Berliner Clubszene: Im steten Kampf gegen die Verdrängung
Mehr Unterstützung für die Clubkultur: Dafür kämpft Gretchen-Betreiberin Pamela Schobeß seit Jahren. Jetzt ist sie Chefin der Berliner Clubkommission.
Obwohl es mitten in der Stadt liegt, unweit vom durchgentrifizierten Bergmannkiez, hat das Dragoner-Areal in Kreuzberg seinen Industriegebietscharakter noch nicht verloren. Neben einem LPG-Biomarkt, der den Charme einer Tankstelle versprüht, und einem gut besuchten Parkplatz liegt der Club Gretchen. Am Wochenende stehen hier gewöhnlich zahlreiche Menschen Schlange, in der Hoffnung auf eine Nacht voller Spaß und guter Musik, während der Bass verheißungsvoll nach draußen dröhnt. Jetzt, an einem Nachmittag unter der Woche, wirkt der Ort umso verlassener, irgendwie surreal.
Pamela Schobeß öffnet die große schwarze Eingangstür und bittet herein. Sie ist Betreiberin des Gretchens und seit Ende November neue Vorstandsvorsitzende der Clubcommission. Die Organisation kümmert sich um die Belange der Berliner Clubszene; ihre Mitglieder sind Clubbetreiber, Festivalveranstalter und andere Menschen, die etwas mit der Gestaltung des Berliner Nachtlebens zu tun haben.
Die Clubcommission wird weiblicher
Eine der großen Errungenschaften der Clubcommission ist der Schallschutzfonds, für den der Berliner Senat eine Million Euro zur Verfügung stellte. Seit dem 28. November können Clubbetreiber wie berichtet eine Förderung beantragen, um in ihrem Club Schallschutzmaßnahmen anzubauen. Wohnen und Feiern sollen dadurch besser mit- und nebeneinander funktionieren.
Die neue erste Vorsitzende Schobeß war zuvor zwei Jahre lang zweite Vorsitzende, hat also bereits Erfahrung mit der Arbeit der Clubcommission und auch mit den politischen Strukturen im Senat – auch durch ihren aktiven Einsatz im Streit um das Dragoner-Areal. Viel ändern soll sich mit ihr als neuer Vorsitzenden nicht. Dass die Clubcommission im eher männlich dominierten Nachtleben jetzt eine Chefin hat, ist ja auch schon ein Zeichen.
Mit kriminellen Clans hat die Berliner Clubszene nichts zu tun
1993 kam Schobeß aus einer westdeutschen Kleinstadt nach Berlin, machte zunächst eine Ausbildung bei der Bank und studierte dann Kommunikations-, Politik- und Filmwissenschaften. Sie ist 44, wirkt aber jugendlich, was nicht nur an ihren orange und rosa gefärbten Haaren liegt, sondern auch daran, dass sie immer wieder von „den Erwachsenen“ spricht. Sie meint damit diejenigen, die nicht in Clubs gehen, vielleicht noch nie in einem waren, die keine Vorstellung davon haben, was Nachtleben und Clubkultur bedeutet. Dass dahinter nicht nur Spaß und Alkohol stecken, sondern auch harte Arbeit.
Die Erwachsenen, das sind Leute wie Friedrich Merz, der beinahe neuer CDU-Vorsitzender geworden wäre, und der jüngst vorschlug, man solle vor die Clubtüren der Großstädte doch Polizisten stellen anstatt Türsteher. So könne man Clanstrukturen zerschlagen und Kriminalität bekämpfen. Merz erntete für seinen Vorschlag Kritik von allen Seiten – zu Recht, wie Schobeß findet.
