Historische Mitte Berlins: Im Klosterviertel wird wieder gebuddelt
Die Stadtreparatur an Molkenmarkt und Klosterviertel hat begonnen. Es ist das größte Berliner Grabungsprojekt seit dem Mauerfall.
Unter den Gehwegplatten, Bauminseln und Asphaltflächen lauert die Geschichte. Die Stadtarchäologen stehen schon in den Startlöchern, es wird ihr größtes Grabungsprojekt seit der Wende. 25.000 Quadratmeter Untersuchungsfläche, größer als am Schlossareal und am Petriplatz, eine riesige Herausforderung. Was sie finden werden? Vielleicht Reste des Hauses zur Rippe am Molkenmarkt, erstmals erwähnt 1504.
Das erste Großprojekt zur Reparatur der von Krieg und Nachkriegsplanung zerstörten Historischen Mitte Berlins ist in aller Stille angelaufen: der Wiederaufbau von Klosterviertel und Molkenmarkt. Ziemlich unbemerkt wurden für die Verlegung von Grunerstraße und Stralauer Straße bereits einige Dutzend Bäume gefällt, darunter acht große Platanen und Linden sowie chinesische Wildbirnen direkt hinter dem Roten Rathaus an der Gustav-Böß-Straße. Dort sollen demnächst Leitungsarbeiten beginnen. Die Kastanien am Molkenmarkt müssen irgendwann auch noch fallen, damit auf den trostlosen Parkplätzen und windumtosten Verkehrsinseln eine Stadt wachsen kann, wie sie bis zu den Planungen der Nazis und den Bomben der Alliierten mal existiert hat.
Drei große Neubaublöcke sind geplant
Zwischen Klosterruine und Altem Stadthaus wirkt die Innenstadt wie ein ausgefranster Teppich. Die Grunerstraße lässt Lärm und Abgase ungefiltert in die offenen Stümpfe eines kriegsversehrten Viertels dringen, das dem Auge wenig zu bieten hat. Diese Wunden sollen durch drei große Neubaublöcke geschlossen werden, in deren öffentlich zugänglichen Höfen neue Urbanität entstehen soll. Die laute Grunerstraße wird direkt hinter die Rathauspassagen verlegt und durch Blockrandhäuser abgeschirmt.
Für die Mitarbeiter im Roten Rathaus allerdings fällt der abschirmende Parkplatz-Puffer weg. „Die bekommen dann Lärmschutzfenster“, erklärt Manfred Kühne, Abteilungsleiter Städtebau in der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung. Im Rahmen des MakeCity Festivals führte Kühne in der vergangenen Woche interessierte Berliner durch das künftige Baugebiet.
Die Neubauten können allerdings frühestens in vier Jahren in Angriff genommen werden, so lange sollen die Straßenverlegungen dauern – Kosten: 18 Millionen Euro. Es wird in Etappen gebaut, damit der Verkehr weiter fließen kann und den Archäologen genügend Zeit zum Graben bleibt. Auch die Nebenstraßen im Quartier werden erneuert. Künftig soll die Gruner(schnell)straße durch Fußgängerfurten im Verlauf von Jüdenstraße und Klosterstraße sowie an der neuen Einmündung in die Spandauer Straße gebändigt werden. Allerdings bleibt sie als sechsspurige Verbindungsstraße erhalten, inklusive einer Mitteltrasse für eine spätere Tramverbindung zwischen Potsdamer Platz und Alexanderplatz.
Nazi-Pläne, alliierte Bomben und DDR-Stadtplaner zerstörten das Viertel
Die Zerstörung der historisch gewachsenen Stadt lässt sich etwa zu gleichen Teilen den Nazis, den Bombern und den Stadtplanern der DDR anlasten. Die Nazis hatten am Molkenmarkt ein kommunales Verwaltungszentrum geplant, erzählt Kühne, dafür wurden etliche Bürgerhäuser enteignet und abgeräumt. Die Neugestaltung kam nicht weit, nur das „Neue Stadthaus“ (heute Feuersozietät) in der Parochialstraße entstand. Nach der Trümmerbeseitigung wuchs der Molkenmarkt zu einer riesigen Brache, auf der DDR-Stadtplaner einen großen Kreisverkehr erdachten, der dann aber zugunsten einer platzverschwendenden Megakreuzung entfiel.
