Investitionsausgaben überschreiten dürfe, wenn dies der „Abwehr einer Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts“ diene. Seit Einführung der Schuldenbremse in Bund und Ländern ist diese Verfassungsbestimmung aber obsolet.

Die Frage ist nun, ob die Oppositionsfraktionen des Abgeordnetenhauses diese Stellungnahme des Rechnungshofes nutzen, um den Corona-Haushalt vor dem Landesverfassungsgericht überprüfen zu lassen. Das gab es schon. Wegen „schwerer handwerklicher Fehler“ wurde der Landeshaushalt 2002/2003 für verfassungswidrig erklärt. CDU und FDP äußerten sich bislang noch nicht, die AfD sprach am Dienstag von einer „schallenden Ohrfeige“, die der Rechnungshof der Koalition verpasst habe. 

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