Investitionsstau in der Hauptstadt: Im Geldausgeben ist Berlin ganz schlecht
Kaputte Straßen, marode Schulen, veraltete Sportstätten – das Land Berlin benötigt große Investitionen. Warum werden dafür bereitgestellte Millionen nicht abgerufen? Die wichtigsten Fragen und Antworten.
In Berlin müssten etwa 15 Milliarden Euro investiert werden, um die öffentliche Infrastruktur wieder in Ordnung zu bringen. Im Berliner Wahlkampf, der allmählich Fahrt aufnimmt, spielt dieses Problem allerdings kaum eine Rolle. Nur die Diskussion über die Sanierung der maroden Schulen ist wieder aufgeflackert. Regierungs- und Oppositionsparteien legten deshalb Vorschläge für Schulsanierungsprogramme vor, damit die Eltern ihren Ärger nicht auf dem Wahlzettel austoben. Auch das „Sondervermögen Infrastruktur der wachsenden Stadt“ (Siwa), in dem 691 Millionen Euro stecken, soll beim Abbau des Sanierungsstaus helfen. Doch bisher wurden, wie berichtet, nicht einmal zehn Prozent der Mittel ausgegeben, obwohl das Programm schon vor eineinhalb Jahren beschlossen wurde.
Welche Investitionen sind in Berlin nötig?
Das größte Problem sind tatsächlich die Schulen. Nach jüngsten Schätzungen der Berliner Bezirke müssen fünf Milliarden Euro in Sanierung, Neu- und Umbau investiert werden. Den Hochschulen und Universitäten fehlen zwei Milliarden Euro, den Krankenhäusern 1,7 Milliarden Euro, um Gebäude und technische Infrastruktur zu erneuern. Für die Sanierung der Berliner Straßen werden 1,3 Milliarden Euro benötigt, für U-Bahn und Straßenbahnen 800 Millionen Euro. Der Investitionsstau bei den Berliner Sportstätten wird auf 200 Millionen Euro geschätzt, die öffentlichen Bäder benötigen 100 Millionen Euro. Ebenfalls 100 Millionen Euro werden gebraucht, um die städtischen Kitas zu sanieren.
Diese Zahlen sind teilweise umstritten. Doch im Grundsatz sind sich Politik, Wirtschaft und Berliner Bürger einig, dass die hauptstädtische Infrastruktur einer Runderneuerung bedarf. Der Landesrechnungshof mahnte im Jahresbericht 2016 eine „verstärkte Investitionstätigkeit des Landes Berlin als notwendig an, um die infrastrukturelle Basis für die Zukunft zu sichern“. Auch die Unternehmensverbände Berlin-Brandenburg (UVB) forderten Anfang des Jahres in einem Strategiepapier „höhere Investitionen angesichts der wachsenden Stadt“. Es müsse mehr öffentliches Geld in Straßen und Schienen, aber auch in Schulen, Hochschulen, Kitas und die digitale Infrastruktur fließen.
Wie viel investiert das Land tatsächlich?
Der Anteil der Investitionen im Landeshaushalt ist nach der Vereinigung von 19,4 Prozent (1991) auf 7,4 Prozent (2015) gesunken. Seit Jahren schon verharrt die öffentliche Investitionsquote auf diesem extrem niedrigen Niveau, obwohl sich die Finanzlage Berlins – wegen hoher Steuereinnahmen und niedriger Kreditzinsen – spürbar verbessert hat. Im bundesweiten Vergleich ist die deutsche Hauptstadt das Schlusslicht. Auch die Haushaltsexperten der Regierungsparteien SPD und CDU wissen, dass Berlin dies nicht mehr lange durchhalten kann, ohne die öffentliche Infrastruktur der Stadt nachhaltig zu schädigen.
Trotzdem plant der Berliner Senat auch für die nächsten Jahre nur eine Investitionsquote von etwa 7 Prozent ein. Mit eher sinkender Tendenz. In absoluten Zahlen sind das jährlich rund 1,7 Milliarden Euro. Dahinter verstecken sich aber viele verschiedene Posten. Der Anteil der Ausgaben, die das Land Berlin für echte Bauprojekte zur Verfügung stellt, beträgt im Jahresdurchschnitt lediglich 250 Millionen Euro. Mal etwas mehr, mal etwas weniger. In jedem Fall handelt es sich, bei einem Haushaltsvolumen von über 20 Milliarden Euro, um recht überschaubare Summen.
Verschärfend kommt hinzu, dass die eingeplanten Investitionsmittel nicht vollständig ausgegeben werden. Vor allem den Bezirken fällt es schwer, die vorhandenen Gelder auch zu verbauen. Die Ausschöpfungsquote lag im vergangenen Jahr bei 70 Prozent. Völlig überfordert zeigen sich jetzt die Bezirks-, aber auch die Senatsverwaltungen, die zusätzlichen Mittel aus dem landeseigenen Sonderfonds SIWA zügig auszugeben. Ein Teil der Mittel wird voraussichtlich erst im nächsten Jahrzehnt für Sanierungs- und Neubaumaßnahmen verwendet.
Wie läuft es in anderen Bundesländern?
Schwierigkeiten mit Investitionen gibt es eigentlich überall. Zwar gibt es keine „Ranglisten“, welche Länder besser wirtschaften und schneller bauen und sanieren. Doch gilt in Länderkreisen Bayern eher als Musterland, wenn es darum geht, zum Beispiel die Bundesmittel für Verkehrsinvestitionen in eigene Projekte zu lenken. Andererseits wird der Regierung in Nordrhein-Westfalen gern vorgeworfen, dass sie hier eine schlechtere Bilanz hat – was in Düsseldorf natürlich anders gesehen wird. Mit Blick auf Berlin verweisen Ökonomen bisweilen darauf, dass der starke Personalabbau in früheren Jahren heute ein gewisses Investitionshemmnis darstelle, weil zu wenig jüngere Mitarbeiter in den Dienststellen arbeiten, die somit überaltert sind.