Das große Problem sei, dass viele Leute einfach nicht in der Lage seien, zwischen Club und Großraumdisko zu unterscheiden. „Mir fällt kein einziger Club in Berlin ein, der irgendwas mit Clans zu tun hat“, sagt sie. „Das mag, ich kenne mich da nicht aus, ein Diskotheken-Thema sein – ein Clubthema ist es jedenfalls nicht.“ Clubs, das seien Orte der Kreativität, an denen Subkultur entsteht und gelebt wird. Schutzräume für ein Vergnügen, das in der breiten Öffentlichkeit keinen Raum oder keine Akzeptanz findet.
Schobeß engagiert sich vor allem gegen Verdrängung
Mit Clubs kennt Schobeß sich aus, ebenso mit Verdrängung. 1997 eröffnete sie in Prenzlauer Berg das Icon, das 15 Jahre später wegen Lärmbeschwerden der neuen Anwohner schließen musste. Seit 2011 betreibt sie das Gretchen auf dem Dragoner-Areal und muss auch hier darum bangen, „weggentrifiziert“ zu werden. Verdrängung ist auch das große Thema der Clubcommission. Denn durch die Wohnbebauung in der Stadt fürchten immer mehr Clubs, ihre Räume verlassen zu müssen.
Schallschutzmaßnahmen seien da ein Hilfsmittel, sagt Schobeß, aber nicht die Lösung. Man könne nicht alles mit Lärmschutzmaßnahmen ausbügeln, die Leute müssen in den Club rein- und auch wieder rausgehen. Das Einzige, was da wirklich helfe, sei strategisch kluges Bauen. Und ein Bewusstsein dafür zu schaffen, wie wichtig die Clubszene für Berlin ist.
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„Natürlich ist es auch wichtig, Wohnraum zu schaffen“, sagt Schobeß. „Aber eben nicht nur. Die Clubs ziehen viele Kreative an, machen die Stadt dadurch bunt und attraktiv. Start-ups, aber auch viele große Firmen kommen nach Berlin, weil sie hier besser junge Leute anstellen können, weil es hier viel kreatives Potenzial gibt“, sagt sie.
Dass sich mit der Berliner Clubszene gut werben lässt, hat die Marketingabteilung des Senats schon vor Jahren erkannt. „Trotzdem hat man uns am Anfang eher Steine in den Weg gelegt als uns zu helfen“, sagt Schobeß. Mittlerweile habe sich das jedoch gebessert, was Projekte wie der Schallschutzfonds zeigten.
Clubkultur steht für Offenheit und Toleranz
Schutz braucht die Clubkultur auch, weil sie selbst zur Gentrifizierung, von der sie bedroht ist, beiträgt: Ein Club macht auf, es kommen kreative Leute, dann Investoren, die Mietpreise steigen, ein neues Klientel wird angezogen, das in einem hippen Viertel leben will, gleichzeitig aber nicht gegenüber von einem Club wohnen möchte, weil es da laut ist. „Im Grunde schaufeln wir uns da, ohne es zu wollen, unser eigenes Grab. Deshalb ist es so wichtig, dass die Politik mithilft“, sagt Schobeß.
Die Erhaltung von Berlins Clubkultur sei auch nicht nur für diejenigen entscheidend, die dort selbst hingehen. Oder für die Unternehmen und Easyjetset-Feier-Touristen, die Geld in die Stadt bringen. Die Clubkultur ist eine Brutstätte für subkulturelle Strömungen. Und mit Blick auf ihre Entwicklung nach dem Mauerfall, als jede Woche an einer neuen Stelle ein temporärer Club aus dem verlassenen Beton wuchs, ein wichtiger Teil der Stadtgeschichte.
Clubkultur stehe auch für Offenheit und Toleranz, was man im Sommer an der von Clubs organisierten Großdemonstration „AfD wegbassen“ sehen konnte. Doch auch Clubs sind nicht frei von Ausgrenzung. Rein kommt nur, wer es sich leisten kann, wer cool genug ist. Trotzdem: Die kleinen Clubs mitten in der Stadt, die Freiräume sind das, was Berlin von den meisten anderen Metropolen unterscheidet.
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