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Michael Müller zu Gast beim Tagesspiegel (II): "Ich stehe für eine andere Olympiade, als wir das bisher kennen"

Senatschef Michael Müller will eine Olympia-Bewerbung, aber ohne Gigantomanie, und verspricht eine Volksbefragung mit verbindlichem Ergebnis. Außerdem äußerte er sich dazu, was jeder Bürger gegen Hass auf Flüchtlinge tun kann - und zum Wohnungsmangel. Teil zwei unseres Rückblicks auf das Tagesspiegel-Forum.

Mit dem Ausspruch von Winston Churchill – „no sports“ – hat der Regierende Bürgermeister nichts gemein. Michael Müller hat einen Lieblingssport: das Rudern. „Ich bin einige Jahre selbst ganz gerne gerudert“, sagte er. Und jetzt versuche er, zumindest ein- bis zweimal pro Woche ins Fitnessstudio zu gehen. Ob Breiten- oder Spitzensport – Michael Müller freut sich auf Olympia in Berlin. „Berlin steht bereit, wenn der Deutsche Olympische Sportbund sich für Berlin entscheidet – 2024 oder 2028“.

Müller sieht Olympia auch als Chance für Berlin, sich international gut zu präsentieren. „Investitionen kommen nicht von allein“, so der SPD-Politiker, „das kann eine Chance sein“. Eine Bewerbung um jeden Preis lehnt Müller aber ab. „Ich stehe für eine entschiedene Reform-Olympiade, die anders ist als das, was wir bisher kennen.“

Ringe, die Berlin entzweien. Ob die Stadt sich um Olympia bewirbt, darüber soll in einem Volksentscheid verbindlich abgestimmt werden, verspricht Müller.
Ringe, die Berlin entzweien. Ob die Stadt sich um Olympia bewirbt, darüber soll in einem Volksentscheid verbindlich abgestimmt werden, verspricht Müller.
© dpa

Das heißt: Das Internationale Olympische Komitee müsse sich von „gigantomanischen Spielen“ verabschieden und dürfe keine Bewerbungen erwarten, in denen sich die Städte immer heftiger in Konkurrenz zu den Mitbewerbern positionieren müssen. „Wir brauchen kein Olympia, wo wir draufsatteln müssen, sondern nachhaltige Spiele. Wenn der IOC es ernst meint und sich auf den olympischen Gedanken rückbesinnt, dann steht Berlin gern mit einer solchen Bewerbung bereit“, sagte Michael Müller. Berlin sei eine sportbegeisterte Stadt mit herausragenden Sportevents. Erst am Dienstag verabschiedete der Senat, 2,74 Millionen Euro für das Champions-League-Finale am 6. Juni 2015 zuzuschießen.

Der Deutsche Olympische Sportbund will am 21. März 2015 verkünden, ob sich Deutschland mit Berlin oder Hamburg für die Olympischen und Paralympischen Spiele bewirbt. Die Bewerbung von Hamburg im aktuellen Interessenbekundungsverfahren nimmt Müller ernst. „Ich unterschätze die Hamburger Bewerbung nicht. Aber ich glaube, auch Berlin gibt eine starke Bewerbung ab.“ Die Berliner könnten deshalb durchaus selbstbewusst auftreten. Das Rennen zwischen der Hansestadt und der deutschen Hauptstadt schätzt Müller als völlig offen ein. Sollte die Entscheidung für Berlin ausgehen, kündigte Müller eine „echte Auseinandersetzung“ mit den Berlinern an: Es sollen zum Beispiel „Stadtdialoge“ vor Ort organisiert werden. Müller kündigte zum Abschluss dieses Prozesses ein Bürgervotum an. Es werde eine „richtige und bindende“ Volksabstimmung oder Volksbefragung geben für oder gegen die Austragung Olympischer und Paralympischer Spiele in Berlin. Verfasssungsrechtlich sei das nicht ganz einfach, aber man werde einen Weg finden.

Müller und der Volksentscheid zum Tempelhofer Feld: Als Stadtentwicklungssenator hatte der Regierende Bürgermeister im Mai selbst erlebt, dass Partizipation der Bürger Senatspläne vom Tisch wischen kann. Vergeblich hatte er für eine Randbebauung des Tempelhofer Feldes gekämpft. Müller ist davon überzeugt, dass Partizipation die parlamentarische Demokratie nicht ersetzen, sondern ergänzen könne. Die gewählten Abgeordneten hätten ja auch einen Auftrag von den Bürgern.

"Wir werden nicht von heute auf morgen für jeden Flüchtling eine Wohnung bereitstellen können."