Es kommt auch hinzu, dass das Planungsrecht und die technischen Anforderungen zumindest bei größeren Projekten heute anspruchsvoller sind als früher – was das Geldausgeben nicht eben beschleunigt. „Es wird immer schwieriger, Investitionsprojekte voranzubringen und die Mittel entsprechend auszugeben“, sagt Klaus-Heiner Röhl vom Institut der deutschen Wirtschaft in Köln. Daher bleibt immer häufiger Geld in Töpfen liegen und verfällt auch oft, wenn die Mittel nicht abfließen. Auch aus diesem Grund hat der Bundestag vor einem Jahr beschlossen, dass einmal gewährte Mittel nicht zum Jahresende verfallen, wenn Länder sie nicht abgerufen haben, sondern – der Fachbegriff lautet „Überjährigkeit“ – in den Etat des folgenden Jahres übernommen werden.
Warum wird das Geld so wenig abgerufen?
Warum gibt es in Berlin den Sonderinvestitionstopf Siwa?
Seit 2012 muss das Land Berlin keine Schulden mehr machen, sondern erwirtschaftet im Haushalt jedes Jahr dreistellige Überschüsse. Dieses Geld wurde zunächst komplett dafür verwendet, den Berliner Schuldenberg von etwa 60 Milliarden Euro abzubauen. Doch im Spätherbst 2014 rangen sich die Koalitionsfraktionen SPD und CDU dazu durch, die Hälfte der Überschüsse in ein landeseigenes Sondervermögen zu stecken, das helfen soll, den Sanierungsstau zu verringern und die öffentliche Infrastruktur der explosiv wachsenden Stadt Berlin auszubauen. Im Dezember 2014 wurde der gesetzliche Rahmen für das Sondervermögen Siwa beschlossen und bis Mitte 2015 lieferten die Senats- und Bezirksverwaltungen Projekte zu, die in die Philosophie von Siwa passen und zügig realisierbar sein sollten.
In das Programm Siwa I flossen Haushaltsüberschüsse in Höhe von 496 Millionen Euro, es folgte Anfang dieses Jahres Siwa II mit weiteren 195 Millionen Euro. Die Bestückungsliste für das Anschlussprogramm war koalitionsintern lange umstritten. Der Streit wurde erst im März 2016 endgültig beigelegt und auf der Liste der Neubau-, Umbau- und Sanierungsmaßnahmen standen letztendlich 241 Einzelmaßnahmen. Verteilt auf alle zwölf Bezirke, die 121,4 Millionen Euro Siwa-Gelder ausgeben sollen und auf die Hauptverwaltung, die 569,8 Millionen Euro verbauen kann.
Es sieht auch so aus, als wenn das Siwa-Vermögen weiter aufgestockt werden kann, denn schon im ersten Halbjahr 2016 belief sich der Haushaltsüberschuss der Hauptstadt nach Angaben des Bundesfinanzministeriums auf 500 Millionen Euro. Demnach dürfte am Jahresende ein zusätzlicher dreistelliger Millionenbetrag für Investitionen zur Verfügung stehen.
Warum wird das Geld so wenig abgerufen?
Der zweite Controlling-Bericht der Senatsfinanzverwaltung, der am Mittwoch an die Haushälter des Abgeordnetenhauses verschickt wurde, offenbart allerdings große Probleme beim Geldausgeben. Im gesamten Jahr 2015 flossen von den Siwa-Mitteln in Höhe von 691,3 Millionen Euro erst 47,9 Millionen Euro ab. Davon 43,3 Millionen Euro für den Kauf neuer U-Bahnwaggons. In diesem Jahr wurden bis Ende Juni nur weitere 13,8 Millionen Euro ausgegeben. Die Ausschöpfungsquote liegt insgesamt bei 8,9 Prozent. Eineinhalb Jahre nach Gründung von Siwa ist das wenig.
Die Gründe sind vielfältig: Die Erarbeitung des Siwa-Gesetzes und die Aufstellung der Projektlisten verlief noch einigermaßen flott. Danach wurde es zähflüssig, weil sich einige Maßnahmen als nicht realisierbar oder sinnvoll erwiesen und gegen andere getauscht wurden. Außerdem haben vor allem die Bezirke große Probleme, die notwendigen Bauplanungsunterlagen zu erarbeiten. Das Personal ist knapp und in den Bezirksämtern gibt es zudem parteipolitische Rivalitäten, die manche Projekte blockieren.
Außerdem erwies sich der Hauptausschuss des Abgeordnetenhauses als Nadelöhr. Dort müssen viele Siwa-Projekte entsprechend der Landeshaushaltsordnung abgesegnet werden. Der Ausschuss tagt aber nur alle zwei Wochen, ist chronisch überlastet und hatte an der einen und anderen Maßnahme etwas auszusetzen. Bis zur Sommerpause wurden erst 78 Bauprojekte abgesegnet. Das ist ein Drittel des gesamten Siwa-Bestands. Einige Projekte werden von der landeseigenen Immobilien Management GmbH (BIM) betreut, um die Landes- und Bezirksverwaltung zu entlasten. Weil die BIM aber Baumaßnahmen anders plant und prüft als die öffentliche Verwaltung, gibt es auch hier zeitverzögernde Reibungsverluste.
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