Auf den angrenzenden Flächen wurde nur ein schlichter Zweckbau neu errichtet, das ehemalige Fernmeldeamt Ost an der Klosterstraße. Hinter den langen Fensterbändern des Büroriegels wird seit Jahren Theater gespielt und Kunst produziert. Das „Atelierhaus Klosterstraße“ ist eine prekäre Zwischennutzung. Hausverwalter Thomas Prilop beklagt zunehmenden Druck des österreichischen Eigentümers. Sollte das Haus verkauft werden, müssten die Künstler raus. Kühne berichtet von Verhandlungen über einen Grundstückstausch, doch Prilop fürchtet, dafür reiche die Geduld des Investors nicht.
Das Bürohaus steht weit hinter der alten Straßenkante, damit Platz für Parkplätze bleibt. Was in den siebziger Jahren innovative Stadtplanung war, steht heute der Rekonstruktion des historischen Stadtgrundrisses im Weg. Das Haus muss weg, aber die Nutzer sollen bleiben, sagt Kühne. Sie sind ein wichtiger Faktor zur späteren Belebung des Neubau-Viertels. Die Architektur in der ehemaligen Berliner Altstadt wünschen sich die Stadtplaner zeitgenössisch, bloß keine Nostalgiewelle wie im Nikolaiviertel. Blicke in die Siedlungsgeschichte durch archäologische Fenster sind aber sehr erwünscht.
Als die Planungen zur Rekonstruktion vor mehr als 15 Jahren auf den Weg gebracht wurden, war Berlin fast pleite und konnte sich solche Projekte gar nicht leisten. Damals sollte der Verkauf der neuen Baugrundstücke, die größtenteils dem Land gehören, das nötige Geld einspielen.
Inzwischen ist Berlin reich. Ein großer Teil der Grundstücke soll in städtischer Hand bleiben, von den geplanten 440 Wohnungen werde mindestens die Hälfte durch die Wohnungsbaugesellschaften Degewo und WBM errichtet, erklärt die Bauverwaltung. Während die Wohnungen vorwiegend in den Höfen entstehen, bleibt an den Straßen viel Platz für Geschäfte, Galerien, Cafés und Kunstproduktion. Und für das älteste Antikriegsmuseum der Welt, das 1925 am Großen Jüdenhof eröffnet wurde. Kühne möchte es dorthin zurückbringen.
Unklar ist derzeit, ob das Evangelische Gymnasium zum Grauen Kloster an seinem ursprünglichen Standort an der Klosterkirche eine Dependance errichten kann. Die Rückübertragung des Grundstücks an eine Stiftung ist seit Jahren strittig. Im Bebauungsplan ist ein massiver Schulneubau vorgesehen, der in einem Gutachten des Architekturbüros Philipp Oswalt von 2016 kritisch beleuchtet wird. Die Schulgebäude rückten zu nah an die Klosterruine heran, „es droht eine ähnliche Situation wie an der Friedrichwerderschen Kirche“, sagt Kilian Enders vom Büro D/Form, das Vorschläge für eine Rekonstruktion des Kreuzgangs und eine Überdachung der Ruine vorgelegt hat. Damit sei man bei den Denkmalschützern im Bezirk aber nicht durchgedrungen.
Die Klosterruine ist der sensibelste Bereich des Quartiers. Der älteste Backsteinbau der Stadt ist nur noch der klägliche Rest einer großen Klosteranlage. Wenn die Archäologen hier beginnen, Fundamente freizulegen, könnte eine Eigendynamik entstehen, sagt Kühne, die wie am Petriplatz zu erheblichen Umplanungen führt.
Auch Phase zwei des Bürgerdialogs zur Historischen Mitte, die im September beginnen soll, könnte die Planungen ins Wanken bringen. Der Dialogprozess umfasste bisher nur das ehemalige Marienviertel nördlich des Rathauses. Im zweiten Schritt soll nun auch der Stadtraum Molkenmarkt und Klosterviertel diskutiert werden, dessen Überbauung eigentlich schon beschlossen ist.