Heimat gesucht. Sechs Containerdörfer werden derzeit gebaut, um Flüchtlinge unterzubringen. Müller wirbt für Toleranz und klare Worte gegen rassistische Hetze.
Heimat gesucht. Sechs Containerdörfer werden derzeit gebaut, um Flüchtlinge unterzubringen. Müller wirbt für Toleranz und klare Worte gegen rassistische Hetze.
© picture alliance / dpa

Rund 12.500 Flüchtlinge sind derzeit in Heimen untergebracht, für weitere 650 übernimmt das Land die Kosten für Übernachtungen in Hostels. Und es werden bundesweit angesichts der politischen Krisen im Nahen Osten und Osteuropa mittelfristig noch mehr Flüchtlinge erwartet. Wie bereitet sich das Land Berlin darauf vor? Flüchtlingspolitik sei eine Angelegenheit des gesamten Senats, sagte der Regierende Bürgermeister Michael Müller. Sie sei ressortübergreifend, „weil sie Sozial-, Bildungs-, Stadtentwicklungs- und Innenpolitik verknüpft“, und werde eine der Themenschwerpunkte auf der Senatsklausur am 8. Januar sein.

Deutschland nehme als reiches Land Menschen auf, die alles verloren haben. „Das ist auch unsere sehr menschliche Aufgabe. Viele in unserer Gesellschaft waren selbst Flüchtlinge und haben am eigenen Leib erlebt, was das bedeutet“, sagte Müller. Im Umgang mit „Pegida“ (Patriotische Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes) warb Müller für eine differenzierte Betrachtungsweise. Man müsse „auseinanderhalten, wer da wie auftritt“, sagte Müller. Rechtsextreme würden die Situation nutzen, „um Ängste zu schüren und Hass zu verbreiten“. Dagegen müsse man sofort einschreiten. „Diese Form von Intoleranz werden wir in unserer Gesellschaft nicht dulden.“ Andererseits gebe es Sorgen von Anwohnern in den Städten. Aufklärung sei das A und O, die Bürger müssten informiert werden. „Da können wir in Berlin auch noch besser werden und früher informieren“, sagte Müller. Verwaltung und Politik müssten flexibler werden. Müller warb zugleich für Toleranz gegenüber Flüchtlingen. Jeder könne Farbe bekennen, wenn „blöde Sprüche“ im privaten oder beruflichen Umfeld gemacht würden. Niemand müsse ein Held sein und sich bei einer Schlägerei dazwischenwerfen. „Jeder kann aber sagen: Spar dir diesen Spruch.“

Berlin erwartet bis Jahresende etwa 13.000 Flüchtlinge im laufenden Asylverfahren. Um diese unterzubringen, brauche man schnelle Lösungen. „Wir können diese Menschen doch nicht bei diesen Temperaturen irgendwo campieren lassen“, sprach Müller die geplanten Containerdörfer an sechs Standorten in Berlin an. Auch in zwei Traglufthallen am Poststadion werden zurzeit Flüchtlinge untergebracht. Diese Hallen sind als reine Notunterkünfte konzipiert. „Wir werden nicht von heute auf morgen für jeden Flüchtling eine Wohnung bereitstellen können. So schnell kann man gar nicht bauen“, sagte Müller. „Wir werden mit Containern als Unterkunftsmöglichkeit zumindest eine Zeit lang leben müssen.“

Das Land finanziert die Container mit rund 43 Millionen Euro. Man habe sich bewusst entschieden, die Container zu kaufen und nicht zu mieten, sagte Müller. „Denn die Erfahrung zeigt, dass sehr schnell viele Leute auf einmal sehr viel Geld mit der Bereitstellung von Unterkünften verdienen möchten. Das wollen wir nicht.“

In der Integrationspolitik sagte Müller, dass man „noch stärker an die Eltern herankommen“ müsse. Berlin habe gebührenfreie Angebote in der gesamten Bildungskette von der Kita, Schule bis zur Hochschule. Aber auch die beste Schule ende irgendwann am Tag. „Wenn die Eltern nicht aktiv sind und darauf achten, dass die Kinder Hausaufgaben machen oder morgens überhaupt zur Schulen gehen, läuft man mit staatlichen Einrichtungen ins Leere.“ Projekte wie die Stadtteilmütter als niedrigschwelliges Angebot sollten nicht nur verstetigt, sondern auch verstärkt werden.

Der SPD-Fraktionschef Raed Saleh schlägt wie berichtet vor, mit der islamischen Gemeinde einen Staatsvertrag abzuschließen. Das will die SPD-Fraktion Ende Januar auf ihrer Klausurtagung diskutieren. In Hamburg und Bremen gibt es seit 2013 Staatsverträge mit islamischen Dachverbänden. In Berlin zählen die islamischen Gemeinden 250.000 Mitglieder, davon besitzen fast 100.000 einen deutschen Pass. Der Regierende Bürgermeister steht dieser Überlegung sehr aufgeschlossen gegenüber. „Ich kann mir das im Grundsatz sehr gut auch in Berlin vorstellen.“

Die Zahl der Ferienwohnungen hält Müller nicht für das entscheidende Problem

Ausbaufähig. Die Bevölkerungszahl Berlins steigt derzeit so schnell an wie schon lange nicht mehr. Deswegen will der neue Regierende Bürgermeister viele zusätzliche Wohnungen bauen lassen – ob dafür im Landeshaushalt auch mehr Geld da ist, ist noch offen.
Ausbaufähig. Die Bevölkerungszahl Berlins steigt derzeit so schnell an wie schon lange nicht mehr. Deswegen will der neue Regierende Bürgermeister viele zusätzliche Wohnungen bauen lassen – ob dafür im Landeshaushalt auch mehr Geld da ist, ist noch offen.
© picture alliance / dpa

Die Entwicklung des Wohnungsmarkts sieht der ehemalige Stadtentwicklungssenator Michael Müller mit gemischten Gefühlen: In Bezirken wie Mitte entstehe vor allem Eigentum, in anderen Bezirken habe man über städtebauliche Verträge die Möglichkeit, Investoren zum Bau von Mietwohnungen zu verpflichten. Wenn 40 000 Menschen jährlich neu nach Berlin kämen, verändere sich der Wohnungsmarkt – „es wäre Quatsch, drum herumzureden“. Der Vorwurf, dass vor allem teure Wohnungen gebaut werden, hält er nur teilweise für richtig. Das treffe für Mitte zu, sagt Müller, aber es passiere auch viel in anderen Quartieren. „Und da sind Wohnungen nicht nur hochpreisig“.

Ihm sei der Wohnungsbau, wo 2014 rund 10.000 Wohnungen fertig werden, wie Müller betont, weiterhin „sehr wichtig“. Deshalb werde er sich dafür einsetzen, dass die dafür im Haushalt eingeplanten Gelder „nicht nur verstetigt, sondern möglichst auch aufgestockt werden“. Doch müsse der Konsolidierungskurs fortgesetzt werden, und so könne er nicht versprechen, dass es mehr Geld für den Wohnungsbau geben werde.

Ein Umwandlungsverbot von Miet- in Eigentumswohnungen, bislang am Koalitionspartner CDU gescheitert, ist weiterhin im Gespräch. „Irgendwann wird es kommen, hoffentlich bald“, so Müller, da sei er „ganz hoffnungsfroh“. Im vergangenen Jahr seien 9000 Mietwohnungen in Eigentum umgewandelt worden. „Wir haben da ein Problem.“

Dass viele Wohnungen dem Markt der Wohnungssuchenden entzogen und tage- oder wochenweise an Touristen vermietet werden, schafft zusätzlichen Druck. Doch nicht die Zahl der Ferienwohnungen sei das Problem, so Müller – 10.000 Ferienwohnungen gebe es auch in anderen Metropolen. „Unser Problem ist, dass diese 10.000 Wohnungen konzentriert sind auf ganz wenige Straßenzüge, und gerade auf die, wo wir Mietwohnungen haben wollen.“ Betroffen seien eben vor allem Straßenzüge in Mitte, Friedrichshain-Kreuzberg oder Pankow. Eben dort, wo es ohnehin viel Veränderung gebe, würden diese Ferienwohnungen dem Markt entzogen. Man müsse alles tun, um das Zweckentfremdungsverbot durchzusetzen. „Die Mietwohnungen, die wir haben, müssen als Wohnraum zu Verfügung stehen.“

Durchsetzen müssen das die Bezirke. Müller hatte vorgeschlagen, dass 17 Kontrolleure einer zentralen Stelle dort nach Ferienwohnungen suchen sollten, wo sie vor allem zu finden sind. „Leider haben sich die Bezirke nicht verständigen können, das neue Personal, das es dafür gibt, auch zu einer schlagkräftigen Einheit für alle Bezirke zusammenzufassen.“ So habe jetzt jeder Bezirk einen oder zwei Mitarbeiter für die Kontrolle – und der in Reinickendorf wisse nicht, was er tun solle, weil es dort keine Ferienwohnungen gebe, während der in Mitte Tag und Nacht zu tun habe.

Müller ließ durchblicken, dass er die Arbeits- und Kompetenzverteilung zwischen Senats- und Bezirksebene für verbesserungsfähig hält. Er erwarte von den Bezirken, dass sie Verantwortung übernähmen. Mit der Bezirksreform von 1996 habe die Landesebene weitgehende Eingriffsrechte aufgegeben. Mit manchen seien die Bezirke aber überfordert. Deshalb werde diskutiert, ob das Land ein Eingriffsrecht wiederbekommen sollte. „Ich glaube, dass das richtig wäre.“

Was sagte der Regierende Bürgermeister zu Verkehr, BER und Wirtschaftspolitik? Lesen Sie es hier in Teil 1 unseres Rückblicks. Hier lesen Sie in Teil 3, was Müller zur Personalnot in den Bezirken zu sagen hatte und was er aus seinem Privatleben verriet.

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